Schreibkraft
Heiner Frost

geglaubt, gewusst, geahnt – ein Versuch über die Wirklichkeiten

Vielleicht geht es um Zumutbarkeiten, vielleicht um die Angst – um Möglichkeiten, (s)ein Leben zu leben. Vielleicht geht es um Vertrauen und die Frage, ob Wahrheit ihre Einzigartigkeit verloren hat. Vielleicht hatte sie niemals eine? Vielleicht dienen Zeiten wie diese als Brennglas, weil sie Dinge offenbaren, die sonst gut versteckt, gut verstaut im Dunkeln bleiben …

Filter

Andrea Scheerer ist eine, die nachdenkt, mitdenkt, weiterdenkt. Natürlich ist sie damit kein Einzelfall. Andere tun das auch. So war es immer und so wird es immer sein. Aber in Zeiten, in denen Nachrichten und Gedanken im Sekundentakt den Erdball fluten, sind Filter wichtig. „Ich möchte nicht, dass es irgendwann in Bezug auf Corona zu einer Impfpflicht kommt“, sagt Scheerer und sie sagt auch, dass sie keine App möchte, mittels derer man durch die Stadt geht und angezeigt bekommt, ob sich Infizierte in der Gegend befinden. Nein – die Scheerer ist keine, die alles Impfen ablehnt. „Ich selber bin gegen Tetanus geimpft“, sagt sie und ihre Kinder sind es auch. Dass sich da eine ultimativ und allumfassend weigert, kann man nicht behaupten. Scheerers Thema ist die Vereinnahmung (durch ein System) einerseits und die Vereinsamung infolge der Angst andererseits. Alles Dinge, die es auch vor Corona gab und (leider) auch nachher wieder geben wird. „Ich frage mich, wie wir die Menschen aus der Angst herausholen“, sagt Andrea Scheerer.

Ein Brief

Am Anfang dieser Geschichte: Ein Leserbrief. Ein Leserbrief mit der Bitte, ihn anonym zu veröffentlichen. Geht nicht. Unterhalten wir uns doch lieber und sehen, wo es juckt in der Seele. Ein drückender Schuh – das wirkt zu harmlos. Was muss passieren, dass Menschen Bedenken haben, ihre Meinung zu äußern, frage ich mich. Natürlich gibt es viele Gründe. Einer davon ist sicher, dass es zunehmend schwieriger zu sein scheint, andere Meinungen auszuhalten. Und damit das klar ist: Es geht nicht um menschenverachtende Meinungen, die nirgends einen Platz finden sollten. Andrea Scheerers Ängste, die man vielleicht besser Bedenken nennen sollte oder Einwände, sind nicht menschenverachtend, weil sie eigentlich in den Kern des Menschlichen vordringen. Dass jemand einer eventuellen Impfpflicht kritisch entgegensieht, ist kein Problem. Scheerers Bedenken zielen in eine Richtung, die man vielleicht so umschreiben könnte: Diese Krise darf nicht zum Instrument werden. Das unterschreibt man. Schwieriger wird es bei den Thesen, die das Virus als gemacht darstellen. Nicht die Krise ist dann das Instrument sondern das Virus selbst. Schnell wird die Sache unüberschaubar, denn Argumente finden sich heutzutage für so ziemlich alles. Sie offenbaren aber auch das Grundproblem der Information: Wie kann einer wissen, was die Wahrheit, was Fakt ist? Selbst Experten sind uneinig. Zwei Experten – zwei Meinungen. Lockerungen – ja oder nein? Auch Scheerer ist froh, in einer Situation wie dieser nicht Politiker zu sein und entscheiden zu müssen. Ihr Eindruck: Die Medien informieren zu einseitig. Mein Einwand: „Die Medien“ – das kommt sehr pauschal daher. Das wirkt wie der Kamm, der alles schert – der keinen Unterschied macht.

Ein Virus wie alle anderen?

„Corona ist ein Grippevirus, wie es viele andere gibt, er kann tödlich sein für Menschen, die altersschwach sind oder schwere andere Krankheiten haben. An Influenza sterben viel mehr Menschen. Der Coronavirus hat uns in Angst und Schrecken versetzt“ – all das lässt sich nachvollziehen. Aber hatte man nicht auch von Todesfällen gehört, bei denen es um junge Menschen ohne Vorerkrankungen ging? Was soll man sagen? Wie sich verhalten? Niemalsnie sollte man – in der Geschichte oft genug geschehen – Opfer zu Schuldigen machen. Nein – das tut die Scheerer nicht. Ob da Ängste geschürt werden, die am Ende als Impfknebel genutzt werden, ist schwer zu entscheiden. Dass Menschen mit Titeln zitiert werden, macht eine Sache weder glaub- noch unglaubhaft. Wie einer die Welt sieht, hat mit vielen Aspekten zu tun und zwei, die auf unterschiedlichen Seiten stehen, sehen am Ende noch immer dieselbe Welt – das aber ist nur richtig aus der Perspektive des Dritten, der seine Welt als Bezugssystem für die beiden anderen gültig macht und letztlich auch gar nichts anderes tun kann, weil es eine Welt sonst nicht gäbe. Andrea Scheerer ist eine, die der Welt auf den Grund geht – die sich informiert.

Empfehlung?

„Können Sie nicht das Buch ‚Virus-Wahn‘ empfehlen, das in der kommenden Woche in einer Überarbeitung erscheinen wird?“ „Ich kann es schwer empfehlen. Ich kenne es ja nicht – habe es nicht gelesen. Und wenn überhaupt, würde ich dann gern auch ein Buch empfehlen können, das sich auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung macht. Auch das kann ich nicht. Aber ich kann schreiben, dass Sie sich wünschen, dass viele Menschen dieses Buch lesen. Es kann doch am Ende immer nur um das eigene Urteil gehen.“ „Das finde ich gut“, sagt Andrea Scheerer. Die Weltbevölkerung sei für Wochen in Angst und Schrecken versetzt, damit sich alle anschließend ‚freiwillig‘ impfen ließen. Das kann man so sehen. Es ist eine Frage des inneren Koordinatensystems. „Wir sind alle mehr und mehr in ein System eingespannt“, sagt Andrea Scheerer und ich sehe vor meinem geistigen Auge einen Schraubstock, der sich langsam zuzieht. Ja – das kann man so sehen und an das Leben des Brian denken: „Es ist völlig unnötig einem Menschen zu folgen, den ihr nicht kennt. Ihr müsst nur an euch selbst denken. Ihr seid doch alle Individuen“, sagt der Irrtumsprophet und aus der Menge echot ein synchronhundertfaches: „Ja, wir sind alle Individuen.“ Dass ein Virus in der Welt ist und Angst und Schrecken verbreitet, ist schlimm genug. Sich vorzustellen, dass da etwas am Labortisch entstanden ist, um hernach als Instrument der Vereinnahmung zu dienen, ist ein Gedanke, den man nicht zu enden denken und dem man nicht folgen will. Man möchte an den Zufall glauben, der uns zum Nachdenken „zwingt“ und zu einer Inventur von Sinn, Verstand und Selbstverständlichkeiten, die keine sind.

Recherchieren

Andrea Scheerer unterstützt die Ansicht, dass es darum geht, Fakten zu recherchieren – sich ein Bild zu machen. Das Problem liegt darin, auszuhalten, dass es mehr als ein Bild gibt. Es ist nicht Scheerers Problem – es ist das Problem eines schwindenden Urvertrauens. Liebe ist ohne Hass nicht denkbar und Vertrauen nicht ohne Zweifel. Es gibt kein Gegenteil von etwas, das nicht existiert und sobald etwas zu existieren beginnt, wächst gleichzeitig ein Gegenteil. Man muss das ertragen können. Das macht Arbeit. Es macht Sorgen. Es macht Ängste – aber am anderen Ende der Angst wächst das Vertrauen. Daran appelliert auch Andrea Scheerer: Sich ein Bild machen – die Dinge nicht einfach nehmen, wie sie dargestellt werden. Man landet bei einem Dreiklang aus Glauben, Wissen und Ahnung. Letzteres ist der Anker, den der Instinkt in die Wirklichkeit wirft.
Vielleicht sind uns die Instinkte abhanden gekommen – jene jedenfalls, die den Un-Sinn von der Wirk-lichkeit trennen. Vielleicht fehlt es am Ursprünglichen. Vielleicht ist – nicht nur in diesen Zeiten – mehr als Ursprünglichkeit gefragt …

„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort, an dem wir uns treffen.“ (Dschalal ad-Din Rumi (1207 – 1273)