Mit Schulden ist das so eine Sache. Natürlich: Am besten man hat sie nicht. Und wenn doch, dann besser bei den „Falschen“. Hat einer Schulden im Drogenmilieu, kann es passieren, dass aus Schulden Schuld wird.
Ein Angebot
Herr X. wäre ein Beispiel. Er ist abhängig – aber: Es mangelt am finanziellen Tiefgang. Wer täglich Marihuana und Koks braucht und zudem weder Arbeit noch Beruf hat, dem kann passieren, was Herrn X. passiert ist. Da ist plötzlich dieses Angebot, dass man irgendwie nicht ablehnen kann. Ist ja nichts Wildes: Es geht um eine Kurierfahrt. Zehn Kilogramm Marihuana. Das Fahrzeug: Ein Mercedes AMG. Nicht jeder kennt sich mit Fahrzeugen aus – die sich auskennen, bekommen leuchtende Augen. Ein Kurierfahrt also in einem Mercedes AMG. Da ist nur ein kleines Problem: Herr X. hat keinen Führerschein. Nie gehabt. Man kann sich behelfen: Vielleicht tut es ja der Führerschein des Bruders.
250 Sachen
Das Finale der Kurier-Aktion beginnt auf einem McDonalds-Parkplatz in Boxmeer. Dort fallen der niederländischen Polizei drei deutsche PKW auf. Einer davon: der Mercedes. Ein Leihwagen. „Wir haben uns dann entschlossen, uns den Mercedes genauer anzusehen“, sagt ein niederländischer Polizist. Eine Bauchentscheidung sei das gewesen. „Wir konnten nicht alle drei Fahrzeuge anhalten.“ Jetzt beginnt eine Verfolgungsaktion, bei der nach Aussagen verschiedener Zeugen Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 250 Stundenkilometern gefahren werden. Der Begriff „Fliehkraft“ bekommt einen neuen Zusammenhang. Die beiden BMW, die den Mercedes eskortieren, blockieren die Fahrzeuge der niederländischen Polizei. Die Verfolgungsfahrt beginnt in den Niederlanden und endet an der Autobahnabfahrt in Goch. Dort biegt X. mit hoher Geschwindigkeit ab. Jetzt trägt die Fliehkraft ihn aus der Kurve. Der Mercedes: Totalschaden. X. flüchtet verletzt und wird später in einem Waldstück circa 400 Meter vom Unfallort entfernt von der Wärmebildkamera eines Hubschraubers aufgespürt. Festnahme. Krankenhaus.
Angst
Jetzt geht es um „Einfuhr und Handeltreiben“ – es geht um das 192-fache der sogenannten geringen Menge. Herr X. zeigt sich geständig. Alles hat sich so zugetragen, wie man es ihm vorwirft. Eines allerdings wird X. nicht tun: die Hintermänner nennen. Zu groß ist die Angst um seine Familie. Das sagt X.s Anwalt in einer Erklärung. Auch X. selbst dürfte in einer Justizvollzugsanstalt als einer, der Namen nennt, keinen leichten Stand haben.
Familienrat
Seine Familie im Zuschauerraum sieht die Dinge anders: X. soll aussagen. Er soll die Hintermänner nennen. Ein Verwandter dient sich dem Staatsanwalt als Zeuge an. „Damit würden Sie mir helfen, aber ihm nicht“, sagt der Staatsanwalt und deutet Richtung Anklagebank. Nur für X. würde die Preisgabe von Namen wahrscheinlich einen „Vorteil“ bei der Strafzumessung bringen.
In einer weiteren Pause wird es X.s Bruder ermöglicht, ein Gespräch zu führen. Das Ergebnis: X. bleibt bei seiner Entscheidung. Er wird nichts sagen über die Auftraggeber. Auch der Bruder entschließt sich für das Schweigen.
Therapie
Ein Gutachter sieht einen möglichen Erfolg, sollte X. in eine Entziehungsanstalt eingewiesen werden. X. selbst möchte es so. Der Staatsanwalt plädiert auf fünf Jahre Haft, die Einweisung in eine Entziehungsklinik und einen Vorwegvollzug von mindestens einem Jahr.
Sollte der Entzug Erfolg haben, wird nicht selten der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt. „Wenn Sie meinen Antrag sehen und wissen, dass die Therapie nach zwei Jahren beendet sein soll, dann würde zu viel Strafrest bleiben.“ X.s Anwalt plädiert auf drei Jahre, neun Monate – inklusive 64-er.
Nach Paragraph 64 des Strafgesetzbuches (§ 64 StGB) werden Straftäter, die wegen einer Suchtkrankheit straffällig geworden sind oder während der Tat unter Alkohol- oder Drogeneinfluss standen, in einer forensischen Klinik untergebracht, wenn konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. [Quelle: http://massregelvollzug24.de.]
Zwar hat X. vor der Tat Marihuana geraucht und Kokain konsumiert, doch ist der Gutachter von X.s Schuldfähigkeit überzeugt.
Keine Erfolgsaussicht
Die Kammer verurteilt X. am Ende zu sechs Jahren wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln und Beihilfe zum Handeltreiben. Therapie? Nein. Die Kammer sieht nicht genügend Erfolgsaussicht. Was Herrn X. noch blüht? Kann sein, dass er auch in den Niederlanden vor Gericht gestellt wird. Bei der Verfolgungsfahrt ist ein Polizist verletzt worden.
Post an Frost