In Kino 1 gibt’s heute schon 3D. Ganz ohne Brille.
Ja, sollte das nicht erst Ende Juni kommen? Richtig: 3D mit Brille am
Monatsende. Heute gibt’s Mehrdimensionales. Für die Ohren. CD-Release
im Kino. Musik Outlet Tichelpark. „Last 8“ lädt ein - letzte Acht oder
letzte Hilfe? Noch warten die Fans auf Einlass – stehen fast brav vor
der Saaltür. Kein Tumult. Es ist 16.55 Uhr. Einlass 17 Uhr. So
soll es sein.
Presse darf vorher rein. Das Licht im Saal ist gedimmt. Alles ist
aufgebaut: Scheinwerfer, Klangwerfer. „Wir geh’n dann so lange raus“, sagt einer von den Musikern.
Die Notausgangstür klappt auf und von draußen gleißt Sonne in den
Kinosaal. Eine Spaltsekunde lang. Tür zu. Dann die Frage: „Hat einer
von euch ein Tommy Hilfiger Portemonnaie auf der Bühne gesehen?“ Früher
hätte man gesagt: „Ich hab meine Kohle verloren." So ändern sich die
Zeiten. Egal, was drin ist: Wichtig ist, was drauf steht. Das
Portemonnaie findet sich an.
Dann öffnet sich die Eingangstür. Die Band ist draußen. Das Publikum
strömt ein. Panta rhei – alles fließt. Knapp zweihundert Fans
mögen es sein, die sich Plätze suchen. Die Anmoderatorin: Kirstin
Beyer. Wer sich nicht auskennt in der Szene, kann nicht wissen, dass
sie Musiklehrerin ist und die Band nicht unwesentlich unterstützt hat.
Soll man „Schulband“ schreiben? Das klingt doch immer gleich nach
Provinznudeln mit Akne und Instrumenten im Anschlag. Obwohl: Es gibt
schon Beispiele für den Durchmarsch von der Aula auf die Weltbühne.
Die Anmoderatorin dankt. Da gibt es ein Team hinter der Band. Es fängt
beim Sponsor an, geht weiter übers Tonstudio und reicht bis zum
Catering. Okay – es sei gesagt: Die Sparkasse ist mit im Boot. (Wenn’s
um Geld geht.) Und das Kino. (In der Stadthalle ging’s ja nicht.
Umbau.) Irgendwo ist Kino doch auch viel cooler. Ein bisschen klein die
Bühne. Was daran liegt, dass die Hauptdarsteller sonst ziemlich flach
an der Leinwand anliegen. Dank an den Kinomann. Der hat’s möglich
gemacht. Sein Handy klingelt. Er muss mal kurz ran. Ohnehin ist alles
Nötige gesagt. Haltstopdawarnochwas: Die CD gibt’s da und da. In den
Schulsekretariaten von Stein und Sebus, in der Buchhandlung Hintzen und
bei CD-Line. Raubkopieren ist Pfui. Dann würde auch das Layout
untergehen. Alle Zeichungen selbst gemacht. Es lohnt sich.
Und jetzt: Die Band. Sie kommen durch den
Sonnenlichtspalt. (Deshalb vielleicht auch die Sonnenbrillen.) Der
Aufmarsch: In aller Ruhe. Fast artig. Nix Großes. Der
Schlagzeuger zählt die Band an. Keiner geht k.o. – Klang strömt ins
Kino 1. „You thought I’d care about your thoughts. I don’t. I don’t. I
don’t“, heißt es im ersten Stück. Ja meinen die das Publikum? (Don’t
care about thoughts. Where’s my Hilfiger.)
„Die komponieren alles selbst“, hat eine Schülermutter im Foyer gesagt.
„Eigene Texte machen sie auch.“ I don’t. I don’t. I don’t. Dann rockt
das Oktett den Kinosaal. Ruhig. Konzentriert. Kein Aufstand. Keine
Show. Es geht tatsächlich um Musik und Text. Keine öffentliche
Modenschau mit Videoinfusion. Ein bisschen eng ist es auf der Bühne.
Kein Megatechniklaufstall wie bei den Großen Acts. Kein einstudiertes
Bühnenballett. In einem Stück springen sie zusammen hoch. Eine Spur
asynchron und vielleicht deshalb sympathisch.
Solides Teamspiel mit Requisiten. Links neben der Bühne: Ein
Ohrensessel. (Der steht da auch sonst.) Rechts ein Globus mit
Innenbeleuchtung. Ein bisschen wirken sie alle wie zu groß geratene
Konfirmanden.
Die Musik: Durchdacht. Texte in Englisch und Deutsch. Sänger im Doppelpack, zwei Gitarristen, Keyboard, Bass, Schlagzeug und der obligate Saxofonist, der auch die Querflöte bedient. Ruhig, rockig, rappig. („Ich lieg noch im Bett, werd’ gerade wach - 10 Uhr 30 – die Tür zur Loggia war auf die ganze Nacht ...)
Brennen können sie auch. „Funk me“ beginnt mit einem dieser Riffs, die
entweder gleich im Publikum zündeln oder nur zum Rohrkrepierer
taugen. Der Leadsänger ruft „Funk me“ – aber hinten klingt es, wenn man
den Titel nicht kennt, ein bisschen wie „VauWeh“. (Würde ja zum
Hilfiger
passen.) Die Lehrerin hat ihren Spaß. Kanndarf zufrieden sein.
Vorne „funken“ sie – das Publikum eher ein bisschen verhalten. So, als
würde vorn ein Taktstockmann Mahler zerlegen.
Fest steht: Ein eingespieltes Team, das weitaus besser klingt als ein
Portemonnaie von Hilfiger. Die könnten sich auch anderswo hören lassen.
Kein Problem. Manches Arrangement könnte noch einen letzten Schliff
vertragen – da könnte man hier und da noch mal in die Glut blasen. Ein
paar Vokabeln könnte man durch Echtes ersetzen. Geschenkt. Alles ist
doch besser als Schneewittchen mit dem Satellit. Die Truppe hätten sie
nach – wo war denn gleich der Song Contest – schicken können. Es liegt
etwas Wahrhaftiges über ihnen.
Die da auf der Kinobühne rocken, verstehen ihr Handwerk; legen eine
Tonspur aus, die nachzuhören sich auf jeden Fall lohnt. Nicht nur die
CD ist rund. Auch das Drum und Dran. Kino für die Ohren. Nicht gut
gemeint – gut gemacht. Welche Schublade soll gezogen werden? Rock?
Nein! Zu höflich. Pop. Vielleichtja. Andererseits: Wozu denn eine
Schublade? Wozu das Richterkärtchen ziehen? Der finale Wunsch: Auf
Wiederhören.