Geld mit Schloss

Biedermanns Albtraum

Lieber nicht

Der Besuch des Mannes mit dem Kuckuck zählt nicht eben zu den Wunschträumen des Normalverbrauchers, denn: Wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, ist meist schon einiges schief gelaufen ... Biedermanns Albtraum.

Vorbelastet

Schuldner in Kranenburg und Pfalzdorf können mit dem Namen Wingels in Berührung kommen und es dabei nicht mit derselben Person zu tun haben, denn mit Heinz-Dieter und Wolfgang ist zwischen Kleve und Goch das bundesweit das einzige Gerichtsvollzieherbrüderpaar im Einsatz. Angefangen haben beide — wie bei den allermeisten Gerichtsvollziehern üblich — als Justizbeamte des mittleren Dienstes. 'Vorbelastet' waren die Brüder allemal: Immerhin war Vater Wingels Polizist. Kein Wunder also, dass die beiden schon in jungen Jahren mit dem Gesetz zwar nicht in Konflikt aber sehr wohl in Kontakt gekommen waren. Wolfgang, der 'Lebensjüngere' ist als Gerichtsvollzieher dienstälter, denn er bewarb sich zuerst für die 18 Monate dauernde Zusatzausbildung. Heinz-Dieter folgte ihm nach. Mittlerweile blicken die beiden auf eine mehr als 20 Jahre dauernde Dienstzeit zurück und haben dementsprechend viel zu erzählen.

Schlicht und ergreifend

Zunächst ein paar Fakten: Rund 2,25 Millionen Euro wurden von den acht für Kleve und Umgebung zuständigen Gerichtsvollziehern im vergangenen Jahr 'eingetrieben'. Pro Gerichtsvollzieher und Jahr gibt es rund 2.500 Fälle. Aber was sagen schon Zahlen? Wer etwa bei der Summe von 2,25 Millionen Euro an kometenhafte Erfolgsquoten denkt, kann sich von Wolfgang und Heinz-Dieter eines besseren belehren lassen. Mit gerade einmal 30 Prozent sind die beiden erfolgreich. 10 Prozent der Zwangsvollstreckungen werden durch direkte Zahlung seitens der Schuldner erledigt, bei weiteren 20 Prozent können die Vermittler Ratenzahlungen zwischen Schuldnern und Gläubigern erwirken. Weit über 50 Prozent der Vollstreckungstitel aber 'laufen ins Leere', weil schlicht (und meist auch ergreifend) nichts  zu holen ist.

Man kennt sich

Wichtig, da sind sich die Brüder einig, ist es, sowohl bei Gläubigern als auch bei Schuldnern den richtigen Ton zu treffen. Erstaunlich ist, dass rund 60 Prozent der Schuldner sozusagen Stammkunden sind. "Es gibt Familien, mit denen wir schon in der vierten Generation zu tun haben. Es ist auch schon vorgekommen, dass wir bei einem Sterbefall zur Beerdigung gegangen sind." Man kennt sich. Apropos Beerdigung: Unter den Gläubigern war auch schon mal ein Bestatter, der auf den Kosten für ein Begräbnis sitzengeblieben war. 

Und wen findet man noch so unter den Gläubigern? Versicherungen, Zahnärzte, Anwälte, Banken, aber auch Reifendienste, Versandhäuser oder Telekommunikationsfirmen. (Das Handy ist schwer im Kommen.) "Wir haben schon Schuldner gehabt, die monatliche Handyrechnungen jenseits der 1.000-Euro-Grenzen hatten." Kaum zu glauben, aber wahr.

Platt

Was gehört denn zum mentalen Handwerkszeug eines Gerichtsvollziehers? "Durchsetzungsvermögen steht da gleich neben Menschenkenntnis", sind die Brüder sich einig. "Und auf dem Land können sich 'Fremdsprachenkenntnisse' häufig als sehr nützlich erweisen." Gemeint sind hier allerdings nicht Englisch oder Französisch, sondern 'Platt'. "In bestimmten Gegenden kommst du damit einfach schneller in Kontakt."

Früher wäre es übrigens undenkbar gewesen, dass eine Frau den Beruf des Gerichtsvollziehers ausübt. Heute ist das Schnee von gestern. Auch in Kleve sind längst Kolleginnen mit dem Kuckuck unterwegs. Ach ja: Den Kuckuck auf dem Pfändungssiegel gibt es heute nicht mehr. Genau genommen hat es ihn nie gegeben, denn früher zierte ein Adler das Siegel. "Während die einen meinen, dass es sich bei dem Kuckuck um eine sprichtwörtliche Verballhornung des Adlers handelt, denke ich, es hat etwas damit zu tun, dass ein Kuckuck seine Eier in fremde Nester legt und dann von anderen ausbrüten lässt", interprertiert Heinz-Dieter die Sache mit dem Vogel.

Zum Tätigkeitsfeld eines Gerichtsvollziehers gehört übrigens das Beitreiben von Geldern genau so wie die Durchführung von Zwangsräumungen oder das Zustellen von Lohnpfändungsbeschlüssen. In seltenen Fällen kann es auch vorkommen, dass Schuldner zu Erwirkung, Duldung oder Unterlassung von Handlungen, zur Erzwingung eidesstattlicher Versicherungen (früher: Offenbarungseid) verhaftet werden müssen. "Das ist bei mir ein einziges Mal vorgekommen", erinnert sich Heinz-Dieter.

Andere Zeiten

In Sachen Pfändung haben sich die Zeiten geändert. Vor 30 Jahren konnte ein Kühlschrank gepfändet werden. Die Gerichte gingen davon aus, dass Lebensmittel auch im kühlen Keller gelagert werden konnten. Aber wer hat heute schon noch einen kühlen Keller? Zudem gibt es keinen Katalog, in dem rechtsverbindlich aufgelistet ist, welche Gegenstände pfändbar sind und welche nicht. Da die Zahl der Sachpfändungen mehr und mehr zurückgeht, ist auch die Zahl der Versteigerungen enorm gesunken. 

Früher fanden Versteigerungen wöchentlich statt. Heute gibt es zwei Versteigerungen pro Jahr. Während in der Nachkriegsrepublik Schulden absolut verpönt waren, gehören sie heute gewissermaßen zum guten Ton. Kein Wunder also, dass die Zahl derer, die in die Schuldenfalle tappen, stetig steigt. Und wer einmal in die Falle geraten ist, hat es in der Regel schwer, ihr wieder zu entkommen. Immerhin behält ein Vollstreckungstitel 30 Jahre lang seine Gültigkeit.

Hossa und Ferkelei

Bei allem Elend, mit dem ein Gerichtsvollzieher in Kontakt kommt, gibt es natürlich auch die Dönekes. Wolfgang Wingels war einmal zu einer Kassenpfändung bei einem Rex-Gildo-Konzert angetreten. Während es von der Bühne "Hossa" scholl, saß er mit dem Schuldner in einem spärlich beleuchteten Zelt und musste im Schein seiner Taschenlampe 10.000 Euro in Scheinen sowie jede Menge Kleingeld zählen. "Das hat länger als eine Stunde gedauert."

Und dann waren da noch die gepfändeten Ferkel auf einem Bauernhof, die — anstatt zu wachsen — immer kleiner wurden, weil der Bauer sie beständig gegen nachgewachsene Jungschweine austauschte. Die anderen hatte der Bauer inzwischen längst verkauft.

Und bei der Versteigerung eines Staubsaugers lieferten sich mal zwei verfeindete alte Damen ein Bietduell, das den Endpreis über die 400-Euro-Marke steigen ließ. So kann's gehen.

"Was bei uns manchmal in einer Woche passiert, kommt für die Kollegen vom Innendienst in einem Jahr nicht zusammen."



Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007