Tobi konnte natürlich nicht wissen, dass Zeitungsplatz natürlichen Grenzen unterliegt. „Ich werde das raffen müssen“, sage ich am Ende eines 60-minütigen Gesprächs und beschwere mich auch, dass Tobi „den Hahn“ in Köln gelassen hat. „Gibt‘s doch gar nicht …“
Eigentlich oder: Ja, was denn jetzt?
Eigentlich sollte es doch um einen Geburtstagsausflug gehen. Man stellt ein paar harmlose Fragen und ist gleich mittendrin in einer irgendwie unglaublichen Geschichte. Los geht‘s: Tobi lebt in Köln. Heimat: Kranenburg. Nach dem Schulabschluss macht Tobi eine Ausbildung zum Industriemechatroniker. Tobi zieht nach Köln: Großeweitewelt. Tobi arbeitet für eine Aufzugsfirma. Das Leben: eine Baustelle. Irgendwie nicht das,was er sich vorgestellt hat. Richtungswechsel. Ausbildung zum Versicherungsfachmann. „Coole Ausbildung – der Beruf selber war`s dann aber irgendwie.“ Tobi wird zum Millionenstadtexbewohner.
Hamstern oder: zurück zu den Wurzeln
Back to the roots. (Zurück zu den Wurzeln.) Die Wurzel: Kranenburg. Tobi steigt in die väterliche Firma (Sportgeräteherstellung) ein und … kauft sich ein Haus. (Mann will ja bleiben.) Das Haus: ein Schnäppchen. Ein bisschen alt: kernsanierungsbedürftig. Das Leben: eine Baustelle. Zwischendurch fällt – noch spricht Tobi über das Haus – quasi noch eine Geschichte von der Ladefläche. „Der Besitzer wollte das Haus verkaufen. Aber nicht an seinen Nachbarn.“ Dessen Hund hatte nämlich – Jahre zurück – den Hausherrenhamster verspeist. „Da war der alte Herr irgendwie nachtragend.“ Ja – das soll‘s geben. Tobi baustellt also in der Freizeit an seiner Immobilie und stellt am Ende fest: „Das war`s dann doch nicht.“
Hätteßemalieber
Richtungswechsel. Tobi vermietet das Haus, steigt aus der väterlichen Firma aus und geht … zurück … nach …: Köln. „Ich will kein Leben, in dem ich irgendwann sagen muss: Hätteßemalieber!“ Das muss man vielleicht nicht übersetzen. Tobi geht also zurück in die Domstadt und irgendwie nistet sich da etwas ein im Tobikopf. Eine neue Idee: Keine Fahrzüge, keine Versicherungen, keine Sportgeräte, sondern: Schauspielerei. Tobi besucht den Tag der offenen Tür einer Schauspielschule. Jemand sagt ihm, dass er Talent hat. Ein spontanes Casting. Ergebnis: Könntewaswerden. Dann ein weiteres Casting – diesmal mit Vorbereitung. Tobi spricht einen Robin Williams-Monolog aus „Club der toten Dichter“. Und singt: Leev Marie von „Paveier“. Toni-O-Ton: „Ich singe gern.“ Die zweijährige Ausbildung finanziert Tobi mit abendlichen Kellnerdiensten. „Und ein bisschen was hatte ich auch gespart.“ Danach: Kleinigkeiten beim ZDF und SAT 1. („Ich bin nicht auf alles stolz.“)
Jetzt aber
Und nur mal so zwischendurch für den eiligen Leser: Wir haben soeben die Einleitung abgeschlossen und kommen nun zum Eigentlichen. Tobi ist Jahrgang 1994. Tobi joggt gern. Irgendwann kommt ihm beim Laufen die Idee: Vielleicht zum Geburtstag mal einen Spaziergang machen. Bisschen Wandern. Vielleicht mal vom Nordzipfel der Republik in den Süden laufen – bis zur Zugspitze und da zum 30. Geburtstag (der ja eigentlich der 31. ist) ankommen und mit Freunden feiern.
Den Beschluss verkündet Tobi im Dezember 2023.
17 Tage Regen
Die Planung beginnt. Am Ende wird Tobi 1.370 Kilometer gewandert sein und dabei 18.300 Höhenmeter pulverisierthaben. 37 Tage gibt er sich. Und – natürlich: Sommersonnesonnenschein. Stattdessen: Pustekuchen. Am Ende hatte ich 17 Tage Regen. Vor allem am Anfang. Apropos Anfang: „Ich wollte auf Sylt starten und wäre dann über einen Bahndamm zum Festland gelaufen.“ [Es ist der Hindenburgdamm – ein Eisenbahndamm, der Sylt an das Festland der Kimbrischen Halbinsel anbindet; Anm. d. Red.]. Das Problem: „Du darfst da nicht rüber laufen. Ich wollte ja nicht gleich am ersten Tag Ärger bekommen. Also habe ich mich für den nördlichsten Festlandpunkt entschieden: den Nordzipfel.“
Tobi ist, das stellt er in der ersten Nacht im Norden bei schlanken Temperaturen unter zehn Grad heraus, nur bedingt gut ausgerüstet und friert sich – so sagt man wohl – einen ab. Die Folge: Anschaffung eines kältesesistenten Schlafsacks und eines wettertauglichen Regencapes. Am dritten Tag: die Schienbeinentzündung. Schmerzhaft, aber nicht so schmerzhaft, dass Tobi sein Projekt abbrechen würde. „Das Bein sah scheiße aus. Ich habe einen Tag Pause gemacht. Salbe drauf. Weiter. Da lernst du dann deine Grenzen kennen“, sagt Tobi.
Lauter nette Leute
Und apropos kennenlernen: „Ich habe ganz viele unglaublich nette Menschen kennengerernt“, sagt Tobi und strahlt. Er strahlt überhaupt viel. Da war zum Beispiel ein Rentnereherpaar: Sylvia und Klaus. „Bei denen durfte ich in der Gartenhütte übernachten. Wir sind auch jetzt noch in Kontakt.“ Geschichten ohne Ende. Das T-Shirt zum Beispiel: Während der Wanderschaft trägt Tobi ein oranges T-Shirt mit der Aufschrift: „Wo ist Tobi?“ Eines Tages trifft er einen, der ihm die Wo-ist-Tobi-Frage mit „Hier“ beantwortet. Der Typ heißt … auch Tobi. Von seinem Tobi-T-Shirt gibt es natürlich einen ganzen Satz. Man muss ja mal wechseln. „Und wo sind die Shirts jetzt?“ Tobi hat sie in Köln gelassen. Was soll man sagen: suboptimal.
Dusche als Luxus
Unterwegssein-Highlights: „Ab und zu habe ich mir ein Zimmer genommen und dann minutenlang unter der Dusche gestanden. Luxus pur.“ Auf dem Weg zur Zugspitze ein geplanter Viertageaufenthalt beim Filmfestival in München. Da hat Tobi sich angekündigt – hat angerufen und gefragt: „Ist schon mal jemand von ganz im Norden zu eurem Festival gelaufen?“ Natürlich nicht. Tobis Gedanke: Vielleicht posten die Münchener das auf ihren Social-Media-Kanälen.“ Denkste. Drei Tage vor München hören die Schienbeinschmerzen endlich auf. „Und weißt du was: Da habe ich mich fast gelangweilt.“ Die innere Schallmauer: Verschwunden. Dafür dann eine neue Gegneri: die Hitze. Trotzdem: Die geplante Dauer – 37 Tage – wird auf 36 Tage gekürzt. (Taschenrechner zücken: Tagesdurchschnittsentfernung: 38,0555.) Aber eigentlich gehören ja die Filmfestivalsruhetage rausgerechnet. „Zuletzt habe ich 60 Kilometer am Tag geschafft.“ In München wird Tobi von der Festivalcrew empfangen. „Die hatten nichts gepostet, weil sie dachten: Wenn der‘s nicht schafft, sieht das ja blöd aus.“ Immerhin hat Tobi selbst täglich einen Post abgesetzt.
Am Ziel
Am 11. Juli steht Tobi – einen Tag vor seinem Geburtstag – am Fuß der Zugspitze. Jetzt will er‘s wissen: Klettersteigtour über das Höllental. Fünf Stunden braucht er und überwindet 2.200 Höhenmeter. Runter nimmt er die Bahn. Am 12. Juli sind dann die Freunde da. Jetzt geht‘s noch mal hoch. Und weil es ja Tobis großer Tag ist, stecken sie ihn in ein Hahnenkostüm. „Und? Wo ist das Kostüm?“ „Habe ich in Köln.“ „Nicht dein Ernst? Das wäre doch das Foto gewesen.“ Tobi meint, dass er als Schauspieler sich ja nicht um die Requisite kümmern muss. Und lacht.
Diesmal – nicht mehr allein auf dem Höhentrip – braucht Tobi mit den Freunden siebeneinhalb Stunden bis zur Spitze. Gestartet wird unten mit einem Bierchen. Und anschließend feiern sie alle den 30. Geburtstag, der ja eigentlich … das hatten wir schon. Fertig. Geschichte erzählt. Die Finger schmerzen ein bisschen vom Mitschreiben. Aber: Gelohnt hat sich‘s. Was gibt‘s noch zu sagen zum Thema „hätteßemalieber“?
Familie vielleicht
Tobi braucht keinen niederrheinischen Konjunktiv. Er hat‘s ja gemacht. Gibt es weitere Pläne? Vielleicht demnächst mal von New York nach Hollywood wandern? Da hat der Tobi noch nicht drüber nachgedacht. Aber die große Leinwand – das wär schon was. Auch über eine Familie denkt Tobi nach. „Mama, wo ist Papa?“ „Der spaziert irgendwo durch die Weltgeschichte.“ Na denn: Glück auf, Tobi.