Schreibkraft
Heiner Frost

Über allen Gipfeln oder: Neues vom Maulkorbshügel

13 Uhr. Donnerstag.

Eigentlich könnte man in Feierlaune sein: Eine tolle Ausstellung am Start, der Geburtstag in Sicht … und dann das: Feuerlaune. Geschossen wird aus allen Rohren.Was gibt‘s Neues vom Kunstschloss? Diese Frage zu beantworten erfordert – wie soll man schreiben – diplomatisches Geschick und Kinokenntnis. Da gibt es in amerikanischen Gerichtsfilmen immer wieder einmal die Szene, in der Geschworene vom Richter dazu aufgefordert werden, etwas soeben Gehörtes quasi auf höchste Anordnung hin wieder zu vergessen. Ja geht denn das? Natürlich nicht. Niemand kann das. Aber man kann‘s ja mal anordnen.

 

Kürzlich herrschte in Moyland Pressekonferenzstimmung. Herzen im Prospekt, Herzen auf dem Plakat, Herzchen (schokoladig schwarz und weiß) auf dem Tisch („Greifen Sie zu!“) und Lebkuchenherzen im Karton – ach, du schöne Museumsseligeninsel: Liebling Moyland. Man arbeitet sich durch das Programm: Was gibt‘s zu sehen, was gibt‘s zu erzählen. Was halt so gesprochen wird auf einer Pressekonferenz. Während man so redet, betritt eine Dame den Raum und reicht der (stellvertretenden) künstlerischen Leiterin ein A4-Blatt. Wichtig sei das, sagt die Dame, entblattet sich und verschwindet. Sie solle sagen, der Inhalt der Botschaft sei von Bedeutung für die Pressekonferenz, sagt sie vor dem Entschwinden. So werden Nachrichten bedeutend. Die Paust liest, was man ihr zugetragen. All das kanndarf berichtet werden. Noch hat alles seine liebe Ordnung, doch dann ist der Punkt erreicht, an dem die Situation – wie soll man schreiben – bizarr wird. Der Kollege fragt, ob denn zur Ausstellung ein Katalog erscheinen wird.
Hatte man nicht, bevor es losging, die Presseverlautbarung durchgelesen und eben dazu etwas gefunden? Hatte da nicht eine fett gedruckte Stelle den Punkt „Katalog“ aufgerufen. Ja. Nun allerdings setzt Konfusion ein, denn der Inhalt der zuvor hereingereichten Nachricht scheint mit der Pressemitteilung zu kollidieren. Ja – man hatte sie schon gelesen. Es stand ja da: Schwarz auf weißer ging es nicht. Jetzt allerdings … nun ja – jetzt darf nicht veröffentlicht werden, was man soeben gelesen hat. Offensichtlich (da kommt er wieder in Sicht – der Moyländer Maulkorbshügel) darf nicht vermittelt werden, was gerade noch (und doch jetzt auch noch) zu lesen dasteht. Anordnung der obersten „Heeresleitung“. Es schweigen die Vögelein im Walde … warte nur!
Nein, die Paust darf nichts sagen zum Katalog. Zu erfahren ist allerdings, dass es wohl einen fast druckfertigen Katalog gibt. In der Pressemitteilung (Liebling Moyland!) steht noch immer, was nicht übermittelt werden darf, dass nämlich … da dröhnt sie im Kopf: die Richterstimme. Die Geschworenen werden angehalten, das Gehörte nicht zur Kenntnis zu nehmen. Man möchte ja niemandem dem Zorn seiner Obrigkeit ausliefern. Aber so viel sei gesagt: Es wird wohl – nach derzeitigem Stand der Dinge – eher nicht mit einem Katalog zu rechnen sein. Die Gründe … nun ja: Da liegen sie gedruckt auf dem Tisch und sind doch geheim.
Von wegen Liebling Moyland. Nein, es gibt Häute, in denen man nicht stecken möchte. Also: Schön über die Ausstellung berichten und auch empfehlen, manche der zu den Kunstwerken verfassten Texte vor dem Hintergrund des Aktuellen einfach mal als Wasserstandsmeldung zu lesen. Die (stellvertretende) künstlerische Direktorin hat jedenfalls nichts gesagt. Der (un)bekannte Absender der blattlichen Botschaft darf sich entspannt zurücklehnen. Vor Gericht dürfte die Klärung der Frage, wann eine Pressemitteilung offiziell ist, für Diskussionsstoff sorgen. Von der Pressemitteilung lässt sich das Folgende verwenden: „Für die Ausstellung … ein Katalog … Dieser kann … aufgrund … werden.“ Alles klar? Wer‘s genau wissen möchte, ruft vielleicht einfach mal beim Stiftungsvorstand an.

15 Uhr – Umschwung

Während man noch so schreibt, trifft eine Nachricht ein. Alles rückt in ein anderes Licht. Vielleicht darf man doch zitieren. Bitte – kein Problem. Die Pressemitteilung: „Für die Ausstellung war ein Katalog geplant. Dieser kann leider derzeit aufgrund der kürzlich vom Verwaltungsdirektor der Stiftung Museum Schloss Moyland verhängten Haushaltssperre, die eine Kürzung auch bereits begonnener Projekte ebenfalls im künstlerischen Bereich um 30 Prozent vorsieht, nicht realisiert werden.“
Darf man‘s doch schreiben? Darf man. Allerdings, so Franz Rudolf van der Grinten, mit der richtigen Begründung. Und die geht so: Der Katalog – druckfertig und finanziert. Man könnte produzieren. Der Grund für den Nicht-Druck: Düsseldorf. Nein – nicht das Ministerium. Es liegt ein Schreiben von Eva Beuys vor, die mit dem Druck des Kataloges in seiner jetzigen Form nicht einverstanden ist. Wenn dem so ist, wäre der in der Pressemitteilung angegebene Grund falsch. Grundfalsch gewissermaßen. Ist Kopfschütteln abgebracht? Mindestens. Auf dem Maulkorbshügel scheint ein Kampf zu toben. Sünden und Böcke werden vermischt. Das postfaktische Zeitalter hat also Einzug gehalten. Traurig legt man den Stift beiseite.
Man denkt an einen Text auf der Wand der Ausstellungshalle: „Humor ist überall, man muss ihn nur entdecken.“ Liebling Moyland ist eine schöne Ausstellung. Sehenswert. Lesenswert. Über allen Gipfeln ist Ruh. In allen Wipfeln spürest du …

23 Uhr

Die Geschichte will kein Ende nehmen. Sie hat in der Wirklichkeit begonnen und sich längst in den Kopf gefressen. Dort hält sie jetzt Hof. Täglich. Zuletzt also die Sache mit der Pressemitteilung. Kann sich jemand erlauben, eine Pressemitteilung zu veröffentlichen, die – sagen wir es zeitgemäß – alternative Fakten zum Besten gibt? Wir erinnern uns: Eine Ausstellung soll eröffnet werden. Einen Katalog, liest man in der Pressemitteilung, werde es nicht geben. Ein Grund wird genannt – auch ein Mensch mit Funktionsbezeichnung: Der Verwaltungsdirektor hat den Haushalt gesperrt. Der Katalog – der Sperre zum Opfer gefallen. Das liest sich eindeutig. Zusatzinfo: Der Katalog: so gut wie fertig. Eigentlich hätte man drucken können.
 
Dann die andere Seite: Alles falsch. Haushaltssperre? Ja. Aber! Der Katalog war finanziert. Drucken hätten man können. Kein Problem. Oder eben doch. Aber: Das Problem ist anders zu verorten. Die Beuys-Witwe als Drucksperre. Sie stimmt dem Druck des Kataloges nicht zu. Will da, denkt man, jemand eigene Fehler in anderer Leute Schuhe schieben? Kann denn, denkt man, jemand so (pardon!) blöd sein, eine falsche Information zu veröffentlichen? Man mag es kaum glauben. Aber: Der Stiftungsvorstand lässt sich zitieren mit der „Gegendarstellung“. Das tut, denkt man, doch niemand, der weiß, dass er nicht mit der Wahrheit zitiert werden wird. Andererseits würde aber doch auch niemand eine Presseinformation ausstreuen, die – sagen wir – an der Wahrheit vorbei erklärt. Wird man gerade journalistisch instrumentalisiert für die Fehde, die da im Kunstschloss im Gange zu sein scheint?
 
Was wäre denn als Erklärung noch denkbar? Vielleicht dies: Der Druck des Katalogs kann nicht stattfinden. Wegen einer Haushaltssperre. Das ist die Grundkonstellation – gedacht als Verhinderungsstrategie der einen Seite. Da tut sich eine Tür auf. Die Haushaltssperrenseite erfährt, dass der Katalog nicht gedruckt werden kann, weil es da dieses Veto der Künstlerwitwe gibt. Das – denken sie sich nun – könnte eine tolle Falle sein. Man lässt die Gegenseite erklären, dass der Katalog wegen Haushaltssperrung nicht gedruckt werden kann und sagt dann plötzlich, das Geld stünde ja bereit – es könne ja gedruckt werden. Der Verhinderungsgrund: Die Witwe. Das wäre eine Strategie, bei der die Presseinformationsautorin quasi selbstschreibend in ein geöffnetes Klappmesser stolpern würde. Man muss kaum nachhelfen. Plötzlich steht die Informationsverursacherin als Verleumderin da, denn sie hat ja wissentlich eine falsche Information ausgestreut. Könnte es denn so gewesen sein? Könnte. Aber das würde sich nicht beweisen lassen. Die Verhinderungswitwe allerdings müsste schon eine Tatsache sein. Langsam beginnt man zu ahnen, was im Großen abgeht, wenn schon „auf dem Lande“ so gearbeitet wird. Zum Instrument wird der Schreiber immer. Schreibt er, wird er zum Instrument des Öffentlichen, schreibt er nicht, engagiert er sich fürs Verschweigen. Eigentlich müsste man alle Beteiligten zusammenrufen und sie dazu bringen, alles Gesagte in Gegenwart der anderen zu wiederholen. In Sachen Moyland scheint es allerdings so zu sein: Das zerschnittene Tischtuch nimmt zu viel Fläche ein.