Schreibkraft
Heiner Frost

Knastzauber

Johnny Cash ist tot, und das hier ist nicht St. Quentin, aber die Jungs auf der Bühne rocken den Saal. JVA Kleve proudly presents: Dr. Rattle und Mr. Jive. Courtesy of: Kultur hinter Gittern.

Zweite Kasse, bitte

Es ist Samstag, 14.20 Uhr im Klever Knast. Die Kapelle der JVA füllt sich. 50 Karten sind »im Vorverkauf weggegangen«. Vorverkauf heißt: Ein Woche lang Durchsagen über die Wechselsprechanlage (alles klingt immer ein bisschen nach »Zweite Kasse, bitte.«) plus Aushänge auf den Abteilungen. Eintritt frei. Anmeldungspflicht. „Früher hatten wir mehr Anmeldungen für solche Veranstaltungen“, sagt einer der Beamten. Mittlerweile gibt es auf fast jeder Zelle einen Fernseher. Da kommt die Unterhaltung aus der Steckdose, und mancher gehen lieber auf Umschluss als zum »Knastvarieté«. Die Künstler sind kurz vor 14 Uhr angerückt. Der Auftritt beginnt mit Kofferschleppen: Die Anstaltskapelle ist im vierten Stock. Hier findet alles statt, wofür Platz gebraucht wird. Kino gibt’s auch.  Also: Hilft nix – das Gepäck muss hoch. Zwei Häftlinge werden zum Tragen abkommandiert. Ach ja: Heute wird nicht nur gerockt. Auch ein Zauberer steht auf dem Programm. Zauberer gibt es auch im Publikum. Der Unterschied: Was der Mann auf der Bühne wegzaubert, taucht anschließend wieder auf.  Nach Eintreffen des Publikums wird die Tür zur Kapelle verriegelt. Geschlossene Veranstaltung. Für die Künstler, die unentgeltlich auftreten, ist der Knast „mal was anderes“.

Voll fett

Dr. Rattle und Mr. Jive fackeln nicht lange. Sie heizen den Jungs gleich richtig ein. Boogie-Woogie mit E-Piano und Blues-Harp. Martin Spoerel ist der Mann am Klavier, Ansgar Niemöller der Mann für alle Fälle: Gesang, Mundharmonika, Saxofon. Johnny Cash ist tot, und das hier ist nicht St. Quentin, aber während das Duo vorn fetzt, tauschen die Jungs im Publikum anerkennende Blicke aus – ganz nach dem Motto: „Voll fett.“ Dr. Rattle und Mr. Jive sind ein eingespieltes Team. Die wissen, wo Bartels seinen Most holt. Boogie und Blues vom Feinsten. Klar, wenn das Publikum jetzt ein Bier hätte oder zwei, dann wär’ hier richtig was los. Aber außer Musik gibt‘s nix. Das hier ist Knast und kein Rockkonzert.

It’s magic

Die Vorstellung darf insgesamt 60 Minuten dauern. Also gibt es drei Sets zu je 15 Minuten. Der Rest ist Puffer. Nachdem die Band ihr erstes Set abgeliefert hat, wird es Zeit für den Zauberer. (»It’s magic.«) Eigentlich sagt man ja nicht mehr Zauberer. Man sagt Illusionist. Thomas Dornbusch illusioniert zum Vergnügen. Durch die Woche doziert er. Englisch. Uni Dortmund. Der Mann ist gefühlte 22 und hat nicht viel Gepäck  dabei. Zwei Koffer, Lautsprecher, ein Headset. Fertig. Sein Programm: Reden, Zaubern, Jonglieren. Am Anfang ein kurzer Soundchek. »Wenn Sie mich hören, nicken Sie einfach laut.« Nicht alle lachen. Das liegt allerdings nicht daran, dass der Spruch schlecht ist. Dornbuschs Einstieg: Die Sache mit Seil und Schere. Das Seil hat viele Mitten und viele Enden – trennt sich, wächst wieder zusammen. Zur Seilreparatur sollen alle kurz mal pusten. »Wenn alle pusten, kommt sich keiner blöd vor«, animiert der Magier. Dornbuschs wortwitzige Conference birgt ihre Tücken, denn ein großer Teil des Publikums hat Schwierigkeiten mit der Sprache. Kleve ist ein Grenzknast mit viel »Drogenkundschaft«. Häftlingszahl: 200 und irgendwas. Nationalitäten: 40 und irgendwas. Wer mit Drogen erwischt wird, hat meist vorher keinen Deutschkurs absolviert. Manche übersetzen Dornbuschs Conference für die  Kollegen, aber Witz widersetzt sich dem Simultandolmetschen.

Ohne Jungfrau

Als Dornbusch die Jungs in der ersten Reihe nach einem Zauberspruch fragt, sagt einer aus der zweiten Reihe: »Die können alle kein Deutsch.« Dornbusch gibt vor: »Simsalabim.« Trotz der Sprachprobleme kommt die Show kommt an. Nur manchmal, wenn zu viel erklärt wird, fühlt man, wie die Konzentration wegbricht. Die Jungs sind verdutzt, dass einer mit so wenig »Werkzeug« so viel Unterhaltung zustande bringt. Für die Nummer mit den chinesischen Ringen bittet Dornbusch einen Assistenten auf die Bühne. Sie schicken ihm Ibrahim, einen Schönling. Der genießt Auftritt und Perspektivwechsel und gibt einen guten Assistenten. Danach Jonglage: Zuerst mit drei Bällen, anschließend mit fünf. Mit seiner Fingerfertigkeit gäbe Dornbusch bestimm einen guten Trickdieb ab. Seine Show setzt auf die kleinen Dinge, Vielleicht haben die Jungs erwartet, dass einer kommt und eine Jungfrau zersägt oder zumindest eine hübsche Assistentin auf dem Koffer zieht.

Scheißegal

Dornbusch ist allein, aber sein Programm ist gut. Vor der Fünf-Ball-Jonglage hat er mit den Jungs einen Trommelwirbel geübt. Mit der Zunge. Dann fragt er: »Wer glaubt, dass ich es schaffe?« Zwei zeigen auf. »Und wer ist sicher, dass ich es nicht schaffe?« Niemand zeigt auf. »Und wem ist es scheißegal?« Niemand meldet sich. (Die Einsamkeit des Künstlers auf der Bühne.) »Ich mach‘s einfach trotzdem.«

Und tschüss

Dann steckt sich Dornbusch einen Esslöffel in den Mund. »Den drehe ich um 180 Grad ohne ihn anzufassen«, hat er vorher angekündigt und am Stil einen  Bierdeckel befestigt, damit jeder die Drehung mitbekommt. Als er das den Löffel am Ende aus dem Mund holt, ist es eine Gabel. Das hinterlässt Spuren des Eindrucks. Niemand hat mitbekommen, wie’s funktioniert. Zauberei ist Betrug mit legalen Mitteln. Am Ende bekommt Dornbusch großen Beifall. Er hat’s drauf. Er hat für die Illusion gesorgt. Zeit für das dritte Set. Dr. Rattle und Mr. Jive heizen noch mal ein. 20 Minuten. Danach geht das Publikum »zurück auf Zelle«. Desillusion gibt’s wie immer gratis.