Schreibkraft
Heiner Frost

Gestern die Hölle – heute die Hoffnung

Fotos: Maren

Am Vormittag der Anruf eines Freundes. „Du hast ja über die Hilfsaktion in Kranenburg geschrieben. Ich hätte da auch was: Maren, eine Bekannte von mir, ist derzeit im Katastrophengebiet. Ich habe mit ihr gesprochen. Ruf die mal an. Die kann dir erzählen, was vor Ort los ist.“
Maren hat das für sie einzig Denkbare getan. Als sie von der Katastrophe hörte, ist sie – zusammen mit ihrem Freund – losgefahren. Ziel: Bad Neuenahr/Ahrweiler. Der Vorsatz: Helfen – mit anpacken, wo Not am Mann ist. Am Freitag sind die beiden los: tun, was – im wahrsten Sinne des Wortes – in ihren Kräften steht.

Ein Trauma

Als Maren und ihr Freund in Ahrweiler ankommen, treffen sie schnell auf ein älteres Ehepaar. „Die hatten niemanden, der ihnen hilft“, sagt Maren. Die alten Leute waren zudem schwer traumatisiert. „Sie haben mir erzählt, dass sie mit angehört haben, wie ihre Nachbarin in der Garage ertrunken ist. Die wurde erst zwei Tage später geborgen.“
Es hat viele Opfer gegeben im Ort. Existenzen sind zerstört. Menschen stehen vor dem Nichts. Und dann sind da die Opfer, für die es keine Rettung gab. Nichts ist mehr wie es vorher war. Maren und ihr Freund schauen sich das Haus der beiden alten Leute an. Es gibt viel zu tun.

Zurück und hin

Sonntags muss Marens Freund zurück an den Niederrhein. Sie fahren zusammen. Maren kehrt um und fährt zurück. Sie hat sich Urlaub genommen. Es gibt Menschen, die (ihre) Hilfe brauchen. Es geht um harte körperliche Arbeit. Jemand muss sich durch Schlamm und Trümmer arbeiten.
Maren ist sicher: Es könnte viel mehr getan werden. „Ich hatte Kontakt zu Menschen, die mit der Hotline gesprochen haben, weil sie helfen wollten. Denen hat man gesagt, dass momentan keine Hilfe gebraucht würde. Ich weiß natürlich nicht, wie das an anderen Orten läuft – aber hier trifft das definitiv nicht zu.“

Dixies wären schön

Maren wohnt in ihrem Volkswagen T5 Transporter. Sie schickt mir ihren Standort per Whatsapp-Nachricht: Bad Neuenahr/Ahrweiler, Parkplatz Graf-Are-Straße. Ein Fleck auf einer Karte. In der Wirklichkeit: Der Kampf gegen Chaos und Untergang. Anfangs habe es für die Helfer nicht mal Dixies gegeben. Toiletten, sagt Maren, seien wichtig. Und natürlich wäre es auch toll, nach einem harten Arbeitstag irgendwo duschen zu können. Momentan ist daran nicht zu denken.

Bis ans Ende der Kraft

Morgens zwischen 8 und 9 Uhr geht sie zu „ihrer Familie“ und bleibt bis 18 oder 19 Uhr. „Danach habe ich einfach keine Kraft mehr. Das hier ist harte Arbeit.“ Was ist denn zu tun? „Es ist ja nicht so, dass da Keller einfach nur unter Wasser stehen. Wir reden davon, dass viele Häuser bis ins Erdgeschoss mit Schlamm vollgelaufen sind. Der Schlamm kann nicht abgepumpt werden. Da muss man mit Schaufel und Eimern ran. Der Schlamm wird rausgetragen und dann auf Schubkarren weiter transportiert.“ Knochenarbeit.

Die haben dafür keinen Kopf

Zwischendurch denke ich: Bad Neuenahr/Ahrweiler – kürzlich haben Menschen aus Kranenburg einen Konvoi mit 40 Tonnen Hilfsgütern auf den Weg dorthin gebracht. Maren schickt Bilder, die sie vor Ort gemacht hat. Jetzt wird klar, was sie gemeint hat, als sie sagte: „Es gibt hier natürlich Sammelstellen für Hilfsgüter, aber die Menschen vor Ort haben dafür im Moment gar keinen Kopf. Die sind mit anderen Dingen beschäftigt. An Klamotten denkt momentan erst einmal niemand. Das wird kommen, wenn das Schlimmste erst mal vorbei ist.“

Helfende Hände

Aber was ist dann wichtig? „Wichtig sind Menschen, die mit anfassen. Das Wichtigste: helfende Hände. Manche von den Leuten, die hier lebten, haben Hotelzimmer angeboten bekommen. So können die endlich mal wieder ausruhen.“
Was, wenn jemand das hier liest und etwas tun möchte? „Ich denke, die Leute sollten auf jeden Fall zunächst bei den entsprechenden Hotlines anrufen und klar machen: ‚Wir wollen anpacken. Mithelfen.‘ Es ist aus meiner Sicht definitiv nicht so, dass hier keine Helfer gebraucht werden. Ich sehe es auch so, dass die Dinge vor Ort besser organisiert sein könnten. Es müsste an jedem Ort eine Anlaufstelle für Freiwillige geben – Leute, die koordinieren und verteilen, was an Kräften vorhanden und einsetzbar ist.“ Maren wird noch bis zum Wochenende bleiben. Jeder Tag: ein Kraftakt.

Apokalypse

Auf einem der Fotos, die Maren mir schickt, ist eine bemalte Wand zu sehen: „Danke für die Hilfe“ hat jemand geschrieben. Ein Gruß vom Ort der Apokalypse, der durch Menschen wie Maren zu einem Ort der Hoffnung wird.

Nachtrag

Nachdem Maren den Text im Internet gelesen hat, schreibt sie eine Whatsapp-Nachricht. Wahrscheinlich ist es schon zu spät, aber es wäre wichtig zu erwähnen, wie sehr die Menschen sich gegenseitig helfen und wie unglaublich tapfer die Betroffenen sind. Menschen trösten sich und machen sich Mut – entwickeln eine gegenseitige Verbundenheit.
Wichtig wäre, eine Opferhilfe anzubieten für die Zeit, wenn die Arbeit getan ist, denn dann werden Gefühle hochkommen, die jetzt noch durch die harte körperliche Arbeit verdrängt werden. Ein letzter Satz: Der Zusammenhalt hier ist wirklich unfassbar berührend. Der Sohn und die Tochter des alten Ehepaars haben alles stehen und liegen gelassen und packen jetzt auch mit an. Liebe Grüße. Maren.