Schreibkraft
Heiner Frost

Summertime oder: Fußball und Fliehkraft

Kindergeburtstag?

Der Hähnchenwagen ist da. Der Eiswagen auch. Die Torwand ist aufgebaut. Der Bulle wartet auf Reiter. Es gibt Tischtennis und Tombola. Auf der Getränkekarte: Wasser, Cola, Limo. Das klassische Szenario für einen Kindergeburtstag? Nicht wirklich: Sommerfest im Gelderner Knast.  Genau besehen: Das mit dem Sommer passt nicht so ganz. Die Wetterlage könnte besser sein. Aber ein Fest ist es allemal. Das erste seit längerer Zeit. „Seit 1999 haben wir das hier nicht mehr gehabt“, sagt einer der Gefangenen. Da nimmt man es, wie es kommt.

Immer Heimspiel

Gibt’s einen Anlass außer dem Sommer? Und ob. Im Zuge von Bauerweiterungsmaßnahmen hat die JVA jetzt einen Fußballplatz. Gekickt wird auf Kunstrasen. Nebenan auf dem Basketballplatz: Tartan. Auch die Halle, in der die Tischtennisplatten aufgebaut sind, ist renoviert. „Sport hat hier eine extrem hohe Bedeutung“, erläutert Michael Metzner, der Anstaltsleiter den Stellenwert der neu geschaffenen Sportanlagen. Übrigens spielt die Gefangenentischtennismannschaft der Anstalt in der Kreisliga mit. Weit reisen müssen die Jungs nicht – es gibt nur Heimspiele.

JuVAntus

Auf dem Platz wird unterdessen ein Turnier ausgespielt. Sechs Hafthäuser hat der Knast in Geldern – fünf Mannschaften haben sich gebildet. „Zwei der kleineren Hafthäuser haben sich zu einer Mannschaft zusammengetan“, sagt der Chef. Gewissermaßen mit „Wild Card“ sind die Schwarzweißen angetreten. „JuVAntus“ steht auf den Trikots. Das ist – Fußballfans wissen es gleich – eine Anspielung auf „Juve“.  Michael Metzner: „Juventus Turin spielt auch in Schwarzweiß.“ In den schwarzweißen Trikots stecken Bedienstete. Die eine Seite des Gitters tritt gegen die andere an. Auf dem Platz geht es fair zu. Turniertechnisch ist das Spiel eine Nullnummer. Schaukampf. Die Devise: Hart aber fair.

Spaßkosten

Rund 700 Gefangene gibt es in Geldern. Ein Blick über die Anlage zeigt schnell: Nicht alle sind beim Fest. Ungefähr 300 Gefangene haben es zum Fest geschafft. Jeder, der hier ist, musste sich anmelden und … zahlen. Die Teilnahme am Sommerfest ist kostenpflichtig. Da überlegt sich jeder, ob er auch wirklich dabei sein möchte. Im Knast ist genau wie draußen: Für manch einen sind fünf Euro eine Menge Geld, aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt ist Party angesagt. Die einen schauen beim Fußball zu, die anderen schießen auf die Torwand oder versuchen sich beim Bullenreiten. Der Tierschutz muss nicht ausrücken: Der Bulle ist eine Maschine. In seinen Adern fließt Strom, aber: bockig sein kann auch er. Und wie!

Fliehkraft

Das „Monster“ steht inmitten einer gepolsterten Arena. Zu(t)ritt nur auf Socken – damit dem Airbag beim „Absteigen“ nicht die Luft ausgeht. Das Ziel: So lange wie möglich oben bleiben. Manche werden schnell abgeworfen- andere halten sich länger, aber: am Ende fliegen sie alle.  Und während oben einer gegen den Bullen, Flieh- und Schwerkraft kämpft, feuern die anderen ihn an. (Schon ein komisches Wort in einem Knast: Fliehkraft.)
Die Stimmung ist gut. Gibt es Angst vor möglichen Rangeleien? Knast ist schließlich auch nur eine andere Form von Wirklichkeit. Einer der Gefangenen: „Da passen heute nicht nur die Bediensteten auf.“ Der Hintergrund: Wenn nach fast zehn Jahren wieder ein Sommerfest stattfindet, dann soll auch aus Sicht der Gefangenen alles ruhig bleiben. Liefe hier was aus dem Ruder, wäre wohl schnell klar, dass im nächsten Jahr vielleicht der Sommer kommt, aber das Fest dazu eher nicht.  Das wissen alle, die jetzt beim Fest sind. Für den Herbst ist in der Anstalt sogar ein Halbmarathon geplant. Sagt der Chef. „Sollen wir nicht mal auf dem Bullen um die Wette reiten?“, fragt ihn einer. Der Chef lächelt. Muss nicht sein.

Tango und Tarantella

Für alle Teilnehmer am Sommerfest gibt’s halbe Hähnchen,  Salate, Brot, Eis, Getränke. Zwei „Fresszelte“ sind aufgebaut. Drinnen in der Halle: Kaffee, Kuchen, Tischtennis und Musik. Ein Schlagzeug ist aufgebaut. Davor – an einen Stuhl gelehnt – eine Bouzouki. Im Knast ist es wie draußen: Multikulti. Rap und Reigen, Soul und Sirtaki, Tango und Tarantella. All das mag sich die lesende Fantasie zu einem schönen Szenario zusammensetzen, aber zum ganzheitlichen Eindruck gehören auch die Mauern und der Stacheldraht und die Kameras und die vergitterten Türen. Trotzdem: Die Männer sind zufrieden, und einer der Gefangenen sagt: „Das hier ist eine gute Zusammenarbeit – Gefangene und Beamte ziehen an einem Strick, und ein paar von denen haben hier auch ihre Freizeit investiert. Das ist ein gelungenes Projekt. Aber es hat auch lange genug gedauert.“  Um 15 Uhr ist „Schluss mit lustig“. Dann hat der Knastalltag sie wieder. Übrigens: Die Internetadresse der Gelderner JVA lautet: http://www.jva-geldern.nrw.de

 

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