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Let’s spend the night together

Planungssicherheit? Fehlanzeige!

Es ist Freitagabend, 22 Uhr. Im Gebäude der Zentralen Kriminalitätsbekämpfung (ZKB) in Kalkar, Xantener Straße 29, tritt die Kriminalwache zur Nachtschicht an. Für Kriminalkommissar Michael Kamps, Kriminalhauptkommissar Roland Ernst und Kriminaloberkommissar Peter Baumgarten heißt das: „Let’s spend the night together.“ Wenn das Schicksal sich an den Dienstplan hält, werden die drei um sieben Uhr am Samstagmorgen ihre Schicht beenden. Aber wer weiß das schon. Planungssicherheit? Fehlanzeige. Nur eines steht fest: Am Anfang war der Kaffee ...

Rollen und Vernehmen

Es fängt „harmlos“ an. Zwei Jugendliche sind in Bedburg-Hau beim Automatenaufbruch erwischt worden. Das Duo wurde schon zur Wache nach Kleve gebracht. Die Eltern sind benachrichtigt. Baumgarten, Kamps und Ernst rücken ab. „Rollen und Vernehmen“. Übersetzung: Die beiden Jugendlichen erwartet das volle Programm — angefangen bei der erkennungsdienstlichen Behandlung (Fingerabdrücke, Vermessung, Fotografieren) bis hin zur abschließenden Vernehmung.

Professionell sind die beiden nicht gerade vorgegangen. Mit einem „Spielzeugkuhfuß“ haben sie sich an einem Zigarettenautomaten zu schaffen gemacht und gleich beim allerersten Mal „voll in ins Klo gegriffen.“

"Das bleibt hier drin."

Schon beim Abnehmen der Fingerabdrücke gibt es Tränen. „Ja“, sagt einer der beiden, „das war wirklich das erste Mal.“  Zwei Häufchen Elend zeigen sich reumütig und voll geständig.

„Wird das auf dem Schulzeugnis auftauchen“, will einer der beiden wissen. „Das bleibt hier drin“, beruhigt ihn Ernst, und die Erleichterung ist dem Jungen anzumerken.

Knicken, Lochen, Abheften

Der „Warnschuss Festnahme“ hat seine Wirkung getan. Die Beamten sprechen auch mit den Eltern. „Die waren geschockt, aber ganz vernünftig“, lautet die Schlussanalyse. Alles in allem dauert der Einsatz gute zwei Stunden. Danach gibt es einen „Vorgang“, der spätestens am Montag beim zuständigen Sachbearbeiter landen wird. Dann kommt der Nachgang: Knicken, Lochen, Abheften. Was den beiden blüht? Sozialstunden vielleicht. Darüber entscheidet der Staatsanwalt.

Geffkavau

Auf dem Rückweg nach Kalkar kommt der nächste Einsatz. Ein Mann ist im Park von einem anderen angegriffen und mit einer Bierflasche verletzt worden. „Geffkavau“ = gef. K.V = gefährliche Körperverletzung. Das Opfer ist mit dem Krankenwagen nach Goch gebracht worden. Ernst, Kamps und Baumgarten sollen nach Spuren suchen. Wo der Überfall stattgefunden hat, weiß niemand, denn das Opfer ist anschließend zusammen mit der Freundin nach Hause gegangen. Das K-Wachen-Trio sucht weiträumig nach Spuren. Es ist mittlerweile gegen ein Uhr morgens. Im Park findet sich nichts.

Während Baumgarten, Kamps und Ernst sich zur Wohnung des Opfers aufmachen, das mittlerweile aus dem Krankenhaus zurück ist, kommt der nächste Einsatz. In Rees haben Einbrecher im Real-Markt einen Geldautomaten gesprengt. „Da sieht es ziemlich wüst aus“, wird Baumgarten vorbereitet. Er macht sich auf den Weg, während die anderen beiden sich vom Bierflaschen-Opfer die Überfallstelle zeigen lassen wollen. Rund 60 Minuten später werden Kamps und Ernst aus der gef.K.V die Vortäuschung einer Straftat machen, denn es wird sich herausstellen, dass der Mann sich die Schläfenwunde selbst zugefügt hat, nachdem seine Freundin ihm mit Trennung gedroht hat.

Rumänensache

Mittlerweile ist Peter Baumgarten beim Real-Markt angekommen. Der Kundeneingang macht den Eindruck, als hätte hier eine Bombe eingeschlagen. Es sieht tatsächlich wüst aus. Scheiben sind geborsten und die Decke hängt in Fetzen. In unmittelbarer Nähe der Eingangstür: Jede Menge Glassplitter — überall auf dem Boden Geldscheine — an der Hauswand eine Autobatterie und eine Gaskartusche. Ein Streifenwagen ist vor Ort. Als Baumgarten eintrifft werden erste Arbeitshypothesen aufgestellt. Vermutung eins: Hier war eine professionelle Bande am Werk. Es fällt der Begriff „Rumänensache“. Wie sind die Täter ins Haus gekommen? Erster Gedanke: Über das Dach. Baumgarten geht in aller Ruhe vor. Blinder Aktionismus an einem Tatort schadet nur. Schließlich kann hier niemand mehr weglaufen. Planloses Vorgehen gedfährdet nur die Spuren. Durch die aufgehebelte Eingangstür dringt starker Gasgeruch. Jetzt nur keine Blitzlichtaufnahmen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Nach circa 15 Minuten „Tatortmeditation“ hat Peter Baumgarten eine Hypothese. Die Täter haben die Tür aufgehebelt und sie dann mit einem Plakatständer arretiert. Schritt zwei: Die Gas-Kartusche und eine große Gasflasche wurden im Eingangs-Innenbreich deponiert und das Gas zum Ausströmen gebracht. Möglicherweise wurde von einer der beiden Gasflaschen ein Schlauch ins Innere des Geldautomaten gelegt. Mittels Autobatterie und Elektrokabel haben die Täter dann das Gas-Luft-Gemisch im Eingangsbereich gezündet. 

Die Druckwelle reißt die gesamte Deckenverkleidung in Stücke. Der Geldautomat fliegt auseinander — die Stahltür des Automaten, die ein Mann nicht alleine tragen kann, ist bis zur Eingangstür geflogen. Das sind gute vier Meter. Für Baumgarten steht fest: „Das waren echte Profis. Die wussten ganz genau, was sie da machen.“ Die ‘Zündbatterie’ liegt gleich neben der Tür — keine zwei Meter entfernt. So kaltblütig gehen nur Experten vor. Batterie und Gasflaschen haben sie zurückgelassen. Auch einen großen Schraubenzieher finden die Beamten. Im Inneren des geplatzten Automaten stecken noch bündelweise Geldscheine. Zehner. Zwanziger. Die geschätzte Beute: Maximal 5.000 Euro. Der geschätzte Sachschaden: 250.000 Euro. Den Tätern ist das Schnuppe. „Die sind doch längst auf der Autobahn“, mutmaßt einer der Beamten. An der Eingangstür finden sich Hebelspuren. Baumgartens These geht auf.

Mittlerweile sind auch Kamps und Ernst am Tatort eingetroffen. Baumgarten verteilt „Nummernschilder“. Fotos werden gemacht.  „Fingerabdrücke werden wir hier keine finden“, ist sich Ernst sicher und wird Recht behalten.

Der tote Punkt um kurz nach drei

Ein Abteilungsleiter von Real ist am Tatort eingetroffen. „Ja, es hat einen stillen Alarm gegeben“, erklärt er und ist erleichtert, dass die Sprinkleranlage bei der Explosion nicht losgegangen ist. Rund 60.000 Liter Wasser hätten den Eingangsbreich sonst in ein Aquarium verwandelt. Jetzt steht fest: „Der Markt muss nicht geschlossen werden. Es wird ‘ganz normal’ geöffnet. Die Kunden werden einen anderen Eingang benutzen. Das wird schon gehen. Wann der Haupteingang wieder nutzbar sein wird, hängt davon ab, wie schnell die Reparaturen ausgeführt werden können.“ 

Mittlerweile haben die Beamten mit dem Einsammeln des Geldes begonnen. „Eigentumssicherung“, erklärt Ernst. Das Geld im Automaten gehört schließlich der Bank. Schein für Schein wird eingetütet. Gottseidank ist es absolut windstill. Im Inneren des Eingangsbereichs werden Schraubenzieher und Gasflasche verpackt — draußen die Batterie und die Kartusche.

Wenn das Trio wieder auf der Wache in Kalkar eintrifft, gilt es, den Bericht zu schreiben. „Wir müssen einem Außenstehenden die Lage erklären“, beschreibt Roland Ernst den Auftrag. Dazu gehört natürlich auch eine durch die Spuren gestützte Hypothese über den Tathergang. Das kann dauern. Als die drei wieder in Kalkar sind, ist es kurz vor fünf Uhr morgens. Kamps kocht Kaffee. Irgendwann zwischen drei und fünf kämpft man gegen den toten Punkt — jetzt allerdings hat der Kaffee eher Aufwärmfunktion. Kamps, Ernst und Baumgarten sind konzentriert bei der Sache. Wenn kein weiterer Einsatz kommt, können sie bis zum Schichtwechsel noch einiges schaffen.



Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007