Schreibkraft
Heiner Frost

Herr der Häcksler

Das kleine Laster

Wir haben alle unser kleines Laster. Manchmal allerdings kann es sein, dass es nicht das Laster“ist, sondern der Laster“— oder Ähnliches. Traumberuf Lokführer? Warum nicht. Aber wie wär’s mit Maishäckslerfahrer? Mathias Linders erfüllt sich manchmal diesen kleinen Wunsch. Im wirklichen Leben Justizwachtmeister, wird er ab und an im Urlaub zum Herrn der Häcksler.

Mähen nach Plan

Irgendwo auf einem Maisfeld im Klever Land. Das Wetter ist gut. Die Ernte läuft auf vollen Touren. Der Häcksler auch. Mathias Linders ist früh aufgestanden. Wenn andere im Urlaub die Beine hoch legen, klettert er die sieben Stufen zum Cockpit seines Maishäckslers hoch. Hightech allüberall. Der 500-PS-Gigant sieht zwar äußerlich wie ein Mähdrescher aus, aber im Hirn der Maschine haben längst Computer Einzug gehalten. Fünf Stück sorgen dafür, dass beim Mähen alles nach Plan verläuft.

Zwei Hektar im Einreiher

Mathias Linders ist eigentlich Justizwachtmeister am Klever Landgericht. Lang, lang ist’s her, dass er auch Nebenerwerbslandwirt gewesen war. Vielleicht kommt der Hang zur Landwirtschaftstechnik ja da her. Linders hat schon einiges erlebt. Vor 27 Jahren bedeutete Maisernte: Zwei Hektar pro Tag im Einreiher. Aha! Und was, bitte, heißt das im Klartext? Nun ja: Zwei Hektar, darunter kann Mann sich etwas vorstellen. Und was heißt einreihig? Der Häcksler hat einen Mähvorsatz — Gebiss genannt. In diesem Gebiss verschwindet der Mais. Früher nahm das Gebiss eine Reihe Mais auf — heute sind es schon sechs und mehr. Es gibt auch Maschinen, die zehn Reihen schaffen. 600 PS auf vier Rädern — jedes von ihnen größer als ein Kleiderschrank. Von so einer Maschine träumt Mathias Linders.

6-er Gebiss

Vorerst allerdings nimmt er Vorlieb mit dem 6er Gebiss. Damit schafft er heute in einer Stunde, was früher einen Tag dauerte. Fortschritt auf dem Feld. Der allerdings hat seinen Preis: 500 PS — Kraftstoffverbrauch 1 Liter Diesel pro Minute. Zu haben ist eine solche Maschine nicht für kleines – 250.000 Euro und mehr sollte man schon aufbringen können. Dafür ist dann allerdings das Cockpit auch voll klimatisiert.

Die große Maisschlacht

Wenn Linders morgens zur großen Maisschlacht ausrückt, ist er allerdings nicht allein. Zu einer Häckslerkolonne gehören zwei Trecker, die im Wechsel die Silage abfahren: 40 Kubikmeter pro Hänger. Schnittgewicht: 17 Tonnen. Keine Viertelstunde braucht der Häcksler, um den Hänger voll zu spucken. Mit in der Kolonne: Ein Radlader, der beim Bauernhof die Silage verteilt. Wenn es heute nach Hause geht, werden die drei  Maschinen zusammen cirka 1.200 Liter Kraftstoff verbraucht haben. Ein Mittelklassewagen mit einem Durchschnittsverbrauch von 5 Litern pro 100 Kilometer würde mit dieser Menge um die halbe Welt fahren: 24.000 Kilometer – eine Menge Holz.

Schnitzeleintopf

Der Häcksler macht bei der Ernte übrigens ganze Arbeit. Wer da glaubt, es würde — wie beim Getreide — die sprichwörtliche Spreu vom Weizen getrennt, also: der (Mais)Kolben seperat geerntet, hat sich getäuscht. Es geht beim häckseln nicht um die Herstellung von Speisemais für die Küche, sondern um Silage für das Liebe Vieh. Der Häcksler macht aus Kolben, Stängeln und Blättern einen 4 bis 17 Millimeter langen Schnitzeleintopf. Nachdem der Mais im Gebiss des Häckslers verschwunden und auf die gewünschte Länge geschreddert worden ist, gilt es, die Maiskörner zu cracken. Dazu dient der Corn-Cracker — zwei gegenläufige Walzen, zwischen denen die Körner zerrieben werden, denn: Ganze Körner sind für das Vieh ohne Nutzen. Sie würden das Verdauungssystem ungenutzt passieren und somit verschwendet. Das wäre so, als würde unsereiner Kirschkerne essen. Der Corn-Cracker ist, ähnlich wie die Schnittstelle beim Computer, eine Art Flaschenhals. Durch ihn zwängt sich das gesamte Material, das anschließend durch einen schornsteinähnlichen (und schwenkbaren) Ausleger auf den Hänger gespuckt wird, der immer parallel zum Häcksler fährt. Synchronität ist angesagt beim Ernteteam, denn was da in einer Sekunde aus dem metallenen Rüssel geflogen kommt, würde reichen, um mehrere Schubkarren randvoll zu machen. Das Häcksler-Cockpit ist in luftiger Höhe, denn der Fahrer muss natürlich zu jeder Zeit den Überblick haben und Futtermais wächst hoch — das können schon mal an die  drei Meter sein. Während Linders also den Tag auf dem Feld verbringt, pendeln die treckerfahrenden Kollegen alle 15 Minuten zwischen Hof und Feld hin und her — je nach Wetterlage ist das eine nicht immer besenreine Angelegenheit und somit eines der gravierenden Probleme während der Erntezeit. Die riesigen Reifen transportieren den schweren Boden auf die Straße. Linders und seine Kollegen stellen regelmäßig Warnschilder auf. Zum Thema „Ernteschmutz sagt der Pressesprecher der Polizei, Heinz van Baal: „„Natürlich gilt: Wer die Straße verschmutzt, muss sie nachher auch wieder sauber machen.“ Während allerorten die Erntedankfeiern längst stattgefunden haben, läuft die Mais- und Rübenernte noch immer auf vollen Touren. Und solange noch ein Maisfeld ungemäht herumsteht, haben Linders und seine Kollegen erst mal jede Menge Arbeit.

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