Sonntag, 10. August, 12 Uhr. In Haldern entsteht soeben die Festivalvergangenheit des Jahres 2025.
Ein Symbol reist ab
In der Bäckerei am Markt sind die Auslagen verwaist, im Doppeladler mischen sich Frühstücker und Mittagesser. Der Campingplatz leert sich. Vor der Kirche: Ein Lieferwagen: Abtransport des Schaukelbilds. Ein Symbol reist ab. Auf dem Markt umarmen sich Menschen mit einem „Biszumnächstenjahr“ auf den Lippen …
Fast Rewind
Nächstes Jahr? Man drückt die Rückspultaste. Vor ein paar Tagen noch fühlte sich das Festivaljahr 2026 wie ein Fragezeichen an. Das passende Wort: Denkpause. Jetzt stellt sich heraus: Das Datum für das Haldern Pop 2026 steht (5. bis 8. August) und der Start für den Vorverkauf (1. Oktober) auch.
Zwischen den Extremen
Der Puls normalisiert sich. Man schaut zurück: ein regenloses Haldern-Pop-Jahr. Reglos war es auf keinen Fall. Da sind, denkt man, Menschen am Werk, die es schaffen, unterschiedlichste Geschmäcker zufriedenzustellen. Auch das ist Haldern: das kleinefeine Lied hier und der Lautstärkenrekord dort. Zwischen den Extremen ist alles denkbar, hörbar, fühlbar.
Goodwin

Goodwin. Foto: Christoph Buckstegen
Jeder reist mit einer anderen Erinnerung ab. Meine ist diese: Freitag, 13.15 Uhr, Kirche. Fast wäre man durchgerutscht. Die Schlange am Eingang: 150 Meter lang. Vielleicht noch länger. Ein Blick auf den Festivalstundenplan: „Goodwin“ steht da und man denkt sich nichts. Dann hört man diese Stimme. Es ist eine der Stimmen, die in ihrer Einmaligkeit unverkennbar sind. Slow Show – sagt der Kopf. Das also ist Goodwin – der Sänger von Slow Show. Zehn Minuten vor dem Ende des Konzertes hat man es in die Kirche geschafft. Rein gelassen wird nur, wenn vorher Leute heraus kommen. Die Kirche: Voll. Die Stille: andächtig. Am Ende jedes Stückes dieser brausende Applaus, der sich wie Brandung auftürmt. Windstärke zehn. Und dann der Rücksturz in die Stille.
Die Kraft des Einfachen
Was Goodwin zwischen den Stücken sagt, ist am Ende des Hallraums Kirche nicht zu verstehen. Aber die Töne trägt es bis zur Decke, wo sie ihre Runden drehen. Gesang, E-Gitarre, Klavier. Mehr braucht es nicht, um die Welt mit atemloser Schönheit zu füllen. Es braucht keine Light-Show, keinen Budenzauber aus Nebel und Großleinwand. Da steht einer, bekennt sich zum Glauben an die Kraft des Einfachen und zündet Leuchtfeuer in den Herzen an. Man möchte heulen vor Glück und wäre auch zufrieden, wenn das die einzigen zehn Minuten Musik wären, die man erlebt.
Am Ende ein Chor aus Publikum, der den Sänger unterstützt – ablöst. Über dem Altar: die Ikone des Festivals: Das Kind auf der Schaukel. Was da in einem Moment entsteht, gräbt sich tief in die Seele – vertreibt die Traurigkeit, streut die Portion Glücklichkeit, die es braucht für den Tag, die Woche, den Monat.
Untermieter
Wie ein gigantisches Schiff aus dem Nebel taucht die Musik auf. Ihre Kraft liegt in der Unaufdringlichkeit, im Unauslöschlichen. Man wird Untermieter in Goodwins Welt – macht sie mit jedem Klang mehr und mehr zur eigenen. Man richtet sich ein – zehn Minuten nur. Die Musik: spärlich möbliert, aber es ist alles da, was man zum Leben braucht. Der Tag: gerettet. Es kann jetzt kommen, wer und was will. Man ist unerreichbarglücklich. Der Schlussbeifall brandet noch stärker als vorher. Dann taucht man ab in die Lautlosigkeit. Möchte nichts mehr hörensehen. Nur noch fühlen und – unbemerkt vielleicht – Danke sagen. Ein Haldern-Pop-Moment. Einer von vielen – einer, den man mitnimmt. Man hat viel verpasst – wie in jedem Jahr, aber am Ende zählt, was man mitnimmt.
CY
Vielleicht ist es ja auch der Gottesdienst am Samstag um 18.30 Uhr. Die Kirche: nicht ganz so voll wie bei den Konzerten. Es entsteht ein Augenblick der Innigkeit – die Musik hat ihre Funktion gewechselt – kreist um eine andere Mitte. Draußen fragt einer: „Hast du gestern ‚Zaho de Sagazan‘ gehört? Hammer!“ Die Augen blitzen. Man hat viel verpasst … aber:
Die wichtigste Nachricht: Auch im nächsten Jahr wird es ein Festival geben – eines, das in seinem Kleinsein großartig ist. Man sieht sich.