Elina Brotherus war auf einem Flohmarkt unterwegs und fand … den Hut von Joseph Beuys. So ein Zufall, denkt man: Ich habe ihn auch.
Man denkt an die Eröffnungsszene von „Schtonk“, in der der junge Fälscher Kujau (gespielt von Uwe Ochsenknecht) einem amerikanischen Soldaten „the Fuhrer‘s Sonntagshat“ verkauft. Mit Echtheitszertifikat: ein Schildchen steckt am Hut. Der Soldat geht glücklich von dannen – den Hut auf dem Kopf. Die Kamera zieht auf und überall laufen Leute mit einem Hut mit Echtheitsschildchen durch die Szene. Brotherus‘ Beuys-Hut muss ja nicht das Original sein. Für ihre Werke, die ab Samstag im Museum Schloss Moyland zu sehen sind, spielt das keine Rolle. Längst ist der Hut zu einem Zeichen geworden – sein Träger zu einer Ikone.
Brotherus setzte damals den Hut auf: Er rutschte ihr bis zur Nase. Sie ging zu einer Hutmachrin – ließ das Artefakt enger machen: Der Beginn eines Projektes. Was in der neuen Ausstellung („Kartoffelpflanzen – Transformation“) unter anderem zu sehen ist, sind Fotos (und Videos), auf denen sich Brotherus mit Beuys-Hut inszeniert. Nur ein Gag? Ganz und gar nicht, denn Brotherus‘ Inszenierungen sind der Versuch, einer abwesenden Ikone zu antworten. Natürlich weiß man, dass da nicht Beuys zu sehen ist, sondern die ‚behutete‘ finnische Künstlerin. Aber da findet dann im eigenen Hirn diese Verschiebung statt und taucht viele der Fotografien in ein romantischnostalgisches Licht. Da steht Brotherus in Venedig – blickt auf die Lagune und es findet diese Vermischung statt: Beuys, Venedig, Brotherus, der zu erwartende Untergang einer historischen Stätte. Eine riesige Leinwand entsteht – eine, die Platz dafür lässt, die Farben der Erinnerungen anzumischen. Kann ja jeder? Aber gar nicht. Jeder kann‘s nachmachen – mehr nicht. Was Brotherus inszeniert, besticht durch die Einfachheit der inneren Konsequenz. Da steht die Brotherus in einem leeren Raum – verlässt ihn durch eine Glastür: Beuys has left the Building. Das Bild entstand 2023 und ist doch getränkt mit der Patina des Unwiederbringlichen – aufgenommen in der Kunstakademie Düsseldorf. Hommage ans Gewesene, das aber trotzdem ein Jetzt ist. Die Brotherus steht auf einem Fußballplatz, geht am Rhein entlang … all das inszeniert sich mit dem Mehrwert der Geschichte. Und wenn Brotherus mit dem Hut in einem Fenster sitzt – der Blick geht nach draußen – wird alles zur Projektionsfläche. Alles wird zur Spur. Alles zur Antwort … – zum Dialog mit einer unsichtbaren Ikone.
Schwer zu sagen, wie die Bilder auf jemanden wirken, der nichts weiß von Beuys und Hut und Anglerweste. Eines bleibt auch dann: Einsamkeit. Da ist immer nur dieser Mensch mit Hut. Es gibt niemanden sonst. Es entstehen andächtige Momente. Kann man sich erinnern an etwas, das man nicht kennt? Vielleicht. Vielleicht nicht. Am Ende spielt die Beantwortung der Frage keine Rolle: Brotherus stellt Zustände her, indem sie sie und sich abbildet. Muss man wissen, worauf all das sich bezieht? Nein.
Was die Brotherus in Bildern und Videos herstellt, sind Querverbindungen ins Ich des Betrachters. „Kartoffelpflanzen – Transformationen“ ist eine unglaublich sehenswerte Auseinandersetzung (eigentlich müsste man Zusammensetzung denken) mit einem Streifen Zeit- und Kunstgeschichte. Wer mehr weiß, stellt Bezüge (und Beziehungen) her – wer als Beuys-Novize hinschaut, wird reichlich getriggert. Antworten auf eine abgereiste Ikone. So viel steht fest: Beuys‘ Hut ist nicht zu groß für Elina Brotherus.
Kunst ist immer dann stark, wenn sie nicht einfach referenziert, sondern Gegengewichte herstellt, die auch ohne den denkbaren Bezug sehenswert sind. Die Ausstellung im Museum Schloss Moyland ist bis zum 25. Februar zu sehen. Eröffnung am 15. September, 18 Uhr.