Radio

Dampfradio war gestern

Vom Bandsalat zum Digitalmenu — Frühschicht bei Antenne Niederrhein

Der Mantel spricht

Morgens 5.30 Uhr. Der Mantel spricht. Noch gute 30 Minuten, dann geht Antenne Niederrhein auf Sendung. Der Mantel ist übrigens kein Kleidungsstück, sondern das Nachtprogramm.

Von sechs bis neun heißt es gleich „Hallo wach!“ und: Der Chef kocht, pardon: moderiert höchstselbst. Der Chef — das ist Bollmann. Tommi Bollmann. Bands haben den Frontman, das Fernsehen lebt von den Gesichtern und Radio: Das sind die Stimmen. Antenne Niederrhein,  ist nicht zuletzt Bollmanns Stimme. Er ist der Anchorman (die Identifikationsfigur) in Sachen Moderation. Wenn einer seit 15 Jahren beim Sender ist, gehört er für die Hörer fast schon zur Familie. Tommi ist 45, aber niemand würde aus Tommi Thomas machen wollen. Wer ist Thomas?

Hier ist Tommi Bollmann

Bollmann ist gegen 3.45 Uhr aufgestanden und "unter die Dusche gefallen". Morgenmuffel haben schlechte Karten. Geteiltes Leid ist doppeltes Leid: Tommi ist nicht allein. Da wäre dann noch der Olli. Den allerdings kennt das Publikum eher als Oliver Drucks. Er ist einer der beiden Nachrichtenredakteure bei Antenne: Der Klaus Kleber vom Niederrhein. Mit Wickert möchte kein Radio-Mann verglichen werden. "Der hat ja genuschelt wie nix." Das können sich die Leute beim Sender nicht leisten. Hörer erwarten Perfektion. Zurück zum Nachrichtenmann. Ein Nachrichtenredakteur heißt nicht Olli — das klingt zu vertraut. Nachrichten haben einen Vornamen: Seriös.

Nicht, dass Tommi nicht seriös wäre. Aber der Moderator kann zur Familie gehören. Der Nachrichtenmann eher nicht. Es gilt Hajo Friedrichs Satz: „Überall dabei sein, nirgends dazu gehören.“

Lokalradio ist kein karitatives Unternehmen

Der Radiotag fängt für Tommi mit dem Wetter an. Es folgen erste Teaser. Ach so. Teaser sind akustische Appetithäppchen — kleine Ankündigungen dessen, was da kommen wird. Tommis Stimme hat genau den Ton, den man nach dem Aufstehen (v)ertragen kann. Freundlich. Interessiert. Unaufgeregt. Wenn das Rotlicht regiert, heißt es: Konzentrationsfaktor 105 Prozent. On Air. Auf Sendung.

Ist gute Laune Pflicht für einen Moderator? Bollmann meint "Ja!" Aber es kann doch passieren, dass ein Tag ziemlich besch...eiden anfängt. Der Mensch ist keine Moderationsmaschine. "Natürlich kann das passieren. Dann versuche ich, das aufzugreifen", beschreibt Bollmann die Strategie. Natürlich kann ein Moderator die Hörer nicht mit seiner miesen Stimmung bewerfen ("Dafür werden wir nicht bezahlt"), aber eine Moderation wie "Kennen Sie das Gefühl, dass ein Tag beim Schellen des Weckers verunglückt?" — das ist möglich. Bollmanns Gesetz: "Eine Sendung machen, die ich selber hören möchte."

No, no, never

Merke: Hörer wollen Aufrichtigkeit. Hörer sind nicht dumm. Und: Hörer werden gebraucht im Zeitalter der Quoten, die beim Radio auch "Reichweiten" heißen. Das Lokalradio ist kein karritatives Unternehmen. Das Lokalradio ist Dienstleister, und eine der Dienstleistungskernzeiten liegt zwischen 6.45 und 7.30 Uhr morgens . Da sitzen zwischen 60.000 und 70.000 Hörer an den Geräten. Natürlich sitzen sie nicht an den Geräten. Das war gestern. Sie können im Auto unterwegs sein, auf dem Weg zur Arbeit. In einer bedingungslos mobilen Gesellschaft ist Vieles denkbar.

Das Medium Radio hat längst nichts mehr zu tun mit der Plaudertaschenunterhaltung der Gründertage. Tommi Bollmann: "Die Hörer verzeihen keine Fehler. Die Zeiten, als  am Senderwählknopf gedreht wurde, sind vorbei. Lange gesucht wird nicht. Die Hörer haben drei, maximal vier Sender voreingestellt, und wenn ich Mist erzähle, wird weg gezappt. Das war's." Radio als Selbstzweck? No, no, never!

Vom Bandsalat zum Digitalmenu

Wer um 6 Uhr morgens auf Sendung geht, muss nicht nur früh aufstehen. Nachrichtenredakteur Oliver Drucks forscht seit 4.30 Uhr nach Meldungen. Die müssen mundgerecht formuliert werden. Es gilt: "Improvisieren is nich." Im 60-Minuten-Takt wollen die Hörer Neuigkeiten und nicht Schnee von gestern. Radio heißt: Geschwindigkeit. Und Geschwindigkeit ist digital. Vorbei das Zeitalter von Magnetaufzeichnung und Bandsalat. Im Studio herrscht der Rechner. Serviert wird das digitale Menu. Es geht um Sekunden. Es geht um Präzision. Abgerechnet wird zum Schluss: Wer überzeugt, der überlebt. Und trotzdem heißt es: Immer locker bleiben.

Eitelkeit ist nicht gefragt

Perfektion im Endstadium bedeutet für einen Moderator: Niemand darf merken, dass ein Text vorformuliert ist. Wenn es spontan wirkt, ist es perfekt. Und genau das ist die Kunst. Tommi Bollmann ist das, was man einen alten Hasen nennt. Eine Plaudertasche ist er nicht. "Viele Moderatoren nehmen sich viel zu wichtig und reden zu viel. Viel zu viel."

Dann gilt also auch im Radio der Satz vom Silberreden und Goldschweigen? "In gewisser Hinsicht ja", erklärt der Antenne-Chef. "Natürlich verkaufen wir keine Stille, aber es gibt nichts Gefährlicheres als Eitelkeit." Merke: Die Sendung ist wichtig — Sendungsbewusstsein eher störend.

A bisserl a Talent schad nix

Während Bollmann Fragen beantwortet, ist er immer mit einem Ohr auf Sendung. Schließlich kann jederzeit was passieren, "Stell dir vor, die Musik fällt plötzlich aus, und du merkst es nicht." Der Stoff, aus dem radiophone Albträume sind.  Wer Radio macht, muss Multi-Tasking beherrschen: Das Eine tun — das Andere denken — das Dritte planen. Übungssache? Jain. Merke: Auch beim Radio kannst du nicht alles lernen. A bisserl a Talent braucht's scho. Und a bisserl a Sucht auch. "Als Radiomann musst du Junkie sein", sind Bollmann und Drucks sich einig.

Nur süchtig ist tüchtig

Nur Süchtig ist tüchtig, denn für Eingefleischte ist Radio halt eine Droge. Ohne die läuft nix. "Diesen Beruf machen zu dürfen — dafür kannst du nur dankbar sein", ist Bollmann sicher, auch wenn es manchmal stressig zugeht. Schließlich ist der Hallo-Wach-Moderator ja so ganz nebenbei auch noch Chefredakteur. Sobald es 9 Uhr  schlägt, wird aus dem Frühmoderator Tommi Bollmann der Wellenchef, der sich auch aufs Rechnen verstehen muss und aufs Organisieren. Manche Kollegen fragen ihn: "Wie, du moderierst noch selbst?" Klar. Das lässt er sich nicht nehmen.

Die Welt ist groß, und sie beginnt in der nächsten Seitenstraße

Während Bollmann das Studio verlässt, geht für Nachrichtenmann Oliver Drucks die Schicht weiter. Er muss im Stundentakt die Hörerschaft mit dem Neuesten aus aller Welt versorgen, und die Welt ist groß. Aber sie beginnt — und eben das ist wichtig beim Lokalradio — in der nächsten Seitenstraße. Wer Antenne hört, will auf jeden Fall auch wissen, was im Kreis los ist.

Vaterschaftstest

Der Chef plant längst seinen nächsten Coup: Ab Februar wird er einmal wöchentlich zum Vaterschaftstest antreten. "Nicht, was Sie jetzt denken", sagt er, als er das Projekt vorstellt. Bollmann wird demnächst Vater. Eine Junge wird's. Maximilian wird er heißen, und der werdende Vater wird sich auf Radioreise begeben: Er wird Hörer besuchen und sich testen lassen. Stullen schmieren. Wäsche waschen. Was auch immer. Dazu: Gespräche mit den Hörern. "Radio muss am Hörer stattfinden." Und bei Antenne heißt die Zielgruppe: Familie. "Vielleicht bin ich ja demnächst morgens bei Ihnen", hat Tommi in der Sendung gesagt. Gehört haben ihn viele ja schon seit 15 Jahren. Und wer weißt, vielleicht sitzt er demnächst zum Frühstück in der Küche ...