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Layout: Wolfgang Stenmans

Spielfeld Erde:

The Global Mittelstand

Anderswo gleich vor der Tür

Unter 'Global Playern' stellt man sich gemeinhin 'die Großen' vor — Konzernriesen mit Weltmachtstellung. Falsch ist das nicht, aber Globals gibt es auch anderswo, und manchmal ist 'anderswo' gleich vor der Haustür. 'The Global Mittelstand'. Besondere Kennzeichen: Spielfeld Erde.
Natürlich ist Th. Winkels Kleve nicht BASF, Mitsubishi, Shell oder Henkel. Das sind die wahren Riesen. Aber wie nennt man die, die mit den Riesen Geschäfte machen?

Das Szenario

Irgendwo auf der Welt denkt einer der Chemie- oder Ölgiganten über eine neue Anlage nach. Was dann gebraucht wird, ist nicht nur in seinen Ausmaßen gigantisch. Bei der Vergabe eines Auftrags geht es um Millionen für den Zulieferer — die Investoren rechnen mit Milliarden.

Winkels spielt mit in der Welt. Viele der Großen haben die Klever Firma im wahrsten Sinne des Wortes 'auf ihrer Liste', und wenn es um eine Auftragsvergabe geht, wird gern auch in Kleve ein Angebot eingeholt.
Ein Angebot einholen: Was so klingt wie 'mal eben einen Einkaufszettel schreiben', bedeutet einen ersten Riesenklimmzug. Es geht um Materialkosten, Produktionsaufwand, Transportmöglichkeiten und Endmontage.

Feinmechanik der Finanzen

Wenn Winkels eine Kolonne baut (das ist beispielsweise eine Art Reaktorgefäß für die Chemieindustrie), einen Wirbelschichtreaktor oder einen Gas-Wärmetauscher, dann geht es bei Ausmaßen von oft bis zu 80 Metern (Höhe) trotzdem um Millimeter. Wenn es um ein Angebot von Millionen geht, ist es nicht anders als im Kleinen: Am Ende zählt die Gesamtsumme. Wenn die nicht stimmt, macht ein anderer den Job: Feinmechanik der Finanzen.

Ein Sack Reis in China

Apropos 'Die anderen': Früher saßen die Mitkonkurrenten auch in Deutschland. Jetzt verteilen sie sich auf der Welt.  Think global! Denke global. Dass sich die Entfernung zwischen den Konkurrenten vergrößert hat, ändert nichts am Wettbewerb. Manche Angebote werden per Versteigerung vergeben. Drei, zwei, eins: Meins. Der Besteller lässt auf einer Internetplattform die Anbieter in den Ring. Regel: Der niedrigste Preis gewinnt. Haifischkapitalismus, der nur dann funktioniert, wenn der Kunde davon ausgeht, überall die gleiche Qualität zu bekommen. Wirklichkeit geht anders. Manche können's halt besser. Und noch eines: Der Sack Reis, der in China umfällt und hier keinen interessiert, ist Vergangenheit, denn: Weltwirtschaft ist ein Dominospiel. Irgendwo wirft einer den Stein um ...

Nehmen oder nicht

Es gibt, sagt man, zwei Arten von Unglück: Da wäre das Unglück, einen Wunsch nicht erfüllt zu bekommen, und da wäre: Das Unglück der Erfüllung. Wenn eine Firma das Rennen um einen Auftrag gemacht hat, beginnt der wahre Kampf. Das Angstwort heißt: Deadline — Abgabetermin.
Wenn Zwei Geschäfte machen, diktiert am Ende der Große und legt Bedingungen fest. Die beziehen sich nicht nur auf den Liefertermin. Juristerei komm ins Spiel. Im Hintergrund aber wird der Schwache immer wissen, wo er den Kopf einziehen muss. High Noon auf dem Weltmarkt. Kommt der Lieferant in Verzug, sind Vertragsstrafen vereinbart. Die können bis zu einem Prozent des Gesamtauftragsvolumens pro Woche ausmachen. Verzögerungen müssen dabei nicht unbedingt ein Verschulden des Auftragnehmers sein. Was, wenn die Hütte den geforderten Stahl nicht liefern kann? Was, wenn am Ende der Transport in Verzug gerät?

Schwimmbecken Wirtschaft

Das Schwimmbecken der Wirtschaft ist alles andere als ein Goldfischglas. Wenn Winkels einen Auftrag bekommt, dann sind fast immer andere mit im Boot. Kaum jemand kann alles im eigenen Betrieb vorhalten. Wenn eine Kolonne gestrichen werden muss, ist es wirtschaftlicher, den Auftrag zu vergeben. Sollte es allerdings mit dem Anstrich nicht klappen, haftet der Hauptauftragnehmer.

Die Praxis

Nein, Arbeit muss nicht peinlich sein. Dr. Norbert Liedmeier, einer der beiden Geschäftsführer bei Winkels, muss den Reportagentermin zweimal verschieben. Es ist viel zu tun, und Liedmeier kümmert sich gern selbst. Auch das ist Mittelstand.

Da sitzt einer am Ruder, der sich bei der Belegschaft noch auskennt; einer, der die Kunden vom Auftragserhalt bis zur Lieferung betreut. Einer, der die Tür zur Werkshalle selbst aufbekommt und die Wege kennt. Liedmeier ist aber auch einer, der Wert darauf legt, dass die Mannschaft der Star ist. Eine  Firma Winkels ist ein bisschen wie ein großes Orchester: An jedem Pult sitzen Spezialisten, aber jemand muss den Spielplan bestimmen. Den Kurs festlegen; sonst spielt jeder sein eigenes Stück, aber es entsteht kein Gesamtklang.
150 Spezialisten auf der einen Seite sind genau so wenig eine Erfolgsgarantie wie ein guter Dirigent, der ohne sein Orchester nicht mehr ist als einer, der öffentlich Gymnastik betreibt. Ein gutes Orchester wird — das zeigt die Erfahrung — auch mit einem schlechten Dirigenten fertig. Wenn allerdings eine Firma wie Winkels Erfolg hat, dann stimmt das Zusammenspiel der Kräfte.
Mittelstand — das bedeutet nicht zuletzt auch gegenseitige Anerkennung. Liedmeier und Kollege Reinhard Hidde sehen ihre Mitarbeiter nicht als Menschenmaterial — sie sehen das Potenzial.

Glaubwürdigkeit

Firmenpolitik — das bedeutet zu wissen, welcher Auftrag angenommen und welcher besser abgelehnt werden sollte. Grenzen gibt es keine. Das Spielfeld ist der Globus. Die Sprache der Manager: Englisch. Trotzdem: Liedmeier ist einer der Manager, die ihr Deutsch noch unverletzt sprechen. Es kommen kaum Anglizismen vor. Wenn aber mitten im Gespräch das Telefon klingelt und eine norwegische Firma wegen eines Problems anfragt, gleitet der Chef übergangslos ins Englische.
Die Sachlage: Winkels ist empfohlen worden. Der Norweger hat ein Problem auf einer Baustelle. Ein Ersatzeil wird gebraucht. Liedmeier fragt nach einer Skizze. Macht sich Notizen, gibt die Emailadresse der Firma durch. Er wird die Skizzen ansehen und sich dann melden.
Gegen Ende des Gesprächs steht in groben Zügen fest: Winkels wird diesen Auftrag wohl nicht übernehmen. Der Norweger kann sein Problem besser in der eigenen Nachbarschaft lösen. Da gibt es Unternehmen, die den Auftrag wahrscheinlich preisgünstiger erledigen können. Liedmeier und Hidde werden das durchsprechen.Durchrechnen. Hidde ist der Spezialist für die technischen Fragen und Liedmeier wird keine Entscheidung treffen, solange er nicht Rücksprache mit dem Kollegen gehalten hat.
Natürlich kann man um jeden Auftrag kämpfen, aber was, wenn der Kunde später das Gefühl hat, über den Tisch gezogen worden zu sein? Gefühle können gefährlich sein.
Wer sich die Referenzliste der Firma Winkels ansieht, muss nach großen Namen nicht lange suchen. Wer einen Erdteil sucht, in den Winkels noch nicht geliefert hat, muss sich auch anstrengen. Spielfeld Erde heißt das System, dessen Feinheiten die globale Wirtschaft diktiert.

Wenn du Feuerzeuge produzierst, ist die Welt groß

Was Winkels und Konkurrenten ihren Kunden bieten ist hochspezialisiertes Wissen. Anbieter und Kunden gibt es wenige. "Wenn du Feuerzeuge baust, ist die Welt groß. Du hast Millionen Kunden. Aber eine Raffinerie steht längst nicht in jedem Vorgarten", sagt Liemeier.
Bei vielleicht 500 Kunden weltweit wird Wettbewerb zum Dorfmonopoly. Man kennt sich. Wer grobe Fehler macht, ist ratzfatz außen vor. Im Dorf sind die Fakten schnell und werden nur noch von den Gerüchten überholt. Unternehmensführung: Ein globaler Eiertanz. Man muss aus Überzeugung aufs Parkett. Und zur Überzeugung gehören Verantwortung und Moral.
Der Chef unserer Tage muss sich in der Welt auskennen und trotzdem im Dorf zuhause sein können. Er muss seine Ressourcen kennen. Und: Es muss einer nicht alles alleine machen wollen. Wer den Napoleon gibt, hat einen kurzen Weg nach Waterloo. Deshalb weiß einer wie Liedmeier, was die Mannschaft wert ist. Wenn er die Firma erklärt, merkt niemand, dass da ein Doktor in Sachen Jura das Wort führt.
Liedmeier weiß ziemlich genau, was abgeht auf dem Hof und an den Zeichentischen. The Global Mittelstand. Red' nicht — mach einfach, auch, wenn's schwierig ist.




Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007