Wegschließen war gestern

Wende im Knast

Das Jahr 1977 markiert einen Fixpunkt im deutschen Strafvollzug. Die „Wende im Knast“ brachte statt des früheren Verwaltungsvollzugs den Behandlungsvollzug. Nicht nur für die Strafgefangenen brachen damals neue Zeiten an. Längst hat sich auch das Bild des Vollzugsbeamten in der öffentlichen Wahrnehmung verändert. Aus den „Wegschließern“ von einst sind gut ausgebildete Vollzugsspezialisten geworden, die einem hohen Anforderungsprofil gerecht werden müssen.

Franz Krabbe (27) und Christian Klein (27) müssen es wissen, denn sie befinden sich seit 2004 in der Ausbildung. Ihr derzeitiger Status: Justizvollzugsobersekretärsanwärter. Die Ausbildung für den Vollzugsdienst dauert zwei Jahre. Zugangsvoraussetzung ist entweder die Fachoberschulreife oder aber ein Hauptschulabschluss plus abgeschlossene Berufsausbildung. Höchstalter für eine Bewerbung: 28 Jahre.

Zentrale Schulung

Peter van Campen ist stellvertretender Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kleve und seit 28 Jahren „im Knast“. „Die Zahl der Bewerbungen um eine Ausbildung für den Vollzugsdienst ist in den letzten Jahren gestiegen — und die Anforderungen an die Kandidaten auch“, beschreibt er die Situation. „Der Eignungstest in Geldern dauerte zwei Tage“, erinnert sich Christian Klein. Beim Test geht es zum einen um die Allgemeinbildung, aber auch die psychologische Eignung wird geprüft. Wer es bis zur Ausbildung schafft, hat 24 Monate vor sich, die zum einen die Praxis im Knast beinhalten, aber auch zweimal zwei und zweimal drei Monate dauernde Blockschulungen sind zwingend vorgeschrieben. Geschult werden alle „Vollzugsdienstlehrlinge“ des Landes zentral in Wuppertal.

Und was ist angesagt, wenn es auf die Schulbank geht? Der Fächerkanon ist weit gestreut. „Wir haben Unterricht in Psychologie, Pädagogik, Kriminologie, Vollzugsrecht, Vollzugspraxis, Politik, Berufsrecht, Strafrecht, Waffenkunde, Einsatz- und Sicherheitstechnik, Deutsch und erster Hilfe“, fasst Franz Krabbe zusammen. Bergiffe wie Ethik und Moral sind wichtige Bestandteile der Ausbildung. Wie gesagt: Längst geht es in bundesdeutschen Vollzugsanstalten nicht mehr um’s einfache Wegsperren. Allerdings — da sind sich die beiden Auszubildenden sicher: Von Hotelvollzug kann auch keine Rede sein. Knast bleibt Knast.

Vollzugs-Spagat

„Vollzugsdienst“, so erklären sie, „beinhaltet das doppelte Mandat“. Dahinter steckt der Spagat zwischen der Behandlung der Gefangenen einerseits und Sicherheit der Anstalt andererseits. „Wir sind immer die ersten, die die Tür aufmachen“, beschreiben sie die Situation zwischen Vollzugsdienst und Häftlingen. Da ist der Blick für den einzelnen Gefangenen äußerst wichtig. In einer Anstalt, deren Insassen aus bis zu 40! verschiedenen Nationen kommen, stellen sich genügend Herausforderungen, die bei der Kommunikation beginnen und beim täglichen Miteinander-Umgehen nicht aufhören.

So haben Vollzugsbeamte Einblick in das komplette Leben der Häftlinge. Kein Brief geht ungelesen heraus — keiner ungelesen herein. Und wenn es darum geht, im Rahmen eines eventuellen Straferlasses Stellungnahmen und Beurteilungen zu einzelnen Häftlingen abzugeben, haben die Beamten eine große Verantwortung. Der praktische Teil der Ausbildung findet übrigens nicht nur in Kleve statt. „Wir sind auch im Jugendstrafvollzug und im offenen Vollzug eingesetzt“, beschreiben die beiden ihre „Gaststationen“, denn: Jugendstrafvollzug und offenen Vollzug kann man in Kleve nicht „lernen“. So muss „getauscht“ werden. Da die JVA Kleve im Gegensatz zur JVA Geldern auch Untersuchungsgefangene in ihren Mauern beherbergt, verschickt Kleve nicht nur Auszubildende — es kommen auch welche. Am Ende der Ausbildung steht die sogenannte Laufbahnprüfung. Darauf folgt für zwei Jahre der Status des Beamten auf Widerruf.

Schlüsselqualifikation

„Wer in einer JVA arbeitet, muss heutzutage auch in hohem Maße teamfähig sein“, beschreibt Peter van Campen eine der Schlüsselqualifikationen für potentielle  Bewerber. Was die Schicksale der Inhaftierten angeht, lernen die meisten schnell, Arbeit und Freizeit zu trennen. „Es ist wichtig, dass du nicht jedes Schicksal mit nach Hause nimmst“, ist sich Christian Klein sicher. Betroffenheit ist in jedem Fall der falsche Ansatz, denn für die Beamten im Vollzugsdienst ist  Professionalität äußerst wichtig.

Hinter dem Begriff Professionalität steckt am Ende immer das Bewusstsein für die Tatsache, dass Vollzugsbeamter und Häftling in zwei unterschiedlichen Lagern stehen.

Und dann wäre da noch der Schichtdienst. In Kleve heißt das für alle Beamten im Vollzugsdienst rund alle sieben Wochen: Sieben Nächte hinter Gittern.

Egal ob Sonn- oder Feiertag — Vollzug ist halt kein Saisongeschäft, und der Knast bleibt auch zu Weihnachten ... geschlossen.




Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007