Pilots

Am Boden im Orchester — am Himmel als Solist

Segelfliegen als Golf der Lüfte? Von wegen! Christian Bereuer muss es wissen. Er ist Pressesprecher des fsv Emmerich-Rees. Das steht für Flugsportverein. Fliegen birgt Suchtpotential. Was zu beweisen wäre ...

Segelfliegen als Freizeitbeschäftigung oberhalb der Grasnarbe für Individualisten? Ja und nein. Ja: Da oben ist man schließlich (je nach Flugzeugmodell und Ausbildungsstand) allein unterwegs. Nein: Hochkommen nämlich — das geht nur mit fremder Hilfe. Wer am Himmel solo spielen möchte, muss am Boden ins Orchester — anders geht es nicht.

Flugsucht ist erblich

Christian Breuer ist Überzeugungstäter mit einer spezifischen Flugsozialisation: Die Eltern waren dabei und haben den Kleinen mitgenommen. Flugsucht ist erblich. Und beim Segelfliegen ist möglich, was auf der Straße noch Utopie ist: Schon mit 14 kann allein geflogen werden. Da müsste die Jugend doch eigentlich Schlange stehen, oder? Nicht so ganz. Woran liegt’s denn? Christian Breuer: „Segelfliegen ist ein sehr zeitintensives Hobby. Jeder, der fliegen will, muss auch am Boden mitarbeiten.“ Dabei gehen dann die Wochenenden drauf. Da „fliegen“ die Teens von heute eher mal an die Disco. Das ist angesagt. Aber ein Wochenende auf dem Flugplatz ... für die meisten buchstabiert sich „cool“ halt am Discotresen..

Was gibt’s zu tun am Boden? Jede Menge: Da wäre das Team, das die Winde bedient. Mit 250 Pferdestärken wird das rund 900 Meter lange Schleppseil eingezogen. Dabei herrschen Schumacher’sche Verhältnisse. Ein Segelflieger an der Leine wird in drei Sekunden von Null auf Hundert beschleunigt. Für einen Start braucht der Windenmotor einen Liter Diesel nach dem Motto: Wer schwer arbeitet muss auch gut essen — pardon: trinken. Das Schleppseil wird, sobald ein Flieger hoch genug ist, ausgeklinkt und schwebt dann am Fallschirm auf den Flugplatz zurück und muss dann zum Startpunkt gebracht werden. Auch eine Bodenaufgabe. Hier kommt meist das Auto ins Spiel; Nicht nur, dass die Flieger schon mit 14 in die Luft dürfen — auch Autofahren gehört zu den Flugplatztätigkeiten. Das Fahren allerdings beschränkt sich dabei auf das Grün des Platzes — aber immerhin. Die Crew an der Winde hat eine zusätzliche Ausbildung. Da kann nicht einfach jeder ran. Was gibt’s noch am Boden? Da wäre der Treckerfahrer — nun ja: Trecker ist ein wenig übertrieben. Aber ganz wie bei den Großen müssen die Maschinen halt an den Start geschleppt werden. Das besorgt auf dem Emmericher Flugplatz eine Art Aufsitzrasenmäher. Es muss einen Flugleiter geben und den Mann (oder natürlich die Frau) am Telefon. Telefon? Richtig. Die Winde ist so weit vom Start entfernt, dass der Mann auf der Windenmaschine seine Kommandos über das Feldtelefon erhält. Sehen kann er die Flugzeuge erst, wenn sie schon in der Luft sind.

Auf 250 Kilogramm bringt es ein durchschnittliches modernes Segelflugzeug. Piloten sollten nicht schwerer als 100 Kilogramm sein. Macht „bei ungünstigen Verhältnissen“ also ein Startgewicht von rund 350 Kilo. Das Seil, das diese 350 Kilo in die Luft reißt, ist dünner als ein Daumen. 42 Euro kostet der Meter. Und damit es ein Flugzeug beim Start nicht zerreißt, hat das Seil eine sogenannte Sollbruchstelle. Ist der Druck zu hoch, reißt die Bruchstelle. So was kann passieren, denn die Sollbruchstelle ist für Einsitzer natürlich anders ausgelegt als bei Zweisitzern. Manchmal kommt es vor, dass beim Hochschleppen ein Doppelsitzer an einer Einerbruchstelle hängt. Ein Seilriss wird übrigens in jeder Flugausbildung simuliert.

Die Fahrt zum Flugplatz ist gefährlich

Ist Segelfliegen denn gefährlich? Christian Breuer ist sicher, dass die Fahrt zum Flugplatz wesentlich höhere Risiken birgt. Natürlich sind auch beim Segelfliegen schon Menschen zu Tode gekommen, aber das liegt im Promillebereich. Trotzdem: Jeder, der in ein Segelflugzeug steigt, tut dies mit einem Rettungsfallschirm. Der muss regelmäßig gewartet werden. Johann van Nooy ist Flugleiter und Techniker in Emmerich.  „Einmal pro Jahr muss jeder Fallschirm zur Kontrolle ins Werk. Früher musste jeder Schirm alle zwei Monate gepackt werden. Heute passiert das nur noch einmal jährlich.“ Zwei Leute im Verein haben die „Packlizenz“ — denn das ist klar: Wer mit den Rettungsschirmen hantiert, muss wissen, was er tut. Johann van Nooy: „Wenn ein Schirm gut gepackt ist, dann kann man noch aus 100 Metern abspringen.“ Gesprungen ist in Emmerich allerdings noch niemand mit dem „fliegenden Klassenzimmer“. Die Rettungsschirme sind natürlich kleiner als ein normaler Schirm. Und wenn es zum Äußersten kommen sollte, wirkt sich die Landung mit dem Schirm aus wie ein Sprung aus dem dritten Stock. Für die Segelflieger aber ist ohnehin klar: Der Schirm wird nie gebraucht. Circa 150 Mitglieder hat der fsv Emmerich-Rees. Zwischen 30 und 35 sind jedes Wochenende am Platz.

Wer seine Flugtauglichkeit testen möchte, kann das tun, denn der Verein bietet die Möglichkeit, quasi per Anhalter den Luftraum über Emmerich zu erkunden. 20 Minuten Gastflug kosten 13 Euro. Und so viel steht fest; Es lohnt sich. Als Reisegepäck gibt es für den Gast auch eine K-Tüte. Schließlich ist nicht jeder „schraubenfest“ — denn das Kreisen der Piloten auf der Suche nach der Thermik beansprucht mitunter das Gleichgewichtsorgan.

Wer Interesse an einem Gastflug hat, sollte allerdings vorher immer erst den Wetterbericht checken. Nicht jedes Wetter ist Segelflugwetter. Ach ja — bleibt nochdie Frage zu klären, ob man sich das Fliegen ohne Motor denn auch leisten kann. Man kann. Die Aufnahmegebühr bei den Emmericheren liegt für Erwachsene bei 100, für Jugendliche bei 50 Euro. Danach fallen monatlich acht Euro an. Wer sich für den Verein interessiert, wird natürlich auch im Internet fündig. Einfach googeln und fsv Emmerich eingeben. Der erste Treffer führt ins Ziel. Man kann natürlich auch http://www.segelflug.de/vereine/emmerich-rees/_neu/_html/frmset.htm eingeben. Das würde circa fünf Sekunden dauern. In dieser Zeit ist (siehe oben) der Flieger längst gestartet.

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Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007