Schreibkraft
Heiner Frost

Mit dem Fernglas zur Tankstelle

Herbert Verfürth und Christoph Scherschenewitz arbeiten beim Zoll. Sie gehören zur MKG — das steht für Mobile Kontroll-Gruppe. Die MKG existiert seit Januar 2001. Seit Gründung der MKG sind die beiden ein Team; sie sehen sich bei jeder Schicht — das ist fast wie verheiratet. Acht Stunden am Tag (es werden auch leicht mal mehr) zusammen unterwegs — das muss man aushalten. Ihr Revier ist die Straße, und die Liste ihrer Aufgaben ist lang. Das fängt beim Kraftstoffschmuggel an und hört mit Drogen längst noch nicht auf. Erfolg ist in diesem Job immer auch vom Zufall abhängig, denn das Revier ist groß, und wer weiß schon, welche „Kundschaft“ wann und an welcher Stelle anzutreffen ist. Manchmal allerdings weiß man es schon …

Wo die Nase versagt, hilft der geschulte Blick

Da ist beispielsweise L58. L58? Was ist denn das? Ein Bus. Der verkehrt zwischen Kleve und Nimwegen. Hier führt der Zoll regelmäßig Kontrollen durch, denn auf der Linie findet Drogentourismus statt. Wenn die beiden mit ihrem VW-Bulli an der Straße stehen, halten die Busfahrer gleich an. Man kennt sich. Das Verhältnis ist entspannt. Kontrollen müssen sein. Ein Blick in den Bus und die beiden wissen, was Sache ist. Was man braucht ist Erfahrung. Und einen guten Riecher. Im wahrsten Sinne des Wortes. „Haschisch und Marihuana sind zwar meist in Plastiktüten verpackt, aber der Geruch hängt trotzdem ziemlich verräterisch im Bus“, erklärt Herbert Verfürth. Natürlich riechen die beiden nicht immer, was Sache ist — aber wo die Nase versagt, hilft der geschulte Blick. Man kennt seine Pappenheimer. Ein Mittwoch im Kranenburger Ortsteil Frasselt. Verfürth und Scherschenewitz haben L 58 angehalten und steigen in den Bus, der mit rund 15 Passagieren besetzt ist. Mehr oder weniger zielstrebig steuert Verfürth einen Jugendlichen mit schief sitzender Basecap an. Er lässt sich den Ausweis zeigen. Kollege Scherschenewitz „bewaffnet“ sich mit blauen Gummihandschuhen — keine 30 Sekunden später hält er zwei kleine Plastiktütchen hoch. Marihuana. Für den Holländer ist die Fahrt erst einmal beendet. Die drei steigen aus. Der Bus setzt seine Reise fort. Der junge Mann, in Kuwait geboren und in Holland lebend, erzählt, dass er seinen Bruder besuchen wollte. „Wo wohnt der Bruder“, will Scherschenewitz wissen. „Kleve“, erwidert der junge Mann und fügt hinzu: „Prison.“ Gefängnis. Verfürth und Scherschenewitz untersuchen die Kleidung, den Rucksack, tasten den jungen Mann ab (beide tragen jetzt blaue Gummihandschuhe). Es bleibt bei den beiden Tütchen mit Marihuana.

Geringe Menge

Bürokratie nimmt ihren Lauf. Verfürth legt die Päckchen auf eine elektronische Waage. Der Kuwaiti schaut sich alles gelassen an.  Eine so genannte „geringe Menge“ wird festgestellt. Prognose: Wahrscheinlich wird das Verfahren eingestellt. Lohnt sich dann der Aufwand? Die Antwort ist ein klares Ja. Erstens spricht es sich herum — so wird also auch ein Abschreckungseffekt erzielt und zweitens kommt dazu, dass sich der junge Kuwaiti schon überlegen wird, was er beim nächsten Besuch mit in den Bus nimmt. Nicht alles, was in Holland nicht geahndet wird, ist deswegen auf der anderen Seite der „Grenze“ erlaubt. Spätestens, wenn es zur Gesetzgebung kommt, gibt es (nicht nur zwischen Deutschland und Holland) gravierende Unterschiede. Was heute ein kleiner Fisch ist, kann beim nächsten Einsatz ganz anders aussehen. Kürzlich noch hat einer auf die Frage „Haben Sie Drogen dabei?“ mit „Ja“ geantwortet. „Ja, wirklich, so was kommt vor“, erinnert sich Verfürth. „Der Mann hatte dann, nicht einmal großartig getarnt, über 10 Kilo Rauschgift auf dem Rücksitz seines Wagens.“ Zufall? Auch. Wären die beiden eine halbe Stunde später an derselben Stelle gewesen — der „Coup“ hätte nicht stattgefunden.

Ein Blick in den Tank

Aber es geht nicht nur um Drogen, wenn Verfürth und Scherschenewitz kontrollieren. Da wird auch schon mal nach dem Sozialversicherungsausweis gefragt. Keine Sorge — den muss nicht jederman ständig dabei haben. Es gibt allerdings Menschen, die auf Nachfrage besser nicht „ohne“ dastehen sollten. Taxifahrer, LKW-Fahrer oder Fahrer von Pizza-Taxis beispielsweise. An der Grenze in Wyler halten Scherschenewitz und Verfürth einen Kleinlieferwagen an. Drin zwei Männer, die offensichtlich in Holland gearbeitet haben.  Im Rückraum des Wagens: Maurerutensilien. Beide können auf Nachfrage den Sozi-Ausweis vorzeigen (mit Lichtbild sogar). Alles in Ordnung. Allerdings möchten die beiden Zöllner noch einen Blick in den Tank des Fahrzeugs werfen. Ja — auch das gehört zu den Aufgaben. In Holland nämlich ist nicht nur der normale Diesel preiswerter zu haben — es gibt auch speziell rot eingefärbten Dieseltreibstoff für Landmaschinen. Wer den tankt, zahlt die Hälfte des deutschen Preises — macht sich allerdings strafbar. Verfürth und Scherschenewitz zücken ihr Probenwerkzeug und saugen Diesel aus dem Tank. Der Treibstoff wird in ein mit Testflüssigkeit gefülltes Reagenzglas geschüttet. Jetzt heißt es: Kurz warten. Färbt sich die Flüssigkeit im Reagenzglas rot, haben die beiden ein Problem. Die Flüssigkeit im Gläschen bleibt durchsichtig. Alles klar — im wahrsten Sinne des Wortes. Die beiden können weiter fahren.

Fahrende Bomben

Scherschenewitz und Verfürth erzählen von den „fahrenden Bomben“. Da kommen Leute mit einem Kleintransporter an die (holländische) Tankstelle und haben hinten drin einen Tausend-Liter-Tank. Den füllen sie mit Diesel — das dauert circa 30 Minuten. Dann geht’s zurück. Wer nicht erwischt wird, hat dann schon den einen oder anderen Euro gespart. Aber wenn so eine fahrende Bombe einen Unfall hat, dann — da sind sich die beiden Zöllner einig — möchten sie nicht in den Nähe sein. Gestern noch haben sie einen Dieselschmuggler erwischt. Der war mit 1.000 Litern unterwegs. Aus der geplanten Ersparnis wurde ein kostspieliges Vergnügen. „Zunächst einmal werden bei 1.000 Litern 485,75 Euro Mineralölsteuer fällig“, erklärt Scherschenewitz. „Aber das ist noch nicht alles. Die Strafgebühr beträgt noch einmal rund das Doppelte.“ Der Wunsch nach dem „gesparten“ Euro macht die Leute erfinderisch. Da wird plötzlich Heizöl in eine Kiesgrube geliefert, wo weit und breit kein Ofen ist. Klar: Die Maschinen mit Heizöl zu betanken, „spart“ eine Menge Geld, denn auf Baustellen wird anders getankt: Wo beim Mittelklassewagen zwischen 30 und 50 Litern im Tank verschwinden, sind es beim Bagger oder anderen Großmaschinen schnell mal 500 und mehr.

Stichproben. Verunsichern.

Die Aufgabe der MKG: Kontrollieren. Jede Kontrolle spricht sich herum — egal, was gerade kontrolliert wird. Wenn die beiden den L58 anhalten, brauchen sie auf den nächsten Bus nicht mehr zu warten. So was macht schnell die Runde. Bei der nächsten Fahrt weiß die Kundschaft längst Bescheid. So heißt die Devise: Stichproben. Versunsichern. Und manchmal sitzen die beiden auch eine halbe Stunde und länger mit dem Fernglas im Wagen und beobachten eine Tankstelle. Kein Job für den schnellen Erfolg. Noch dazu einer, der gerade dann am besten gemacht wäre, wenn es nichts mehr zu beanstanden gäbe. Aber das wird so schnell nicht passieren. Kurz vor Schichtende fällt den beiden ein „Museumsstück“ aus Tschechien auf. Der Wagen ist gut und gerne dreißig Jahre alt: Motor hinten. Vorne sind zwei Gastanks eingebaut. Eine vom Rost und ein paar Schrauben zusammengehaltene Bombe. Auch hier möchte man bei einem Unfall lieber weit weg sein. Verfürth und Scherschenewitz radebrechen mit den beiden Männern. Die haben jeder ein Messer dabei, dazu noch einen Elektroschocker. Verdächtig ist das schon, aber nach einer gründlichen Kontrolle nebst Drogenschnelltest wird das Ergebnis negativ sein. Die zwei werden sich in ihrer Bombe auf den Heimweg machen. Für Scherschenewitz und Verfürth heißt es: Zurück zur Dienststelle und den Schreibkram erledigen.