Schreibkraft
Heiner Frost

Rheinischer Dreiklang

Norbert Prangenberg zu treffen ist kein Problem. 86.000 Treffer. Bei Google.Mag sein, dass es noch andere Prangenbergs gibt, aber er liegt vorn. Er steht an eins. Wikipedia: „Norbert Prangenberg, geboren 1949 in Nettesheim bei Köln. Er lebt und arbeitet in München und Niederambach (bei Ingolstadt).“ Ich treffe
Prangenberg in seiner Heimat. Es ist ein Samstagmorgen gegen halb zwölf. Prangenberg sitzt in einem Straßencafé: Roki Caféstübchen. Roki steht für Rommerskirchen. Auf der anderen Straßenseite: Reisestudio Wlotzka. Rommerskirchen international. Hier könnten die Coen-Brüder Filme drehen. Die Frage: Was ist Heimat? „Es gibt natürlich eine geografische Heimat“, sagt Prangenberg. „Das wäre hier.“ Prangenberg hat eine Margerite im Knopfloch seiner Jeansjacke.Er raucht Selbstgedrehte. Die Brille hat er in den Haaren geparkt.

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In Prangenbergs Adern pulst rheinisches Blut. Heimat ist ein Kindheitsrepertoire, denke ich. Ein Wärmespeicher, der in Momenten zur Verfügung steht, wenn Erinnerungen aufwachen. Heimat ist ein Ort in der eigenen Seele, für den es nicht immer ein Visum gibt. Prangenbergs rheinische Erinnerungen setzen ein Augenflackern frei. Die Jugend – ein Wechselbad: „Ab Ostern trugen wir kurze Hosen. Im Herbst zogen wir lange Hosen an. Dann ging es zum Einkaufen nach Köln.“ Ein einprägsamer Rhythmus. Zwischen der Andacht und der Nachmittagsvorstellung im Kino: Fünfzehn Minuten Zeit. Pendeln zwischen Kreuzweg und Fozzy-Bär.
„Heimat – das sind vor allem auch die Menschen.“ Ist Bayern Heimat? „Nä!“ Heimat hat für Prangenberg zwei Instanzen: Rommerskirchen. Köln. „In Köln bin ich in die Lehre gegangen. Köln war eine Art Fixpunkt.“ Niederambach in Bayern ist ein Ort. Der Ort, an dem er lebt. „Früher sind wir in den Ferien nach Italien gefahren. In Bayern fing der Urlaub an.“ Rommerskirchen ist Heimat. Heimat fängt beim Sprachklang an. Fotos of Ghosts – Erinnerungsrekonstruktionen. …und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus … Prangenbergs literarische Heimat: Die Romantik. Novalis, Mörike, Eichendorff.  … flog durch die stillen Lande, als wollte sie nach Haus … Prangenbergs musikalische Heimat: Ein früher Bob Dylan. Schuberts Winterreise. Sie gehörte in den Hörkanon des Vaters. Fremd bin ich eingezogen

Wildes Kind

Was ist Heimat in der Kunst? „Malerei. Zeichnen.“ Angefangen hat Prangenberg mit Zeichnen im Wohnzimmer. Er war drei. „Ich war ein wildes Kind. Wenn ich gezeichnet habe, war ich  ruhig. Das gefiel meiner Mutter. Sie hat meine Lust am Zeichnen also früh gefördert. Nicht ohne Eigennutz, wie ich heute denke. Natürlich war das noch nicht Kunst. Das war eben kindliches Zeichnen. Aber ich wurde gelobt. So habe ich weitergemacht.“ Es ging um die Lust an der Darstellung. Das wilde Kind begann mit einer Goldschmiedelehre. Prangenberg war gerade einmal dreizehn. Beim Zeichnen von Schmuck trafen sich Dimensionen.

Übersetzungen vom Drei- ins Zweidimensionale

„In der Berufsschule hatten wir Zeichenunterricht. Zweimal die Woche. Damals habe ich angefangen, mich für Malerei zu interessieren. Ein Gefühl zu entwickeln. Ich bin ins Museum gegangen, habe mir Sachen angesehen. Ich habe gemerkt: Ich guck mir gern Bilder an.“ Es war als hätt der Himmel die Erde still geküsst „Mein Interesse reichte bis zum Expressionismus. Danach war erst mal Feierabend. Gleichzeitig habe ich immer gezeichnet. Nach der Lehre bin ich zur Werkkunstschule nach Düsseldorf gegangen. Da gab es dann schon professionellen Zeichenunterricht. Ich habe ziemlich schnell mehr gezeichnet als mich ums Goldschmieden zu kümmern. Trotzdem hatte ich noch nicht das Bewusstsein von Künstlertum. Irgendwann gab es dann die Situation, dass mir – es war ein Sonntagnachmittag – ein Bild richtig gut gelungen ist. Ich hatte das Gefühl: Das ist jetzt gut. Damals hatte ich auch zum ersten Mal das Gefühl: Vielleicht kannst du
so was ja auch beruflich machen. Ich habe nicht gedacht ‚vielleicht kannst du mal Künstler werden – es war einfach dieser Gedanke: Davon kannst du vielleicht mal leben. Vielleicht führt das mal weiter.“ Schläft ein Lied in allen Dingen

Designer

„Zu der Zeit habe ich schon als Glasdesigner gearbeitet. Trotzdem erinnere ich mich noch heute genau an dieses Gefühl des Gelingens. Danach hat es aber immer noch ein paar Jahre gedauert, bis ich das umgesetzt habe. Ich habe lange Inkubationszeiten. Ich habe mir Ausstellungen angeschaut. Bin nach Köln gefahren. Nach Düsseldorf. Da kam ein echtes Interesse an der Malerei auf. Ich habe bei meinen Eltern auf der Terrasse gemalt. Oder im Keller. Wenn ich ein Hochformat hatte, musste ich quer malen, dann auf die Terrasse gehen und gucken. Anschließend zum Weitermalen habe ich das Bild wieder in den Keller getragen. Da habe ich dann gemerkt: Dass läuft irgendwie auf etwas Ernsthaftes heraus. Sechsundsiebzig habe ich mit meinem Designerjob aufgehört. Da wusste ich: Ich will jetzt Maler werden. Ich habe aber immer noch freiberuflich als Glasdesigner weitergemacht. Es musste ja Geld reinkommen. Ich war verheiratet. Wir hatten unser erstes Kind. Ich habe mich mit riesigen Formaten beschäftigt und irgendwie alles abgearbeitet, was ich bis dahin gesehen hatte. Achtundsiebzig gab es eine Zäsur. Ich habe mit den großen Bildern und der Dispersionsfarbe aufgehört und mit kleinen Zeichnungen angefangen. Ich habe mich für Arbeiten von Palermo, Beuys und Rutenbeck interessiert. Die haben mir einen Weg eröffnet. Palermo, Beuys und Rutenbeck – das waren Leute, an denen ich was kapiert habe. Da ging es um das Einfache. Achtundsiebzig war der Anfang meines bewussten Künstlertums. Wenn mich dann jemand nach meinem Beruf gefragt hat, habe ich gesagt, dass ich Künstler bin. Bis dahin war alles ein ambitioniertes Üben.“

Rot und Schwarz

„Als ich mit dem Zeichnen anfing, gab es nur Rot und Schwarz. Rot und Schwarz haben die härtesten Kontraste. Rot hat die größte Ausdehnung als Farbe und Schwarz den strengsten Kontrast. Rot und Schwarz – das war für mich die klarste Aussage. Gelb ging zu sehr ins Weiß. Grün auch. Blau war zu romantisch. Also blieben anfangs Rot und Schwarz. Ich habe dann fast zwei Jahre nur in rot und schwarz oder mit Bleistift gemalt.“
„Eigentlich bin ich kein Bildhauer. Ich kenne Bildhauer und weiß, wie die denken, fühlen. Wie die arbeiten. Im Grunde ist das was anderes. Für mich spielt bei der Bildhauerei die Farbe immer eine große Rolle. Trotzdem habe ich mittlerweile ein großes bildhauerisches Werk. Das besteht zu neunzig Prozent aus Keramik. Die Tatsache, dass ich in München eine Professur für Keramik habe, bedeutet, dass die Malerei für mich immer ein Freiraum geblieben ist. Ich musste nie Malerei unterrichten. Wenn du unterrichtest, rücken die Dinge in einen anderen Fokus.“

Zuerst das Papier

Prangenberg muss sein Malen nicht erklären. Sich nicht. Anderen nicht. Manchmal nagt Erklärung am Wunderbaren. Verstehen kannst du mit dem Herz. Erklärung setzt bewusste Analyse voraus. „Ich konnte mich in der Malerei immer völlig unabhängig bewegen – unabhängig von dem, was ich als Professor erzähle, was ich von meinen Studenten fordere.“
„Mein Arbeiten als Bildhauer hat mit Papier angefangen. Ich habe einfach die Lust verspürt, noch etwas anderes zu machen. Zuerst kam dann das Papier. Danach Beton. Ich bin immer auf der Suche nach einfachen Wegen. Der Umgang mit dem Material ist dabei wichtig. Ich habe beispielsweise Formen in die Erde gegraben und die dann ausgegossen. Farbe war dabei immer wichtig. Ich habe von Anfang an versucht, den Beton einzufärben. Beim Papier habe ich das mit Pigmenten gemacht.“
„Dann habe ich im Haus Lange in Krefeld dieses Stipendium gehabt. In Krefeld gab es eine große Abteilung für Keramik an der Fachhochschule. Da bin ich hin und habe gefragt, ob ich ein paar Sachen probieren darf. Da habe ich dann erst mal simpelste Erfahrungen mit dem Material Ton gemacht. Mein Umgang mit diesem Material ist ja bis heute einfach geblieben. Einfach und direkt. Ton ist gefügig. Das kommt mir entgegen. Die Glasur gab mir dann die Möglichkeit, extrem farbig zu arbeiten. Das Anmalen einer Skulptur mit Farbe hat mich immer gestört. Das habe ich auch letztlich nie gemacht. Ich hab nie eine Skulptur mit Ölfarbe angemalt. Beton habe ich eingefärbt, und die Papierarbeiten waren sozusagen mit Pigment durchtränkt. Bei der Keramik wurde die Farbe eins mit der Form. Durch das Brennen entsteht eine untrennbare Verbindung.“

Paare

„In allen meinen Arbeiten geht es immer um Kontrapunkte. Es geht um Paare. Form und Farbe ist eines dieser Paare. Bei der Skulptur ist es ganz einfach: Du hast die Form, und dann ist da die Farbe. Diese beiden Komponenten eines Paares bauen die notwendige Spannung auf.“ Am Ende des Gespräches zeigt Prangenberg die neuen Schnitte zur Winterreise. „Winterreise ist auch ein Stück Heimat für mich“, sagt er.„Mein Vater hat diese Musik gehört. Ich kenne das Stück also seit meiner Kindheit. Die Winterreise spielte einfach eine Rolle bei uns. Mein Vater war nicht unbedingt ein Kulturmensch, aber er hatte ein paar Dinge, die ihm wichtig waren. Die Winterreise gehörte dazu. Das Brahms Violinkonzert. Die Winterreise hat mich immer begleitet. Da gibt es einen Bezug.“ Dann öffnet Prangenberg die Mappe mit  den Schnitten. Auf dem Tisch liegt etwas, das Musik und Text ohne Töne zusammenfasst. Alle Zeit prallt tonlos ab. Prangenbergs Visum für die innere Heimat.
flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus ..

Norbert Prangenberg: 1949 – 2012. Foto: HF