Wem’s nicht schmeckt, der hat halt Pech
In der christlichen Seefahrt ist die Position des Küchenchefs seit jeher risikobehaftet. Die Herren der Töpfe leben gefährlich, denn wer den Matrosen wochenlang mieses Essen vorsetzt, wird schon mal kielgeholt. Walter Birkholz ist zwar nicht bei der Marine, aber seine Kunden können — ähnlich wie Matrosen — nicht entkommen. Was Birkholz kocht, kommt auf den Tisch. Und wem’s nicht schmeckt, der kann nicht mal eben zum Imbiss um die Ecke. Birkholz kocht in der Klever Justizvollzugsanstalt (JVA). Berufsbezeichnung: Justizvollzugsbeamter. Seit 1976. Seit 1982 ist sein Reich die Küche. Koch im Knast, das hat zwar einerseits mit Sternekochen nichts zu tun, aber Brot und Wasser? Von wegen …
Ein ganz normaler Arbeitstag beginnt für Birkholz um 5.15 Uhr. Genauer gesagt: Dienstbeginn ist 5.15 Uhr. Schließlich wollen rund 240 Insassen um 6 Uhr ihr Frühstück. In der Küche arbeiten neben Justizvollzugsbeamten auch Häftlinge. „Wir haben bei uns sechs Gefangene in der Küche“, erklärt Birkholz. Die Küchendienstler sind allesamt handverlesen. Wer in der Küche arbeiten möchte, muss einen jährlichen Gesundheits-Check über sich ergehen lassen. Das gilt für die Beamten wie auch für die Häftlinge. Und was die Häftlinge angeht, ist Verlässlichkeit eine wichtige Voraussetzung. Zum einen ist Frühaufstehen selbstverständlich — zum anderen hantiert das „Personal“ bei der Arbeit nicht nur mit dem Kochlöffel — auch Messer gehören zum Werkzeugarsenal eines Kochs.
Drei Sorten Brot
Um 5.30 Uhr morgens kommen der sogenannte „erste Koch“ und der „Brotschneider“. Sie helfen bei der Vorbereitung des Frühstücks. Allerdings muss der „Brotschneider“ nicht selbst zum Messer greifen. Dafür gibt es einen exakt programmierten Schneide-Computer. Das Brot — drei Sorten werden angeboten — kommt aus der JVA Willich. Alles, was sonst in der Küche gebraucht wird, kommt aus dem ganz normalen Großhandel. Die Küche der Klever JVA ist ein weitgehend autonom arbeitender „Staat im Staate“. Birkholz und sein Kollege Ernst Eberhard managen alles — egal, ob Bestellung, Einkauf oder „Kochvollzug“. Nicht verwunderlich, dass im Hintergrund der Computer längst unersetzbar ist. Schließlich kann Birkholz die Esspläne nicht einfach nach Lust und Laune „komponieren“. Es gilt, genaue Vorschriften einzuhalten. Es geht um Nährwert und Kalorien. Rund 60 verschiedene Menus hat Birkholz derzeit „im Umlauf“. Das ist weit mehr Abwechslung als in so mancher Haushaltsküche.
Auch ‚koscher‘ gehört ins Programm
Aber nicht nur der Nährwert bestimmt die Menufolgen. Bei einem Knast, in dem annähernd 40 verschiedene Nationalitäten einsitzen, kann nicht jeder alles essen. „Da kann es vorkommen, dass man plötzlich koscher kochen muss“, erinnert sich Birkholz. „Diesen Fall haben wir gehabt. Wir haben dann einen Rabbiner befragt. Der schlug vor, das Essen von einem Catering-Service für Fluggesellschaften zu besorgen.“ In der Klever JVA sitzen aber auch Mohamedaner ein. Da gelten andere Verpflegungsregeln. „Wir achten dann beispielsweise darauf, dass die entsprechenden Gefangenen kein Schweinefleisch zu essen bekommen“, zählt Birkholz nur einen Aspekt auf. Wer Vegetarier ist, hat allerdings keinen offiziellen Anspruch auf vegetarische Ernährung. Das gilt nur für religiös bedingte Ernährungsvorschriften. Ach ja: Und natürlich hat auch die Anstaltsärztin ein gewichtiges Wort mitzureden. Da gibt es Diabetikerkost und alle möglichen Diäten, oder es gibt Gefangene, die Sonderobstrationen bekommen. Kurz gesagt: Die Logistik ist gewaltig. Und eines ist sicher: Birkholz und seine Kollegen haben zu den festgesetzten Zeiten mit dem Essen „rüber zu kommen“. Entschuldigungen gibt es kaum.
Testesser aus der Verwaltung
Da müsste der Strom ausfallen oder die Maschinen müssten den Geist aufgeben. Natürlich: Routine ist vorhanden, aber trotzdem ist jeder Tag eine neue Herausforderung. Mit dem oft geschmähten Beamtenjob, dessen wichtigstes Requisit der Wecker ist, hat das nichts zu tun. Birkholz und seine Kollegen können froh sein, wenn sie ihr Tagespensum über die Runden bekommen. Und noch eins ist wichtig: Im Knast gibt es kein Betriebsferien. So kommt es, dass Birkholz Weihnachten zu einem großen Teil der in der JVA-Küche verbringen wird. In einer Justizvollzugsanstalt hat die Verpflegung einen hohen Stellenwert. „Wir sind hier nicht unwesentlich an der Gesamtstimmung beteiligt“, ist Birkholz sicher. So gibt es täglich „Testesser“ aus der Verwaltung. Die tauchen zur Mittagszeit in der Küche auf und arbeiten sich durchs Menu. Anschließend müssen sie ihre Beurteilung in ein eigens ausliegendes Buch eintragen. Wer sich durch die Beurteilungen liest, stößt auf viel Zufriedenheit. Mit den Kostproben allein allerdings ist man längst noch nicht auf der sicheren Seite. Über Geschmack lässt sich streiten — über Messwerte nicht. „Wir sind verpflichtet von jedem Tagesmenu eine 100-Gramm-Probe für 96 Stunden einzufrieren“, erklärt Birkholz. So besteht jederzeit die Möglichkeit, eine Untersuchung durchzuführen, wenn auch nur der leiseste Verdacht auf eine Nahrungsmittelvergiftung auftauchen sollte. Derzeit liegt das Budget für eine Tagesverpflegung irgendwo zwischen 2 Euro und 2,20 Euro. Darin enthalten: Frühstück, Mittag- und Abendessen. Und natürlich stehen die Anforderungen genau zu Buch. Beispielsweise bekommen alle Gefangenen, die einer Arbeit nachgehen, zusätzlich zum Frühstück um 6 Uhr ein sogenanntes Arbeitsfrühstück: 2 Scheiben Brot, 10 Gramm Margarine und 50 Gramm Belag. Gibt es mittags Kartoffeln, stehen jedem Gefangenen 800 Gramm zu. „Das isst kaum einer auf“, weiß Birkholz, denn: Die Kartoffeln sind ja nur die Beilage. Natürlich stehen auch Reis und Nudeln regelmäßig auf dem Speiseplan, der übrigens wird lange im Voraus zusammen gestellt wird. Das ist wichtig für den Einkauf und den Gesamtablauf. Manches Mittagessen beginnt mit einem Vorlauf. „Einen Sauerbraten müssen wir drei oder vier Tage vorher einlegen“, erklärt Birkholz. Natürlich sind auch Fleischportionen in ihrer Menge nicht dem Zufall überlassen. 150 Gramm Roheinwage heißt es beim Braten. Heute gibt es Möhrengemüse mit Kartoffeln und Königsberger Klopse. 100 Gramm Hack pro Mahlzeit, 250 Gramm Möhren und 800 Gramm Kartoffeln. Insgesamt werden 200 Kilo Kartoffeln „verfrühstückt“. Die müssen geschält werden — gottseidank nicht von Hand sondern per Maschine, „aber wenn die Kartoffeln maschinell geschält worden sind, müssen sie nachbearbeitet werden“, erklärt Birkholz. Nachbearbeiten — das bedeutet: Die „Augen“ müssen entfernt und schlechte Stellen herausgeschnitten werden. Die Zwiebeln allerdings werden von Hand geschält. Die Helfer sind mit einem eisernen Schutzhandschuh und einem Messer ausgerüstet.
Essen und Sicherheit
Birkholz und seine Kollegen sind nicht nur für das Essen zuständig, sondern natürlich auch für die Sicherheit. Da ist es wichtig, die Befindlichkeiten der Mannschaft genau im Auge zu haben. Wenn sich in der Küche ein Streit entwickeln würde, könnte das angesichts der Messer schnell und im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen. Wenn die Köche mit dem Mittagessen fertig sind, kommen gegen 11.45 Uhr die „Hausarbeiter“. Die holen in großen Kübeln das Essen ab und verteilen es dann in den einzelnen Abteilungen. Merke: Natürlich können nicht alle Häftlinge gleichzeitig ihr Essen fassen. Die Crew arbeitet sich von Zelle zu Zelle durch. Daher ist es wichtig, dass nicht immer am selben Ende des Ganges angefangen wird. Die Regel lautet: Wenn der Letzte sein Essen bekommt, muss dass noch eine Mindesttemperatur von 65 Grad Celsius haben, und während die Häftlinge sich das Essen schmecken lassen, laufen in der Küche längst die Vorbereitungen für die nächste Mahlzeit. Nach den (Koch) Sternen greifen muss einer wie Walter Birkholz nicht, aber wenn es am Ende der Mehrheit der Kostgänger geschmeckt hat, ist das schon gut.