Es rockt in Halle zwo.
Nebenan (es sind nur paar hundert Meter Luftlinie von hier) wird abgehoben: Flughafen Niederrhein. Hier in Halle zwo heißt es: Immer schön auf dem Teppich bleiben. Abgehoben wird auch. Aber nur vorne. Chef im Ring: Joe Meinel. Beruf: KFZ-Mechaniker. Aber: Das war einmal. Mancher Bahnhof dient nur zum Umsteigen. Meinel sagt es so: „Das ist mein erlernter Beruf. Heute bin ich Überlebenskünstler.“
Gefahr gemietet
Meinel ist Stuntman — einer von denen, die immer dann dran sind, wenn’s gefährlich wird. Stuntmen — das sind die, die im Kino beim Abspann irgendwo ganz hinten auftauchen — wenn überhaupt. Meinel bietet seinen Kunden Präzisionsfahrten, punktge-naues Bremsen, 90-, 180- , 360-Grad-Drehungen, Überschläge, Crashes, Verfolgungsfahrten, Sprünge, Fahren auf zwei Rädern, er bietet Highfalls, Feuerstunts mit Benzin und Brandpaste, Glasstunts, Treppenstunts, Überfahrszenen, Schlägerei, Schwert und Stockkampf, er bietet Stürze, Crashes mit anderen Fahrzeugen, Sprünge und die Feu-erwand, er bietet den Sprung aus dem Boot, mit dem Boot, Verfolgungsfahrten und Fallschirmspringer mit punktgenauer Landung. Kaum eine Gefahr, die bei ihm nicht zu haben ist.
Der Stunt als Show
Meinel ist Spezialist in Sachen Quad und Autos. Natürlich: Meinel springt auch aus zehn Meter Höhe aufs Luftkissen und was sonst noch so anfällt, aber richtig drauf hat er’s mit Quad und Autos. Da wird er auch zum Showman. Man bucht ihn, wenn es um die besondere Show geht. (Das Wort ‘stunt’ kommt – wie sollte es anders sein — aus dem Englischen und steht für: Sensation, Schaunummer, Bravourstück.) Dergleichen wird nicht nur bei rollenden Filmkameras gebraucht sondern überall dort, wo die besonde-re Show geboten werden soll. „Das können Messen sein, aber auch Betriebsfeste“, erklärt Meinel. Fest steht: Wenn die Gage stimmt, ist die Show kein Problem.
Brillieren auf dem Hinterrad
Heute muss Meinel nicht ‘aufs Rad’. Er ist der Coach. 15 Motorradfreaks wollen ins Extreme: Rock auf dem Bock. Zwei Tage dauert der Workshop, und am Ende werden die Jungs auf dem Hinterrad brillieren können. Oder auch nicht. Es ist wie in der Kunst: Talent schadet nüscht. Trotzdem: Alles Abheben beginnt in der Theorie. Am ersten Tag. Wer nicht weiß wie’s funktioniert, der wird am Ende mit der Schwerkraft kollidieren. Das Gute für die Teilnehmer: Die eigene Maschine können sie ‘im Stall’ lassen. Das Arbeitsgerät stellt Meinels Firma. ‘Zig-Zag.Tv — Stunts & More’ steht auf Meinels schwarzem Overall. Die Stunt-Szene mag’s in Englisch.
Normalos im wirklichen Leben
Die Jungs, die hier an zwei Tagen jeweils acht Stunden die Physik ausreizen, haben nicht den Stuntman im Blick. Sie haben einfach Spaß am Besonderen. Im wirklichen Leben sind sie Normalos. Das Berufsspektrum reicht von Arzt bis Anlageberater. Mädels sind nicht dabei. „Natürlich gibt es längst jede Menge Frauen, die begeistert Motorrad fahren“, weiß Meinel, aber das hier ist schon eine besondere Nummer. (Von allen Kursteilnehmern sind gerade mal ein Prozent Frauen. Wenn’s hoch kommt.) Immerhin: Einer der Teilnehmer hat seine Freundin dabei. Die sitzt im Auto vor der Halle. Zwischendurch schaut sie mal rein. Drinnen ist Lärm. Drinnen hängt eine Spritfahne in der Luft, die sich gleich wie ein Pelz auf die Zunge legt. Männerparfum der anderen Art. Und Männerspiel der besonderen Art, aber: Spielerei ist das hier eigentlich nicht. Das hier ist harte Arbeit. Die Jungs (sie kommen aus der ganzen Re-publik, und Schweizer sind auch dabei) müssen Geduld mitbringen und Durchhaltevermögen. Sicherheit wird groß geschrieben. Ohne Helm und Protektoren kommt keiner auf die Maschine. „Gestern haben sich zwei hingelegt“, erzählt Meinel. Nichts Großes. Die beiden sind gleich wieder rauf auf die Maschine. Respekt ist okay und wichtig. Angst ist ein schlechter Beifahrer. Versichern muss sich jeder selbst. Und die beste Versicherung sind Vorsicht und eine gute Ausrüstung.
Wenn die Kette reißt
Das ‘Segeln auf dem Hinterrad’ ist für Mann und Maschine ziemlich anstrengend. „Die Moppeds werden im ersten Gang immer im oberen Drehzahlbereich gefahren“, erklärt Meinel. (Man hört’s.) Dazu kommt die ‘aufstrebende Haltung’. Da kann es passieren, dass das Motoröl nicht immer dahin kommt, wo es gebraucht wird. Das kennt man aus der Biologie. Ab und zu reißt auch eine Kette. Und auf den Motoren könnten die Jungs, wenn der Catering-Service mal ausbliebe, auch das eine oder ande-re Ei braten.
Feingefühl gefragt
Heute, am zweiten Tag, rocken sie in der Halle. Das Wetter will es so. Und der Sonntag auch. Draußen ist Muttertag, drinnen Motortag. Leise ist es nicht, wenn die Ma-schinen durchstarten. Was rasant aussieht, ist im übrigen keine Raserei. Es geht um Geschwindigkeiten zwischen 20 und 50 KaEmmHa. Im Prinzip also nichts Aufregen-des. Die Männer sind anderes gewohnt. Was hier trainiert wird, erfordert Feingefühl, und es hilft auch beim Zusammenwachsen von Mann und Maschine.
Der Schwerpunkt
Manche haben den Bogen schon ziemlich raus – andere quälen sich noch. Es ist halt nicht jedem gegeben. Gecoacht werden sie alle. Jeden einzelnen winkt Meinel nach zwei oder drei Versuchen zu sich und analysiert, was er sieht. Er macht Bewegungen vor, hebt die Arme, als hielte er einen Chopper-Lenker und schließt die Fäuste um die Griffe. Es geht um den Schwerpunkt.
Andere gehen ins Musical
Motiviert werden muss hier niemand. Schließlich haben alle, die hier sind, Lehrgeld gezahlt. Knapp 300 Euro kosten die 16 ‘Flugstunden’ — dazu kommen 25 Euro für die Verpflegung. Und wer von außerhalb kommt, muss halt noch für Unterbringung sorgen. Keiner von den Jungs macht den Eindruck, als täte es ihm leid ums Geld. Andere gehen ins Musical oder zum Boxen.
Denken Sie sich ein Alter
Angefangen hat Meinel in Düsseldorf. Danach kam Krefeld — dann hörte der Stunt-man, dass es in Weeze ‘was frei war’. Unter anderem kann er hier mit seinen Kursteilnehmern ‘unter Dach und Fach’ arbeiten. So kam der Mann, der seit 1992 Stunts macht, nach Weeze. Nach dem Alter lässt sich Meinel zwar fragen, Antworten be-kommt man nicht. Es ist halt ein bisschen wie im Film. „Denken Sie sich ein Alter aus.“ In jedem Fall ist Meinel einer, dem man den Spaß an der Sache anmerkt. Schreibtisch — das wäre sein Ding nicht. Aber viel Zeit zum Reden ist nicht — schließlich gibt er ‘Flugstunden’. Und nebenan auf der Rollbahn von Laarbruch heben andere ab.