Seit Anfang Oktober ist das Museum Kurhaus Kleve wieder für Besucher geöffnet. Ja, es gibt Dinge zu sehen, aber die Sache ist – sagen wir: überschaubar. Das ändert sich ab dem 26. Oktober, denn dann wird mit „More than ever! The Collection“ die Neupräsentation der Sammlung eröffnet. Ein Gespräch mit Kurhaus-Chef Harald Kunde …
Ich habe zuhause circa 2.000 Filme. Wenn mir jemand sagen würde, ich soll die besten 50 aussuchen, würde ich wahrscheinlich ein paar Wochen schlecht schlafen. Du bereitest eines Neupräsentation der Sammlung. Wie viel Kopfzerbrechen bereitet das?
KUNDE: Kleine Korrektur am Anfang. Ja – ich habe den Hut auf bei dieser Neupräsentation, aber ich bin nicht derjenige, der allein entscheidet. Ich verstehe mich als Ideengeber im Austausch mit Susanne Figner und Valentina Vlasic. Und natürlich berate ich mich auch mit den Technikern. Ich beginne – ganz old school – mit Skizzen der einzelnen Räume. Da lege ich den Plan nieder. Dann werden die Arbeiten tatsächlich physisch an ihren Platz gebracht …
… und dann folgt der Realitätstest …
KUNDE: Genau. So etwas zu planen ist irgendwie schwierig und spannend zugleich. Es geht um den lebendigen Umgang mit der Sammlung und genau den wünschen wir uns ja.
Manchmal unterscheiden sich ja Wunsch und Wirklichkeiten …
KUNDE: Es gibt da natürlich diverse Aspekte. Wir möchten bestimmte Erwerbungen, Dauerleihgaben und Schenkungen erstmals der Öffentlichkeit zeigen. Es gab also für die Präsentation bestimmte Dinge, die gesetzt waren. Drumherum dann das hoffentlich spannende Gemisch aus Klassikern, die man mit dem Haus verbindet und der einen oder anderen ‚Neuentdeckung‘.
Wie geht man das an?
KUNDE: Man versucht, stimmige Räume zu schaffen, die einerseits eine gewisse chronologische Linie bedienen und andererseits ein Zusammenwirken der Arbeiten im Raum herstellen. Das ist sehr wichtig. Das funktioniert tatsächlich nur mit den Originalen. Man kann sich Dinge im vorhinein vorstellen, aber erst wenn die Arbeiten dann im Raum an der Wand lehnen, merkst du sehr deutlich, ob es funktioniert.
Gibt es weitere Aspekte?
KUNDE: Natürlich. Wir wollen ja versuchen, das zu zeigen, was die DNA dieses Museums ausmacht.
Okay. Was ist die DNA der Museums?
KUNDE: Da wären die spätgotischen Skulpturen, die Bestände von Beuys und Mataré, die klassische Avantgarde – also beispielsweise Richard Long, Jannis Kounellis, Giuseppe Penone – und schließlich die wichtigen Ankäufe der Gegenwartskunst aus den letzten zehn Jahren. Da sind Skulpturengruppen von Magalie Reus, Franka Hörnschemeyer erstmals zu sehen oder Leihgaben von Andreas Smitten …
… ich hake mal kurz ein beim Wort Leihgaben. Ich dachte, wenn von einer Sammlungspräsentation die Rede ist, werden museumseigene Bestände gezeigt. Oder sind da Dauerleihgaben gemeint?
KUNDE: Das sind in der Tat zum Teil Dauerleihgaben. Nehmen wir mal die Skulpturengruppe von Andreas Smitten. Die gehört einem Privatsammler, der unserem Haus wohl gesonnen ist und gesagt hat: „Ich gebe euch die gern, solange ihr die hin und wieder zeigt und damit arbeitet.“ Die Skulpturengruppe befindet sich also nicht im Besitz des Museums, aber in einem solchen Leihvertrag steht dann eine Formulierung wie „bis auf weiteres“.
Du kennst die Formulierung „Kill your Darlings“. Bedeutet ja, dass man sich ab und an im Sinne des Großenganzen von Darlings verabschieden muss. Wie war es bei der Vorbereitung von „More than ever!“? Wie viele Darlings mussten gekillt werden?
KUNDE: Eigentlich keine. Das Bestreben war ja, alle Darlings zu zeigen. Trotzdem mussten wir natürlich eine Auswahl treffen. Nehmen wir den großen Franz Gertsch: Der ist mit der Hauptikone Sylvia II vertreten. Gekillt sind dafür die Darlings seiner großen Holzschnitte, die ja auch wirklich singulär sind. Aber beides ging eben nicht. Am Ende ist das ja auch eine Platzfrage. Der Plan für die Wandelhalle war und ist: einen Raum der Blicke und Gesichter zu schaffen – angefangen bei Sylvia II bis hin zur neuesten Erwerbung – dem Dyptichon „Madonna und Kind“ von Karin Kneffel. Dazu gehört aber auch die wichtige fotografische Serie „The Patrons“ von Ori Gersht. Da werden ja Menschen gezeigt, die unserem Haus sehr eng verbunden waren oder noch sind. Da entsteht eine Art Ahnengalerie, denn einige der porträtierten Menschen leben nicht mehr.
Wie wichtig ist ein guter Rhythmus?So eine Präsentation ist ja eine Art Feuerwerk.
KUNDE: Ein guter Rhythmus ist von enormer Bedeutung. Es soll ja nicht langweilig werden und es soll sich ja auch nicht alles ständig in derselben Tonlage abspielen. Es darf nicht alles in derselben Intensität gespielt werden. Es soll „Kracherstellen“ geben, aber eben auch quasi leise geflüsterte Passagen. Ob das gelingt, stellt sich in der Regel erst ganz am Ende heraus. Das macht es ja so spannend. Das kannst du vorher nicht wissen. Natürlich hat man eine gewisse Erfahrung im Umgang mit den Kunstwerken und den Räumen, aber ob es am Ende für jeden funktioniert …?
… weiß man erst bei der Eröffnung?
KUNDE: Bestenfalls.
Wenn du eine Ausstellung planst, findet dann in deinem Kopf auch der Weg der Besucher statt? Denkst du also das Haus beispielsweise von unten nach oben oder umgekehrt? Oder spielt das keine Rolle?
KUNDE: Doch. Es spielt eine Rolle. Ich stelle mir den Weg der Besucher vor und der beginnt in der Regel unten. Dazu kommt aber auch, dass es bestimmte Formate gibt, die an bestimmte Räume gebunden sind. Kurz gesagt: Ich mache Vorschläge und freue mich, wenn sie angenommen werden. Ich hoffe natürlich, dass wir am Ende einen Einblick in die Bandbreite des Hauses vermitteln können. Ich wünsche mir Besucher, die es genießen und am Ende sagen: „Was für eine wunderbare Sammlung.“