Dienstag, 26. August. Anruf eines Bekannten: „Schon gehört? Der Chef der JVA ist vom Winde verweht. Angeblich krank. Es heißt, der käme nicht mehr zurück.” Das vorläufige Ende einer Geschichte, die lange vorher ihren Anfang nahm …
Oben ohne
Wenn die Information stimmt, ist der Justizvollzugsanstalt an der Krohnestraße in Kleve also der Chef abhanden gekommen, aber: Es geht nicht um das reguläre „Ende einer Dienstzeit”. Es geht um einen „Vorfall”. Es geht um einen inneren und äußeren Notstand. Es geht um Zivilcourage. Es geht um ein Nichtmehrschweigenkönnen. Ein Nichtmehrwegsehenwollen. Sachlich betrachtet geht es um „Freiheitsberaubung im Amt”. „Strafanzeige des Herrn Mohamed A. … ”
Bilder im Kopf
Geschichten können von jedem beliebigen Punkt aus erzählt werden. Zusammengesetzt werden sie im Kopf der Lesenden. Geschichten sind Worte am Ende von Handlungen. Einstiege in fremde Leben. Zusammenfassungen. Geschichten können Ventile sein. Handlungsanweisungen. Irrgärten. Geschichten erzeugen Bilder im Kopf.
Ein Abgrund
Diese Geschichte handelt vom Recht – auch von Rechtschaffenheit. Sie handelt davon, wie einer zum Spielball wird. Zum Auslöser – zum Leidtragenden und letztlich zum Objekt. Sie handelt davon, was Menschen zu dulden bereit sind. Sie handelt von Befehlsgebern und Befehlsempfängern und vom Ringen um den Mut zum Handeln. Sie handelt vom Hinsehen und damit letztlich vom Menschsein. Die Geschichte handelt von einem Gespenst, das Willkür heißt. Die Geschichte handelt von Vorwürfen und davon, wie der Weg zum Recht beschritten werden kann. Sie handelt – wahrscheinlich auch – von dem Abgrund, der zwischen Recht und Gerechtigkeit lauert.
Meldung
„Betreff: Meldung eines schwerwiegenden Missstands im besonders gesicherten Haftraum der Justizvollzugsanstalt Kleve – Fixierung eines Gefangenen ohne rechtliche Grundlage.” [Aus dem Schreiben einer anonymen Quelle, im Folgenden Q1 genannt, an die Anwältin des Gefangenen Mohamed A.] „Am 26. Juni 2025 gegen 17.29 Uhr zeigte der Gefangene Mohamed A. in seinem Haftraum auffälliges Verhalten …” [Q1]
Die Scherbe
Alles beginnt mit einer Scherbe: „Am 26. Juni 2025 gegen 17.29 Uhr zeigte der Gefangene Mohamed A. in seinem Haftraum auffälliges Verhalten. Er gestikulierte, schrie und schlug gegen die Fensterscheibe, die dabei zerbrach. Dabei kam es weder zu erkennbaren Verletzungen des Gefangenen noch zu einer Gefährdung anderer Personen. Nachdem Bedienstete in Körperschutzausstattung den Haftraum betraten, zeigte sich der Gefangene ruhig und setzte sich auf sein Bett. Er hatte keine Glasscherbe mehr in der Hand, war ansprechbar, kooperativ und leistete keinen Widerstand.” [Q1] Man bringt A. in Hand- und Fußfesseln in den „besonders gesicherten Haftraum”, wo er bis zum 1. Juli bleibt. Es kommt „vereinzelt zu Unmutsäußerungen in Form von Tritten gegen die Tür. Darüber ist der Gefangene ruhig, verletzt weder sich noch andere und zeigt keine suizidalen Handlungen” [Q1].
„Ich f* deine Mutter”
Am 1. Juli kommt es zu einer erneuten Eskalation. „Nach vorangegangenen verbalen Auseinandersetzungen äußert sich der Gefangene beleidigend gegenüber dem Leiter der Justizvollzugsanstalt.” [Q1] Mohamed A. spricht Arabisch. Auf Nachfrage des anwesenden Psychiaters wird ein des Arabischen mächtiger Bediensteter später sagen, A. habe etwas gesagt wie „Ich f* deine Mutter”.
Ohne Widerstand
Der Anstaltsleiter ordnet A.s Fixierung an. Aus dem Schreiben von Q1 an die Anwältin von A.: „Der Gefangene wurde in Anwesenheit mehrerer Bediensteter auf ein Fesselbett verbracht und dort fixiert. Während der Durchführung leistete er keinen Widerstand.”
Fünf Stunden, 31 Minuten
Die Fixierung dauert von 11.50 bis 17.21 Uhr. „Im Beisein mehrerer Bediensteter äußert der Anstaltsleiter wörtlich: ‚Jetzt haben wir ihn gebrochen‘.” [Q1] „Der Anstaltsleiter wiederholt den Satz auf Nachfrage. Auf nochmaliges Nachfragen sagt er dann: Wir haben seinen [A.s] Widerstand gebrochen.” [Q2] „Die Anordnung der Fixierung erfolgte unmittelbar durch den Anstaltsleiter selbst, der im Anschluss sinngemäß äußerte, er sei noch nie in dieser Form von einem Gefangenen beleidigt worden.”[Q1]
Eilt!
Sachlage: Für die Fixierung eines Gefangenen im b. g. H. ist ein richterlicher Beschluss erforderlich. Mit dem Vermerk „Eilt – Bitte sofort vorlegen!” schreibt der Anstaltsleiter an den richterlichen Eildienst und klärt über die „Anordnung einer besonderen Sicherungsmaßnahme gemäß § 28 UvollzG NRW in Verbindung mit § 69 II Nr. 5 StVollzG NRW” auf.
§ 69 des Strafvollzugsgesetzes NRW: „Gegen Gefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder auf Grund ihres seelischen Zustandes in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr der Selbstverletzung oder Selbsttötung besteht. 7. Fixierungen dürfen nur angeordnet werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Selbstgefährdung oder einer von den Gefangenen ausgehenden erheblichen Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer unerlässlich ist und nach dem Verhalten der Gefangenen oder auf Grund ihres seelischen Zustandes andere, weniger einschneidende Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.”
Massive Gefährdung
Aus der Begründung des Anstaltsleiters (liegt der Redaktion vor): „Die Fixierung ist erforderlich, da der Gefangene wiederholt erhebliche Gewalteinwirkungen in Form von Tritten gegen die Haftraumtür ausgeübt hat. Die Gewalteinwirkungen sind von solch erheblichem Ausmaß, dass bereits am heutigen Vormittag die Kommunikationsklappe sowie die zweite Zugriffstür durch die örtliche Schlosserei instandgesetzt werden mussten. […] Um 11.45 Uhr trat der Gefangene erneut mit erheblichem Nachdruck gegen die Türen des Haftraums. Es ist anzunehmen, dass die Kommunikationsvorrichtung im Haftraum erneut durch weitere Tritte beschädigt wird. Beim Öffnen der Haftraumtüre ist von einer massiven Fremdgefährdung durch den Gefangenen auszugehen, sodass eine Kommunikationsfähigkeit über die Kommunikationsklappe zwingend erforderlich ist. Durch die massive Fremdgefährdung ist es erforderlich, dass der Haftraum unter Zuhilfenahme beider Haftraumtüren geöffnet wird, um die Eigensicherung der Bediensteten sicherzustellen Der Gefangene ist seit dem 26.06.2025 nicht zugänglich und verweigert jegliche Kommunikation. Aufgrund der massiven Gewaltbereitschaft des Gefangenen ist eine andere, weniger einschneidende Maßnahme zur Abwendung der Gefahr derzeit nicht ausreichend. […] Aus diesem Grund wurde die Fixierung des Gefangenen […] beantragt.”
Willkommen in der „Familie Strafvollzug”
Am Mittwoch, 2. Juli, – einen Tag nach der Fixierung also – erscheint in der Zeitung „Rheinische Post” ein Artikel des Kollegen Jens Helmus. Titel: „Kleves Gefängnis bekommt Verstärkung.” Am 1. Juli – dem Tag der Fixierung also – begann um 12.30 Uhr – also 40 Minuten nach der Fixierung – eine Vereidigung, zu der auch Pressevertreter eingeladen waren. Aus dem Artikel von Jens Helmus:
Zwei neu eingestellte Bedienstete konnte Kleves JVA-Leiter Andreas Krumsiek am Dienstag in seinem Team willkommen heißen. Acht weitere Bedienstete legten ihren Eid ab. […] Die beiden neu eingestellten Kollegen hieß Krumsiek in der „Familie Strafvollzug” willkommen. […] Ein zentraler Bestandteil des Eides, insbesondere auch im Justizvollzug, sei die Formel „Gerechtigkeit gegenüber jederman üben”. Das bedeute auch, dass, egal welchem Gefangenen man gegenüberstehe, „egal, was diese Person mit Ihnen macht, egal, was das mit Ihnen macht und egal, was diese Person anderen angetan hat”, es gelte, alle gerecht und gleich zu behandeln. Krumsiek, so der Artikel, habe auch das Thema Gewalt angesprochen, das allen Bediensteten bewusst sein müsse. Zwar sei das in seltenen Fällen notwendig – aber wenn, dann müsse man bereit sein, „als letztes Mittel die Rechtsstaatlichkeit auch mit Gewalt durchzusetzen.”[Quelle: Rheinische Post vom Mittwoch, 2. Juli, 2025.
Strafanzeige
Mohamed A.s Anwältin reicht am 28. August im Auftrag ihres Mandanten Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Kleve, Zweigstelle Moers, ein: „Am 26.6.2025 wurde mein Mandant aufgrund einer Anweisung des Leiters der JVA Kleve in einen besonders gesicherten Haftraum verbracht, obwohl ein Grund für eine derartige Maßnahme nicht vorlag. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Kleve hat am 01.07.2025 ein Fax an das Amtsgericht Kleve, hier richterlicher Eildienst um augenscheinlich 14.17 Uhr gesandt mit dem Antrag auf Anordnung einer besonderen Sicherungsmaßnahme und diese damit begründet, dass die beantragte Fixierung erforderlich sei, da der Gefangene wiederholt erhebliche Gewalteinwirkung in Form von Tritten gegen die Haftraumtür ausgeübt habe. Tatsächlich wurde mein Mandant um 11.50 Uhr fixiert, der Antrag an das Gericht ist aber erst um 14.17 Uhr gestellt worden, also zu einem Zeitpunkt, als der Mandant bereits über zweieinhalb Stunden fixiert war. […] Dem Mandanten ist kein richterlicher Beschluss ausgehändigt worden. Der Mandant ist auch nicht auf seine Rechte hingewiesen worden, welche rechtlichen Möglichkeiten er gegen die angeordnete Maßnahme der Fixierung hat. Er wurde fünfeinhalb Stunden in einem besonders gesicherten Haftraum fixiert ohne irgendeine Möglichkeit zu haben, die Maßnahme zu überprüfen. […] Nach den hier vorliegenden Unterlagen liegt ein eindeutiger Verstoß gegen die gesetzlich vorgeschriebene unverzügliche richterliche Kontrolle vor, was die Maßnahme an sich bereits formell rechtswidrig macht. Spätestens nach 30 Minuten Fixierung hätte es eines richterlichen Beschlusses für die weitere Fixierung bedurft, was nach Kenntnis der Unterzeichnerin gerade nicht der Fall war. Aber auch in der Sache selber reichen die hier dargelegten Gründe nicht aus, einen derart schwerwiegenden Grundrechtseingriff für den Mandanten zu rechtfertigen. Der Psychiater, Herr Dr. … wurde hinzugezogen. Dieser hat eindeutig festgestellt, dass von dem Mandanten keine akute Fremdgefährdung ausgehe, die überhaupt eine Fixierung rechtfertigen würde. Auch bestand keine Eigengefährdung […] Die als Anlage 2 beigereichte Dokumentation dokumentiert ruhiges Verhalten. Dass die Voraussetzung einer Fixierung, insbesondere aus gesundheitlichen Gründen nicht vorlag, wird unter Beweis gestellt durch: Beweis: Zeugnis des Herrn Dr. …. ”
Menschenrechte
Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen erhält – längere Zeit vor der Strafanzeige von A.s Anwältin – eine anonyme Anzeige zu dem Vorfall, der „einen schwerwiegenden Verstoß gegen geltendes Recht sowie gegen grundlegende menschenrechtliche Standards darstellt.” Das Ministerium leitet eine Untersuchung ein. Beteiligte werden vernommen.
Konsequenzen prüfen
A.s Anwältin wird für ihren Mandanten auf Schmerzensgeld klagen. Gegen Ende ihrer Strafanzeige vom 28. August heißt es: „Es wird ausdrücklich gebeten, die Ermittlungen aufzunehmen.” Im anonymen Schreiben an das Justizminister NRW, das auch an die Anwältin von A. ging und der Redaktion ebenfalls vorliegt, heißt es am Schluss: „Es wird dringend darum gebeten, diesen Vorfall umfassend aufzuklären, alle relevanten Videoaufzeichnungen und Dokumentationen zu sichern und die disziplinarischen sowie strafrechtlichen Konsequenzen zu prüfen.” In einem Schreiben, das A.s Anwältin sowie der Redaktion vorliegt, geht es auch um „ein Klima der Einschüchterung, Druckausübung und institutioneller Grenzüberschreitung” in der Klever JVA. Es ist von aufrichtiger Sorge um den Strafvollzug die Rede.
Stellungnahme
Freitag, 29. August, 14 Uhr. Anruf bei Maurits Steinebach, Pressesprecher der Landesjustizvollzugsdirektion mit Bitte um Stellungnahme. Steinebach bittet um eine Anfrage per Mail: „Sehr geehrter Herr Steinebach. Wie soeben (14.10 Uhr) am Telefon besprochen, möchte ich Sie um eine Stellungnahme bzgl. der am 28. 08. von der Kanzlei Berger und Lambertz bei der Staatsanwaltschaft Kleve (Zweigstelle Moers) eingereichten Strafanzeige gegen die JVA Kleve bitten. Die Strafanzeige hat die ungerechtfertigte Verbringung in den besonders gesicherten Haftraum sowie die weitergehende Maßnahme der Fixierung des Gefangenen Mohamed A. über mehrere Stunden (ohne richterlichen Beschluss) zum Inhalt. Mit freundlichen Grüßen. Heiner Frost, Redaktion Niederrhein Nachrichten.”
Freitag, 15.44 Uhr. „Re: Bitte um Stellungnahme. Lieber Herr Frost […] Der von Ihnen in Bezug genommene Sachverhalt ist uns bereits seit längerem durch eine anonyme Anzeige [es handelt sich wahrscheinlich um das oben bereits erwähnte Schreiben; Anm. d. Red.] bekannt. Diese hat Anlass zu der sofortigen Einleitung einer umfassenden fach- und dienstaufsichtlichen Prüfung gegeben. Des Weiteren wurde bereits durch die Weiterleitung an die Strafrechtsabteilung im Hause eine strafrechtliche Prüfung der in Rede stehenden Vorwürfe veranlasst. Ohne dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vorgreifen zu wollen, kann ich mitteilen, dass die bisherigen Feststellungen der Fachabteilung die Behauptungen zu den Gründen, der formalen Bearbeitung und zum Ablauf der Fixierung nicht bestätigt haben.”
Ermittlungen?
Die Stellungnahme des JM bezieht sich auf die anonyme Meldung an das Ministerium und offensichtlich noch nicht auf die Strafanzeige der Kanzlei Berger und Lambertz vom 29. August. A.s Anwältin sieht ausreichende Veranlassung für eine Strafanzeige; die Untersuchungen seitens des Ministeriums sieht die formale Bearbeitung und den Ablauf der Fixierung als offensichtlich korrekt an. Die objektivste Behörde der Welt wird ermitteln müssen.
Eingriff in das Grundrecht
Aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Die Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG) dar. Fehlende Einsichtsfähigkeit lässt den Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG nicht entfallen; er ist auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG abermals auslöst. Von einer kurzfristigen Maßnahme ist in der Regel auszugehen, wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreitet. Die Freiheitsentziehung erfordert grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung ist nur dann zulässig, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Maßnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste; Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss.
Fragen
Der Fall wirft Fragen auf. Sie handeln von der Verhältnismäßigkeit der Mittel, von mutmaßlichem Fehlverhalten, von Grenz- und Zeitüberschreitungen. Muss man sich um das „System Vollzug” Sorgen machen?
Denkansätze
Geschichten sind Denkansätze. Geschichten sind wie Kleidungsstücke, die man anzieht. Man probiert die einzelnen Rollen. Wer möchte man sein in einer solchen Geschichte? Man möchte nicht der Gefangene sein, auch nicht der Anstaltsleiter. Man möchte – vielleicht – zu denen gehören, die sich der mutmaßlichen Willkür widersetzen und darauf hoffen, dass bestraft wird, was nicht hätte passieren dürfen. Dann taucht am Horizont des Empfindens die lähmende und altbekannte Gewissheit auf: Alle lieben den Verrat. Niemand liebt den Verräter. Man hofft auf einen Prozess.
„Sei ein Mensch”
Man hofft auf Klärung. Aufklärung. Bis dahin gilt – natürlich – die Unschuldsvermutung. Man denkt an Marcel Reif und an das Motto seines Lebens. „Sei ein Mensch.” Leben funktioniert nur dann, wenn Herz und Verstand synchron arbeiten. Längst hat man einen Teil des Überblicks verloren. Um wen oder was geht es hier eigentlich? Geht es um die „Entmachtung” eines ungeliebten Anstaltsleiters? Geht es um das Schicksal eines Gefangenen, der durch eine mutmaßlich ungerechtfertigte „Aktion” am Ende womöglich traumatisiert zurückbleibt? Geht es um die Integrität einer Behörde? Geht es darum, Whistleblower zur Strecke zu bringen? Wie ist mit Missständen umzugehen? Was wiegt schwerer? Die verletzte Würde eines Menschen oder die Pflicht eines Beamten zur Verschwiegenheit? Whistleblower sind hierzulande durch kein Gesetz geschützt. Alle lieben den Verrat. Jeder hasst den Verräter. Geschichten erzeugen Bilder im Kopf. Ich denke an Edvard Munchs Bild einer Frau auf einer Brücke: Die Hände auf die Ohren gelegt steht sie da und schreit.
Anmerkung: Alle zitierten Quellen liegen dem Autor vor. Alle Personen mit Ausnahme von Q1, Mohamed A. und dem Anstaltsleiter sind dem Autor bekannt.
Ein Anruf: „Du schreibst doch diese Knast-Geschichte. Vielleicht googelst du mal Rolf Krumsiek. Nicht unspannend. Mach einfach mal.” Ergebnis: Rolf Krumsiek (1934 – 2009) war vom 5. Juni 1985 bis zum 17. Juli 1995 Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen.