Schreibkraft
Heiner Frost

Krippe ohne Gitter

Sonderauftrag

Die Gartenkolonne ist angetreten – mit Sonderauftrag: Baum und Krippe aufstellen. Bei einer Außentemperatur von minus eins genau das Richtige. In der Anstaltskirche ist es warm. Die Heizung gluckst. Ein bisschen klingt alles, als wäre man im Aquarium. Zwei Männer im Anstaltsblaumann sehen großen Aufgaben entgegen. Damit nichts schief geht, hilft einer von den Beamten. Er wird mit anpacken. Wie gesagt: Es gibt schlimmere Aufträge. 10 Uhr morgens: Der Baum steht. Er steht ein bisschen schief, aber er steht. Ohnehin alles eine Frage des Standpunktes. Für die Besucher des Anstaltsgottesdienstes steht der Baum gerade. Der Pisa-Effekt ist nur von der Seite zu sehen. Die Tanne ist an die drei Meter hoch. Ein bisschen passt sie in den Knast. Sie gibt sich nicht mit einer Spitze zufrieden. Sie hat gleich drei.

Höhenangst

Der Chef entscheidet: Zum Schmücken brauchts eine Leiter. „Ich hab’ Höhenangst“, sagt einer vom Gartenduett. (Womit die Aufgaben verteilt wären.) „Du bist dann also die Bodentruppe“, feikst der Kollege. Während der Chef die Klappleiter holt, pausiert die Kolonne. Viel Zeit bleibt nicht – nach sieben Minuten rücken Chef und Leiter an. Es kann weitergehen. Drei Lichterketten und Christbaumkugeln müssen angebracht werden. „Wie hätten Sie’s denn gern?“ fragt der „Spitzenmann“ den Chef. „Machma“, tönt es zurück. Übersetzung: Ganz wie ihr wollt. Erst einmal wird  der Baum „eingekettet“ – unten rum. Fünf Minuten dauert die Aktion der Bodentruppe. „Na, dann schalt mal ein“, sagt der Leitermann. Und es ward Strom. Aber: Es ward kein Licht. Kann passieren. Stufe eins der Pannenbeseitigung: Nicht immer ist eine Schraube locker. Manchmal kann es auch eine Kerze sein. Das Duo überprüft alle Kerzen einzeln. „Fest!“, tönt es immer wieder. Die Kette schweigt. Lichtlos kleben die Kerzen im Grün des Dreispitzers. „Vielleicht ist kein Strom auf der Steckdose.“ Schwer zu sagen. Die zweite Lichterkette wird ausgepackt. „Probier die mal an der anderen Dose“, lautet der Befehl. Ergebnis: Wieder nix. Ratlosigkeit bei der Kolonne. Die Lichterketten: Allesamt nagelneu. Zwischendurch: Stückweises Studium der Bedienungsanleitung: „Kerzen leuchten auch, wenn eine defekt.“ „Sorgen Sie dafür, dass alle Kerzen eingedreht sind.“ Die dritte Lichterkette bringt Licht ins Dunkel der Vermutungen. Jetzt leuchten die Kerzen. Schlussfolgerung: „Strom is!“ Nächster Vorschlag: „Wir brauchen einen Stromprüfer“, sagt der Leitermann. „Bist du vom Einbruch?“, kommt die Gegenfrage. „Nö. Mondscheinschlosser ist nicht mein Ding.“

Aber Hallo

Während das Duo mit den Lichterketten experimentiert, hat der Chef das Personal aus der Krippe geholt. „Immerhin: Krippe ohne Gitter“, sagt die Bodentruppe. „Verflucht“, sagt der Leitermann. „Das Zeug kommt von den Chinesen. Die gönnen uns Weihnachten nicht.“ Man ruft nach dem Anstaltselektriker. „Ihr könnt ja schon mal die Kugeln aufhängen“, schlägt der Chef vor. „Die Lichterketten machen wir dann später.“ Immerhin: Die Kugeln sind wenigstens nicht störanfällig. Zwischenzeitlich ist der Elektriker eingetroffen. „Habt ihr’s schon an ‘ner anderen Steckdose probiert?“ „Aber Hallo.“ Jetzt kommt der Stromprüfer zum Einsatz. Diagnose: „Strom is!“ Auch in der Kette. „Da müssen wir jede Kerze einzeln durchprüfen“, spricht der Elektriker das finale Urteil. „Hast du dafür Zeit?“, fragt der Kollege an der Krippe. „Klar. Bis vier Uhr mach ich euch alles. Dann geh’ ich nach Hause.“ Der Krippenbauer hat Moos und Stroh ausgelegt. Das Personal zieht ein. „Mit den Ketten warten wir dann besser noch.“ Immerhin: Bis Weihnachten sind es noch acht Tage.  „Vielleicht findet ja noch einer irgendwo Geld für drei neue Lichterketten“, sagt die Bodentruppe. „So teuer kann das Zeug nicht sein.“ Gegenfrage: „Wie kommst du darauf?“ Antwort: „Sonst würd’s doch funktionieren.“ „Passt doch super: Alles zweite Wahl. Der Baum. Die Ketten. Wir.“