Schreibkraft
Heiner Frost

Sonne im Herzen oder: All the way from Mississippi

Staple Singers: All the way from Mississippi

Niemand hat daran gedacht, eine Arche zu bauen. Die App fürs gute Wetter: Noch nicht erfunden. Abgesoffen. Man möchte heulen. Aber das tun schon andere: über den Wolken.

Im „Eis-Amt“ einen Kaffee trinken. Der Regen prasselt aufs Vordach. Es ist so laut, dass man zum Bestellen den Mann hinter dem Tresen anbrüllen muss. Während draußen die Welt den Untergang probt, liegen auf der anderen Seite der Erdkugel Frauen weinend auf dem Rasen: WM-Aus für Deutschland. Ein schwarzer Tag irgendwie. Geburtstage wünscht man sich anders.
Man wollte über Musik schreiben – über die Extase des schönen Rausches der Klänge … stattdessen wird alles weggespült. Man sitzt im Auto, wartet auf das Regenende: Es will nicht kommen. Das Wasser will keine Ruhe geben.
Im Dorf lässt es sich aushalten. Draußen, auf dem Festivalgelände, tut sich der Boden auf: Schlamm, wohin man sieht. Man denkt an ein Gespräch mit Festivalchef Stefan Reichmann. „Die Zukunft ist klein“, hatte er gesagt und man denkt: Die Gegenwart ist abgereist – irgendwohin, wo es schön ist. Melancholie hält Einzug. Es fehlt an Kraft für den Optimismus. Irgendwie ist man in ein Trauerspiel geraten …
Sich vorarbeiten zum Festival-Gelände. „Lass dein Auto im Dorf“, sagt einer. „Du kommst sonst nie an.“ „Wacken light“, scherzt ein anderer …

20 Minuten Fußmarsch – vorbei an Nummernschildern aus der Republik: Westostnordsüd. Die Schlange: Ziemlich. Die Stimmung: Irgendwie trotzdem entspannt. Irgendwie trotzdem heiter. Der Regen lächelt. Auf dem Weg zum Festivalgelände: Zwei weitere Weltuntergänge. Aber: Niemand lässt sich die Stimmung verregnen. Irgendwie schön. Irgendwie wärmend. Vom Festival-Gelände zurück ins Dorf. Die Wolkendecke reißt auf.

In der Kirche: „The Staple Singers“. Die Anmoderation: „All the way from Mississippi.“ Und als die Band ihr Soul-Blues-Predigt vom Altarraum Richtung Publikum schickt, als hunderte Arme im Rhythmus mitzuschwingen beginnen, weiß man, warum man gekommen ist. Scheiß aufs Wetter.
Später auf der Hauptbühne: der Rain Man: Mario Batkovic. Als er zuletzt dort spielte, hatte er Wolkenbrüche im Gepäck. Jetzt bleibt es trocken. Batkovic vertreibt die Wolken. Alle hier tun sie das. Vielleicht, denkt man, gibt es sie doch: die Gutwetterapp: Sie steckt in den Köpfen. Ist unkaputtbar. Legt sich auf alle: die Festivalgäste, die Ordner, die Security. Das Wetter im Herzen: heiter bis sonnig. All the way from Mississippi …