Schreibkraft
Heiner Frost

Zwischen den Fingerspitzen

Oper Köln Upload Michael van der Aa

Oper ist nicht jedermanns Ding. Zu viel Lametta. Zu wenig Eigentliches – könnte man meinen. Von wegen. Es geht auch anders. ‚Upload‘ ist eines dieser Ereignisse, nach denen man sich im eigenen Leben neu einrichten möchte, weil man angerührt wurde bis ins Mark.

Virtuelle Wirklichkeit

90 Minuten hat man mit einem kleinen Ensemble (Ensemble Musikfabrik, Leitung: Otto Tausk) und zwei Sängern (Julia Bullock, Roderick Williams) verbracht – hat die Zeit vergessen und ist in eine Zukunft gewachsen, die vielleicht nicht allzu weit entfernt ist. Die Idee: Ein Mensch wird durch die digitale Version seiner selbst ersetzt. Das ist der Upload. Ist der vollzogen, muss die analoge Version des Individuums ihre Existenz beenden. Klartext: Der analoge Mensch muss sterben. Man erlebt diesen Gedanken beim Entstehen. Bei der Ausführung. In der Konsequenz. Da wird ganz großes Theater entfacht, dessen unglaubliche Kraft aus der Tatsache wächst, dass es kein Theater zu sein scheint, was man da erlebt. Die Grenzen zwischen dem Virtuellen und dem Wirklichen verschwimmen. Die Wahrnehmung des Raumes, in dem all das stattfindet – und also inszeniert – wird, ist am Ende nicht mehr taxierbar.

Michelangelo

‚Upload‘ stellt eine selten zu erlebende Einheit von Handlung und Musik her und öffnet den gedachten Spalt zwischen Realität und Wirklichkeit. Man fühlt sich wie in der Sixtinischen Kapelle – man wird zur Schnittstelle zwischen dem ausgestreckten Schöpferfinger und dem von Adam. Die Fingerspitzen berühren sich nicht, aber gerade im Abstand offenbart sich die Verbindung.
Zwischendrin: Erinnerungen. Soylent Green taucht vor dem geistigen Rückspiegel auf. Kubricks 2001 winkt aus der Ferne – Arrival vielleicht … Was man zum Vergleich heranzieht, hängt mir der eigenen Vergangenheit – mit dem eigenen Erleben – zusammen. Kurz: Jeder erlebt sich selbst. Die Oper: ein Spiegel.

Aber ‚Upload‘ ist ein Stück, das vom Kopieren erzählt, ohne jemals Kopie zu sein. ‚Upload‘ grenzt ans Ultimative. Alles beginnt in einem Nichts. Man ahnt nicht wirklich, was kommen wird. Da sitzt man – denkt an Oper – und dann passiert das Leben. Man steht vor den eigenen Erinnerungen. Den Erwartungen. Den Hoffnungen. Den Träumen, die keine Träume mehr sind, weil sie sich aus der Deckung des Unanstastbaren gewagt haben. ‚Upload‘ ist Film und Oper, Traum und Wachsein.

Genial unmerklich

‚Upload‘ – das ist nicht nur die Musik – es ist auch ein immenser Aufwand an Technik, der aber nicht mehr ist als Transportmittel. Alle Technik verschwindet hinter dem Wunderbaren. Es gibt Stellen, die atemraubend sind. Das Ensemble auf der Bühne: hervorragend: in seiner Musikalität: in der Perfektion: in der Konzentration auf das Zurückgenommensein. Julia Bullock und Roderick Williams demonstrieren eindrucksvoll, wie anrührend Gesang ist, wenn er sich ins Schlichtsein zurückzieht. ‚Upload‘ erlaubt das, denn das Stück ist kammermusikalisch ohne klein zu wirken. ‚Upload‘ ist Oper in der Dimension des Liedes. Die Inszenierung: genial in ihrer Unmerklichkeit.

Man glaubt zu spüren, dass alles hier (Komposition, Inszenierung, Libretto, Filmspkript) aus einer Hand stammt – aus einem Kopf: aus einer Vorstellung. Der zugehörige Name: Michel van der Aa. „Er ist“, heißt es im Begleittext, „einer der herausragenden niederländischen Komponisten seiner Generation.“ Man kann das nur unterschreiben. Da war einer am Werk, der ein Gesamtkonzept denken und umsetzen kann. Da beherrscht einer seinen Stoff bis in die kleinste Faser. Da entsteht, während man staunend dasitzt, etwas Großartiges, dessen Teil man wird. Man muss sich nur hineinbegeben … einlassen.

Ewigkeitsgaukelei

‚Upload‘ ist eine Studie über das Verschwinden im Denken und die Gefahr, die von  einer fahlen Ewigkeitsgaukelei ausgeht. Was wäre, wenn man ewig lebte und dafür sterben müsste? Der Gedanke ist natürlich nicht neu, aber ‚Upload‘ dimensioniert das Denken neu, weil das Stück es schafft, dass man am Ende selbst auf dieser Bühne zu stehen scheint. Das vermeintliche Paradies am Ende einer Transkribierung des Analogen ins Digitale. Beten wird nicht erwartet – der Glaube schon. Es ist der Glaube an ein Überleben durch Technik.  ‚Upload‘ ist der Versuch, am Rande eines schwarzen Lochs dem Unmöglichen zu entkommen. Das Stück ist ein Gedankenexperiment: In einer Art Fabrik treffen Menschen zum Upload ein. Sie werden am Ende zu digitalen Ablegern ihrer selbst. Ist der (digitale) Upload erstellt, endet das analoge Leben. Kopien sind nicht vorgesehen. Ein neues Original entsteht – es ist Original ohne Verfallsdatum.

Was, wenn jemand käme und die Kopie löscht? Was, wenn das Ende kein Ende ist? Wie unendlich ist der Raum zwischen zwei Fingerspitzen? Bleibt etwas Wunderbares, wenn alles Denkenfühlen entschlüsselt ist? ‚Upload‘ ist ein ganz großes Stück Kunst, weil es nicht in die Falle tappt, Kunststück sein zu wollen. ‚Upload‘ löst keine Probleme – beantwortet keine Fragen. Doch – eine vielleicht: Hat sich Oper überholt? Die Antwort: Nein. Fett gedruckt. Unterstrichen. Großbuchstaben.

Termine und Karten für Upload