Die Sache ist so klar, dass man sich fragt, warum nicht schon längst jemand mit dieser Idee um die Ecke gekommen ist: Den Leuten Honig um den Mund schmieren. Glückstherapie der besonderen Art. Der Honig – gewissermaßen rein virtuell. Bisher jedenfalls. Jetzt kommt einer und nimmt die Sache wörtlich …
Dass einer in einen Supermarkt geht und den Leuten (wirklich) Honig um den Mund schmiert, könnte natürlich eine geniale Aktion der Imker-Innung oder aber der Honig-Industrie sein. Endlich mal steht da nicht jemand mit dem Brillenputztuch, der autoimmunen Betonraspel mit Solarantrieb oder dem rechnergesteuerten Forellenentgräter. Janusz Grünspek wird am Donnerstag und Freitag (8. und 9. Juni) jeweils zwischen 19 und 21 Uhr den Menschen Honig um den Mund schmieren und dafür nicht Worte verwenden, sondern das Echte: Honig. Aufführungsorte der Honigaktion sind zwei Edeka-Märkte in Kleve. Am Donnerstag Brüggemeier, am Freitag Schroff. Es könnte, um einmal im Verkehrsjargon zu sprechen, zu erheblichen Staus kommen. Grünspek ist – soll man es sagen? – Künstler. Ist das Ganze also nur Verar…? Von wegen. Endlich einmal meint es einer ernst. Und warum geht der nicht ins Museum mit seinem Honigsegen? Die Antwort ist fast schon entwaffnend: „Es hat“, sagt Grünspek, „natürlich etwas mit der Besucherfrequenz zu tun.“ Da könnte was dran sein. Und was, wenn man die Sinnfrage stellt? Dann ist man mitten in einen Essay über die Kunst geraten. Malt einer ein Bild und hängt es an Galerie- oder Museumswände, tritt ein gewissermaßen automatisierter Seligsprechnungsprozess in Gang. Was im Museum hängt, muss ja …. und so weiter. Grünspeks Aktion ist eine von den Dasätteichdochauchgekonntideen. Darauf müsste man dann die Undwarumhastduesdannnichtgemachtanwort geben.
Wahlkampf
Aber wenn sich einer in den Supermarkt stellt und den Leuten Honig um den Mund schmiert, könnte das ja vielleicht auch das Aufkeimen des Bundestagswahlkampfes signalisieren. „Von welcher Partei sind Sie denn“, möchte man fragen, und vielleicht würde Grünspek die Aufmerksamkeitspartei erfinden. Wer weiß das schon? Dass überhaupt Fragen aufkommen zeugt ja schon von Beschäftigung. Grünspek ist nicht der Aufwiegler. Eher schon ein Kommunikator. Was er veranstaltet, ist Wahlkampf der künstlerischen Art. Standpunkte sind gefragt. Grünspeks Aktion ist für ihn Teil seines Projekts Kunst 4.0. Grünspek ist einer, der schon immer Ver-rücktes zentralisiert und thematisiert hat. „Aber bisher hat Vieles davon in der geschützten Umgebung von Museen oder Ateliers stattgefunden.“ Jetzt geht es raus an die „Kundenfront“ – und das gleich im doppelten Sinn, denn wer sich von Grünspek verhonigen lässt, ist gewissermaßen Doppelkunde. Da ist der Supermarkt auf der einen Seite und die Kunst auf der anderen. Man gerät ins Grübeln. Und ins Kommunizieren, denn wo sich einer anschickt, etwas derartiges zu tun, ist ja meist die Sinnfrage nicht weit. Grünspeks Aktion, könnte man sagen, bewegt sich zwischen Bedürfnis und Realität.
Honigtour
Wer ließe sich nicht gern Honig um den Mund schmieren? Ganze Industrieen leben davon, uns mit guten Gefühlen zu versorgen. Und jetzt kommt ein Künstler und nimmt es einfach mal wörtlich, denn: Wer am Donnerstag und Freitag den Honigschmeichler aufsucht, wird nicht mit virtuellem Lob abgespeist, oder mit einer zu Tode kommerzialisierten Idee von der Freiheit des Individuums (schließlich haben wir alle unseren ganz persönlichen Klingelton), sondern bekommt es mit zuckersüßem Honig in der eigenen Mundwerksregion zu tun. Dem Grünspek gefällt die Vorstellung, dass dann Leute durch den Markt laufen, die sich den Honig vom (vorzugsweise eigenen) Maul lecken.
Grünspeks Honig-Aktion hat eigentlich alles, was sich heutzutage perfekt vermarkten lässt: Sie generiert Aufmerksamtkeit für Kunst und Markt, lässt sich vortrefflich abbilden (also filmen) und kommt auch noch mit einem hohen Spaßfaktor daher. Schon sieht man Grünspek mit seinem Honigsegen auf großer Tour. Für die „Beschmierten“ gibt‘s ein Zertifikat – das Ganze ist für die Inempfangnehmer auch noch kostenlos. (Darfdattdenn?) Und vielleicht denkt ja mancher hernach bei der Suche nach tieferem Sinn und Zweck darüber nach, ob Grünspeks Aktion so irgendwo ganz am Rande auch Kunst- oder Konsumkritik ist. [Vielleicht könnte man ja auch denen, die sonst bei den“ Tafeln“ anstehen, den Gang in den Supermarkt empfehlen, damit sie sich – ganz ohne Punktabzug – eine Dosis vom süßen Leben abholen.] Nachdenken ließe sich auch darüber, ob Lob nur positiv zu sehen ist, oder ob man mit Lob (dem Nichthoniglob)auch zum Steuerer wird. Eine äußerst doppelwandige Angelegenheit also, die auch dem Ewigkeitsanspruch der Kunst ein Schnippchen schlägt. Man wünscht Tournee und Erfolg. „Schreib was Schönes“, sagt der Künstler – man stutzt und nimmt einen tiefen Zug aus dem Honigglas.