Schreibkraft
Heiner Frost

Wie gewonnen …

Zeichnung: Michael Zunenshine

Mekin Oynak ist zufrieden. Er gehört zu den Preisträgern beim Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis. Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis? Nie gehört? Vielleicht liegt es am Nachnamen: Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene. Das erklärt‘s – natürlich.

1 aus 14

Alle drei Jahre wird der Preis vergeben. Die Preisträgergeschichten erscheinen dann in einem Buch und wie es sich für einen Preis gehört, findet die Übergabe öffentlich statt. Mekin Oynak ist einer von 14 Preisträgern und Preisträgerinnen. Mit seiner Geschichte Mein blauer Freund  ist etwas schiefgegangen. Eigentlich nicht bei der Geschichte – mit seinem Namen hat es nicht gepasst. Als Autor ist nur „N. N.“ genannt. Den Stolz muss sich Oynak denken. Natürlich ist es schöner, Freunden und Bekannten ein Buch zu schicken und auf den Namen im Inhaltsverzeichnis zu verweisen.

Aber: Oynak kann sich trösten. Er kann beim nächsten Mal wieder mitmachen, denn er wird noch lange sitzen. Er wäre nicht der Erste, der sich mehrmals beteiligt und zu den Preisträgern gehört. Wer die zehn Bücher zum Drewitz-Preis liest, findet spätestens nach der 4. Ausgabe alte Bekannte. Sollte es Oynak beim nächsten Mal wieder ins Buch schaffen, wird er dafür sorgen, dass sein Name erscheint.
Von den 14 Preisträgern sind zwei zur Preisverleihung erschienen. Wo stecken die anderen?, fragt man sich. „Einer von den Preisträgern sitzt in der Forensik. Er hat mittlerweile alle Kontakte abgebrochen. „Wir haben nichts mehr von ihm gehört“, erklärt der Moderator. Eins der Gedichte, die Helmut Pammler geschrieben hat, ist schnell mitgeteilt. Der Titel: Traurig aber wahr. Der Text: „Lieber im Gefängnis sterben, als in einer Irrenanstalt leben.“ Ob Helmut Pammler Helmut Pammler heißt, tut nichts zur Sache. Aber ein Name ist allemal besser als zwei Buchstaben.[ N.N.: Mein blauer Freund.]

Kein Geld

Ein anderer Preisträger hat einen Brief geschrieben. Für die Veranstalter, für das Publikum – und vielleicht auch für die Verunstalter. Er wäre gern gekommen, aber er sitzt weit weg von Dortmund. In seiner Haftanstalt haben sie ihn wissen lassen, dass er die Kosten für seine Ausführung würde zahlen müssen. 30 Cent pro Kilometer, die Unterbringungskosten fürs „Begleitpersonal“ (die Reise ist nicht an einem Tag zu machen) kämen extra. „Das kann ich mir nicht leisten“, schreibt der Preisträger und hat auf die Teilnahme verzichtet. Die Kosten hätte der Veranstalter übernehmen können, erfährt man während der Preisverleihung.

Minus zwei: Pammler und der Kilometermann. Dann ist da noch ein Preisträger, der Repressalien fürchtet und lieber nicht dabei sein möchte. Und die anderen? Nun ja – es hat nicht gepasst. Personalmangel in den jeweiligen Anstalten. Muss man verstehen. Oder? Das Oberlandesgericht Karlsruhe sieht es anders.
Beschluss vom 27. September 2016, Aktenzeichen WS 145/16:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsstellers wird der Beschluss des Landgerichts … vom 28. April 2016 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt … , den Antragsteller am 19. April 2015 nicht zur Verleihung des Ingeborg-Drewitz-Literatuturpreises in Dortmund auszuführen, rechtswidrig war.

Ohrfeige

Hört, hört. Lest, lest. Die Richter stellen fest, dass als Verweigerungsgrund für eine Ausführung zur Preisverleihung das allgemeine Argument der „Personalknappheit“ keineswegs ausreichend ist. Der Staat, so der Beschluss, kann

„begründete Ansprüche Gefangener nicht dadurch verkürzen, dass er die Vollzugsanstalten nicht so ausstattet, wie es zur Wahrung ihrer Recht erforderlich wäre. Vielmehr setzen die Grundrechte auch Maßstäbe für die notwendige Beschaffenheit staatlicher Einrichtungen. Der Staat ist verpflichtet, Vollzugsanstalten in der zur Wahrung der Grundrechte erforderlichen Weise auszustatten.

Drohen aufgrund unzureichender Ausstattung von Haftanstalten Beeinträchtigungen, die normalerweise von Rechts wegen nicht hinnehmbar sind, so sind – unbeschadet der Pflicht der zuständigen Organe, für eine dauerhafte Verbesserung der Ausstattung zu sorgen – den zuständigen Anstalten und ihren Trägern besondere Anstrengungen zum Ausgleich des Mangels und zur zügigen Abhilfe abzuverlangen“.

Das liest sich wie eine Ohrfeige für „den Staat“. Trotzdem: Zehn von 14 Preisträgern wurden von ihrer jeweiligen Anstalten nicht zur Preisverleihung gebracht. Frei nach dem Motto: Was kümmert er die stolze Eiche, wenn sich ein Borstenvieh dran reibt. Einer der meist genannten Gründe für die nicht genehmigte Ausführung: Personalknappheit.

„Allein der Hinweis, die Ausführung könne aus ‚organisatorischen und personellen‘ Gründen nicht durchgeführt werden, ist ohne jede tatsächliche und umfassende Darstellung der personellen und organisatorischen Situation am fraglichen Ausführungstag nicht ausreichend.“ 1 WS 145/16.

Mekin Oynak ist von seiner Anstalt zur Preisverleihung „ausgeführt“ worden. Da steht er auf der Bühne und bedankt sich bei allen, die das ermöglicht haben, er bedankt sich bei seiner Familie und bei seinen Freunden, die alle zusammen dafür sorgen, dass er nicht vergessen wird.
Bevor Oynak nach in seine jetzige Justizvollzugsanstalt kam, war er in der JVA Kleve und leitete die Redaktion der dortigen Gefängniszeitung Jaily News. Oynak ist bereits des zwei Preisträger beim Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene, der in Kleve mit dem Schreiben angefangen hat.
In drei Jahren wird die nächste Preisverleihung stattfinden und man darf hoffen, dass dann mehr Preisträger als in diesem Jahr zur Verleihung ausgeführt werden. Immerhin hatten alle diesjährigen Gewinner zur Unterstützung ihres Anliegens eine Kopie des Karlsruher Beschlusses bekommen. Geholfen hat es nicht.
[Die Staatskasse trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. … Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 50 Euro festgesetzt.]

Mit den Worten ist es wie mit den Gedanken: Sie sind frei. Aber wenn Menschen im Knast schreiben, dann werden Worte zu Dokumenten. Sie werden, wenn alles schlecht läuft, zu Mühlsteinen am Hals der Autoren. In einer JVA sagte ein Beamter zu einem Häftling aus einem Literaturprojekt: „Dass jetzt Verbrecher Bücher schreiben dürfen …“

Mekin Oynak bei der Preisverleihung. Foto: HF

Zum zehnten Mal ist der Ingeborg-Drewitz Literaturpreis verliehen worden. Es gibt Autoren, die in fast jedem Buch vertreten sind. Der Knast als Literaturfabrik? Ja. Aber es ist ein Think Tank, von dem sie in Frankfurt nichts wissen, wenn sie Literatur zur Messe trifft. Vielleicht mal den Knast als Gastland ausrufen.
Kenny Berger: Die Fiktion ist eine Lüge. Die Wahrheit ist viel schlimmer. … Der Tod ist nicht tragisch. Tragisch ist, nicht gelebt zu haben.

Kenny Berger ist einer von den Autoren, die es immer wieder ins Buch schaffen:

Die Fiktion ist eine Lüge. Die Wahrheit ist viel schlimmer. … Der Tod ist nicht tragisch. Tragisch ist, nicht gelebt zu haben. (Aus: Mein Leben und ich – Behind the Sun)

Das Buch zum Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis:
„Begegnungen in der Welt des Widersinns“; Rhein-Mosel-Verlag, ISBN 978-3-89801-408-3; 10, 200 Seiten, Paperback, 10,90 Euro.

ich schreibe gedichte

um nicht verrückt zu werden

wenn du gedichte schreibst

bist du schon verrückt

aus: Wenn Wände erzählen könnten; Buch zum Ingeborg-Drewitz Literaturpreis für Gefangene 1999; Autor: N. N. Schwarz

Schweigen

(Ralf Sonntag; Wenn Wände erzählen könnten)

Jeden Abend der

gleiche Vorgang

Tür zu –

Schlüssel rum –

aus,

allein mit dem Schweigen.

Wenn Wände erzählen könnten!

Von denen,

die nachts leise weinen,

von denen,

die im Schlaf schreien

oder

von denen, die ganz

still sind.

Der Ingeborg-Drewitz Literaturpreis für Gefangene in Büchern:

  • Risse im Fegefeuer – 1989
  • Fesselballon – 1992
  • Gestohlener Himmel – 1995
  • Wenn Wände erzählen könnten – 1999
  • Nachrichten aus Anderwelt – 2002
  • Nichts beginnt. Nichts passiert. Nichts endet. – 2005
  • Geräusche der Nacht – 2008
  • In jeder Nacht lacht der Teufel leise. – 2011
  • Gemeinsam einsam – 2015
  • Begegnungen in der Welt des Widersinns – 2018