Schreibkraft
Heiner Frost

Nach dem Essen schnell ins Bett

Eifel und Oberammergau

Otto Normalradfahrers Albtraum: Sechs Prozent Steigung und mehr. Oder: Regen plus Gegenwind. Für Norbert Hendricks ist all das Radfahreralltag. Der heute 64-jährige Pensionär fing schon früh mit dem Rad(eln) an. Mit 14 tourte er mal eben durch die Eifel, später gings mit dem Rad nach Oberammergau. Wo Max Mustermann das Flugzeug nimmt, steigt einer wie Hendricks auf sein Tracking-Rad und lässt es locker angehen. Viermal ist er schon nach Lourdes gefahren. Warum eigentlich Lourdes? Darüber hat Hendricks eigentlich noch gar nicht nachgedacht. „Das hat keinen besonderen Grund.“ Gerade ist es wieder mal vom berühmten Wallfahrtsort zurückgekommen. Die Daten: Hinfahrt elft Tage. 1.440 Kilometer. Rückfahrt neun Tage. 1.366 Kilometer. „Die Tagesstrecken liegen zwischen 120 und 150 Kilometer. Erholung gibt es erst am Ziel. Zwei, drei Tage vielleicht.“

Frankreich

Einer wie Hendricks fährt bei jedem Wetter. „Wenn du das nicht machst, kommst du nie an.“ (Der Autor verfällt angesichts solcher Aussagen in tiefe Depression.) Zurück zu Max Mustermann: Die Radfahrerformel: Wenig Gewicht. Viel Spaß. Hendricks fährt mit 17 Kilo Handgepäck. Und meist ohne Gattin Ursula. Zweimal ist sie mit nach Lourdes gefahren. „Da macht es natürlich mehr Spaß.“ Frankreich ist Hendricks‘ Land. Sogar die Sprache hat er eigens gelernt. Auch über das Essen spricht er mit Begeisterung. „Ein gutes Abendessen ist die schönste Belohnung.“ 21 Gänge hat das Rad — vier bis sechs das französische Abendmahl. Nach dem Essen geht es schnell ins Bett. Um halb zehn ist Zapfenstreich. Hendricks muss fit sein für den nächsten Tag. Apropos Fitness: 10.000 Kilometer legt Hendricks pro Jahr zurück. Zu Trainingszwecken. „Schließlich steigst du nicht einfach aufs Rad und fährst los.“

Erdumrundungen

Bei Hendricks steht jede Tour zu Buche. Ganz genau. Im Tourbuch findet sich jeder Tag, es findet sich jede Strecke. (Der Notstandsradler trifft im Tourbuch auf unheilvolle Zahlenkolonnen.) Es wundert nicht, dass eine Addition der Strecken zu dem Ergebnis führt: Norbert Hendricks hat die Erde mehrmals umrundet. Allein seit dem Vorruhestand stehen bei ihm rund 70.000 Streckenkilometer zu Buche. Die weiteste Tour führte ihn nach Santiago de Compostella in Spanien. 21 Tage, 2.260 Kilometer. (Im Kopf des Autors der verzweifelte Versuch, die selbst geradelten Kilometer zu addieren. Kein Kommentar.) Schon im Herbst wird sich Hendricks wieder für einen kleinen Ausflug (mit Frau Ursula) aufs Rad setzen: ‚Barcelona hin und zurück‘, heißt es dann. Barcelona … ist das nicht in Spanien? Ist das nicht ziemlich weit? Und sind da nicht auch noch Berge zwischen Reichswalde und der spanischen Grenze? Ja. Ja. Ja. Fünf Wochen werden die beiden unterwegs sein. „Auf dem Rad erlebst du eine Strecke in Echtzeit.“ (Fast: Nur Laufen ist echter.) Immerhin: „Da rauscht die Landschaft nicht als Grünstreifen am Fenster vorbei.“ Da ist viel Wahres dran. Und wie steht’s mit der Pannenstatistik? „Bei der letzten Tour waren es zwei neue Schläuche und ein neuer Reifen.“ Halb so wild. Der Autor nimmt sich vor: Wenn mal wieder alle Winde gegen ihn sind und die Kondition knapp wird, an Norbert Hendricks denken, ganz nach der Devise: Nur die Harten stehn im Garten.