Schreibkraft
Heiner Frost

Hubabubatuba oder: Fremde, bewegliche Sachen

Wer arbeitet am Heiligen Abend, nachdem die letzten Geschäfte ihre Pforten geschlossen haben? Krankenhauspersonal, Ärzte, Polizisten, Pastöre … und diese drei: Nennen wir sie Hubba, Bubba und Tubba.


Zwovierzwo

„Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.“ So sprechen Juristen über Diebstahl und haben eine Zahl im Gepäck: Paragraf Zwovierzwo Strafgesetzbuch. Weihnachten, denkt man, ist doch der Tag des Schenkens. Hubba, Bubba und Tubba drehen es ins Gegenteil. Vielleicht ist für sie der 24. Dezember ein Tag wie die anderen zehn, an denen sie ausrückten, um gegen Zwovierzwo zu verstoßen – sechs Mal erfolgreich, vier Mal nicht. (Ein Zeitraum zwischen dem 6. Dezember 2016 und dem 4. Januar 2017 wird eingekreist.)
Ein Paragraf, gegen den niemand verstößt, ist ja irgendwie ein Scheinwesen. Paragrafen sind Wartende. Vulkane im Ruhestand. Stillliegende Karussells. Paragrafen leben vom Verstoß – erst durch Taten gewinnen sie an Bedeutung.

Zehn Mal

Hubba, Bubba und Tubba haben zehn Mal versucht, fremde, bewegliche Sachen einem anderen …“ Es ist nicht immer gelungen, aber eigens dafür verfügt Zwovierzwo über einen notwendigen ‚Nachsatz‘: „Der Versuch ist strafbar.“
Hubba, Bubba und Tubba haben eine Technik: Sie rücken mit Handbohrer an und hinterlassen Löcher in Türen oder Fenstergriffnähe. Die Löcher sind das Entrée für einen Draht, mit dem dann Klinken oder Griffe zwecks Enstperrung bewegt werden können, um anschließend die fremden, beweglichen Sachen …
Das alles mag irgendwie lustig klingen. Opfer werden bezeugen, dass es anders ist. Sie erleben Invasoren, die intimste Räume betreten, die man Zuhause nennt. Einbrecher hinterlassen Seelenschrecken und das Gefühl, dass irgendwie nichts und niemand sicher ist – auch da nicht, wo man sich unangreifbar fühlte. Zehn Taten sind angeklagt und werden vom Staatsanwalt verlesen. Auch das Wort „Bande“ fällt und wird gesteigert: Schwerer Bandendiebstahl wird dem Trio zur Last gelegt. Hubba, Bubba und Tubba sind nicht immer ans Ziel gelangt. Wenn sie es schafften, fehlten anschließend Geldbörsen, Handys, Tablets, Uhren, Armbänder und einmal 15 Schützenorden.

Zur Person

Hubba, Bubba und Tubba waren vorzugsweise nachts unterwegs. Perfide ist das, denn in der Regel sind die Opfer daheim und schlafen – rechnen mit allem, aber doch damit nicht. Hubba, Bubba und Tubba haben vier Anwälte und brauchen, um mit dem Gericht zu kommunizieren, eine Übersetzerin. Sie werden Fragen zur Person beantworten. Alles Weitere erledigt die Verteidigung. Drei Angeklagte, drei Verteidigerinnen, ein Verteidiger. Das Trio: Aus Albanien. Irgendwie sind sie, erfährt man, fast alle Spurenlose vor dem Gesetz. Männer mit ähnlichen Eigenschaften. „Sind sie verheiratet?“ „Nein.“ „Haben Sie Kinder?“ „Nein.“ „Konsumieren Sie Drogen?“ Alle drei haben Erfahrungen, aber gemessen an Geschichten, die man sonst an gleicher Stelle gehört hat, ist man geneigt zu schreiben: Nichts Wildes.

Hellseher

Einer aus dem Trio hat Schulden. Sein Vater daheim: Ein Invalide, der Geld für Medikamente braucht. 5.000 Euro Schulden sind aufgelaufen. Einer hat eine „gerichtliche Karriere“. Die allerdings ist nicht wasserdicht.
In den Akten findet sich die Verurteilung für eine Tat, die erst ein Jahr nach dem Urteil stattgefunden hat. Der Vorsitzende sagt, da müsse das zuständige Gericht dann wohl über hellseherische Fähigkeiten verfügen. Ja – so muss es wohl sein. Zumal der Angeklagte versichert, zum genannten Zeitpunkt noch gar nicht in Deutschland gewesen zu sein. So kann‘s gehen.
Man ist geneigt, das Vorleben der zu Verteidigenden als eher unauffällig zu beschreiben. Das kommunikative Hin und Her zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung, Dolmetscherin und den Angeklagten: Ruhig. Sachlich. Nicht ausschweifend. Krawall scheint nicht in Sicht.

Zur Sache

Nach Klärung der biografischen Einzelheiten folgen die Einlassungen. Hubba räumt zwei von zehn Taten ein. Schmiere hat er gestanden. [Fast wäre einem ein ergänzendes „Mehrnicht“ aus der Feder geflossen] Auch Hubbas Anwältin entweicht Streichenswertes. Nach der ersten der eingeräumten Taten hat Hubba 60 Euro von der Beute abbekommen. „Die zweite Tat ist ja leider nicht gelungen“, sagt die Anwältin und merkt sofort, dass man es so nicht formulieren sollte. Nein, das ‚leider‘ stamme nicht von ihrem Mandanten. Es ist ihr „passiert“ und sollte wohl nur den Umstand beschreiben, dass die zweite Tat im Versuch stecken geblieben ist. [Berührt geführt.]
Nach den ersten beiden Taten, lässt die Verteidigerin wissen, ist Hubba gar nicht mehr vor Ort gewesen. Niemand muss sich vor Gericht selbst belasten. Aber Hubba hätte da was zur Selbstbelastung vorzutragen. Dreimal haben sie ihn beim Schwarzfahren zwischen Kleve und Düsseldorf erwischt. Nachweislich. (Die Anwältin hätte da ein Schreiben.) Fragen werden vorerst nicht beantwortet.
Bubba räumt sämtliche Taten ein. Schuldig im Sinne der Anklage. Weitere Angaben wird er nicht machen. „Ist das so richtig?“, fragt der Vorsitzende beim Angeklagten nach. (Echo zur Dolmetscherin, Echo zum Angeklagten, Echo zur Dolmetscherin – Antwort für das Gericht: „Ja.“)
Tubba ist bei den Taten eins, zwei und drei beteiligt gewesen. Einlassung beendet. Fragen werden nicht beantwortet. 30 Sekunden. Fertig aus.

Ein langer Tag.

Über zwei Dutzend Zeugen „auf der Rolle“. Die Rolle ist ein Zettel, auf dem sich das Who is Who eines Prozesses findet. Meist hängt die Besetzungsliste links vom Eingang. Neben den Terminen eines Prozesses vermerkt die Rolle die Namen der Richter, der Verteidiger, der Schöffen und die der Zeugen. Staatsanwälte tauchen nicht namentlich auf. [Das liegt daran, dass die Staatsanwaltschaft theoretisch zu jedem Verhandlungstermin einen anderen Staatsanwalt schicken könnte.]
Heute also: Der Aufmarsch der Geschädigten. Schnell wird klar, dass es längst nicht nur um materielle Schäden geht. Immer wieder fragt der Richter die Zeugen: „Was der Einbruch mit Ihnen gemacht“. Eine der Zeuginnen kann, als der Richter sie fragt, die Tränen nicht zurückhalten. Seit 15 Minuten fühle ich mich ganz schlecht“, sagt sie, und Huba, Buba und Tuba sitzen keine vier Meter von ihr entfernt. „Ich bin froh“, sagt sie auch, „dass ich nichts gehört habe.“
Eine andere Zeugin leidet seit der Tat unter einem Schließzwang. Vorher, sagt sie, sei das nicht so gewesen. Die drei Täter sitzen da und hören fast regungslos der Übersetzerin zu. Sie leiht jedem ihre Stimme – übersetzt alles, was gesagt wird und hat keine Sprechpausen.
Gibt es „Glück im Unglück“? Ja. Vielleicht. Es ist nie zu einem Aufeinandertreffen von Tätern und Opfer gekommen. [„Ich bin froh, dass ich nichts gehört habe.] Niemand kann sagen, was dann passiert wäre. Die Opfer: Entweder nicht daheim oder aber schlafend. Wenn die Täter Geldbörsen und Handtaschen entwendeten, ließen sie nach Entnahme des Geldes immerhin den Rest liegen – im Haus oder irgendwo draußen. „Wenigstens“, sagt eines der Opfer, „mussten wir nicht alle Papiere neu besorgen.“ Ein sprichwörtlich böses Erwachen hat es für alle Opfer gegeben. Die Welt ist eine andere, wenn man von einer solchen Tat nicht nur in der Zeitung liest.
Die Zeugen sind schnell in zwei Gruppen zu unterteilen: Die einen – es sind die Opfer – nähern sich scheu, manche ängstlich, andere irgendwie verschüchtert. Die anderen: Profis, denen das Aussagen vor Gericht nicht fremd ist. Sie sind öfter da. Sie sind Polizeibeamte. Manchmal gibt es Schnittmengen.
„Ich kam von der Nachtschicht nach Hause und habe sofort gemerkt, dass die bei uns eingebrochen haben.“ Der das erzählt ist Pensionär. Auch bei Polizisten wird eingebrochen. „Ich war natürlich stinksauer“, entfährt es dem Zeugen. Richter: „Und dann haben Sie die Polizei gerufen?“ Ein Lächeln huscht über das Gesicht des Vorsitzenden. „Meine Frau“, sagt Mann, „hat geschlafen. Nichts mitbekommen.“ Er ist ja nicht mehr bei der Polizei. Mittlerweile ist er Pensionär. Einen Hund hat es auch gegeben. Er hat nicht angeschlagen. Der Zeuge bringt das Problem auf den Punkt: „Den kann ich ja nicht fragen.“ Ein kurzer, heiterer Moment, der schnell verfliegt. Die Drei auf der Anklagebank können sich ein Bild davon machen, dass da Menschen erscheinen – es sind die Opfer –, denen nicht nur Geld und Sachen geraubt wurden. Immer schwingt der Verlust eines Urvertrauens mit.
Immer wieder fragt der Richter, ob das Geschehen ein Einschnitt gewesen sei. „Hat sich Ihr Leben verändert?“ „Bei uns herrscht jetzt Fort Knox“, sagt einer der Zeugen. Einschnitt – das wird deutlich, ist ein treffendes Wort. Kaum einer ist unter den Zeugen, bei dem die Einschnitte vollständig verheilt wären. Aussagen sind Inaugenscheinnahmen von Verwundungen. Es gibt, denkt man, keine Kleinigkeiten.
Bis zur Mittagspause haben 14 Zeugen ausgesagt. Kaum eine Aussage dauert länger als zehn Minuten. Für Staatsanwaltschaft und Verteidigung gibt es nicht viel zu fragen – für die Spurensicherer und Polizeibeamten nicht viel zu erklären. Nach der Hälfte der Zeugen taucht man zurück ins eigene Leben. Drinnen werden sich ähnliche Geschichten fortsetzen – eine traurigtrübe Litanei über den Verlust des Unbeschwertseins in einem Leben, das vor den Taten irgendwie anders war.

Luft nach oben

Wie einfach doch alles sein könnte, wenn sich alle dran hielten: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu.
Hätten Huba, Buba und Tuba das zu ihrer Handlungsmaxime gemacht – sie säßen jetzt und hier nicht auf der Anklagebank. Sie hätten nicht versucht, in anderer Leute Wohnung und Leben einzubrechen. Aber sie haben es getan. Zehn Einbrüche sind gelistet. Einzig Huba war zehn Mal der Täter und hat gestanden. Buba und Tuba werden drei Taten zur Last gelegt. Es waren die Taten eins, zwei und drei. Alle haben – wird das Gericht später feststellen – in derselben Nacht stattgefunden. Es war die Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 2016.
Die Plädoyers: Alle kreisen über der Tat: Die Staatsanwaltschaft, die Verteidigung und schließlich das Gericht. Die Staatsanwältin greift am Ende ihrer Überlegungen ins Strafenhochregal. Ganz oben findet sie eine Strafe, nach der es sich zu strecken gilt. Da versucht eine, ein Maß zu finden und was sie als Ergebnis liefert, sind 7,6 (sieben Jahre sechs Monate) für Huba, 4,9 für Buba und 4,6 für Tuba. Das Stichwort: Generalprävention. Huba, Buba und Tuba als abschreckendes Beispiel. Die drei, so sieht es die Staatsanwältin, sind eine Bande. („Meines Erachtens liegt hier eine Bande vor.“) Es knarzt im Sprachegbälk, in den Dehnungsfugen des Gesetzes. Schwerer Bandendiebstahl ist etwas anderes als ein Wohnungseinbruch. Straffenster öffnen sich. Es geht aufwärts. Natürlich zersägt es das Gefühl der inneren Sicherheit, wenn man merkt, dass Einbrecher das Privateste betreten, das uns Bürgern geblieben ist. Natürlich hat man Opfer und ihr Leid erlebt. Ihr Leben nach der Tat: Ein anderes – teilzerstörtes. Und doch kreist ein Aber in der Luft.

Ein Maß

Verteidiger sehen eine andere Welt und einer von ihnen, Gregorius heißt er, zeigt sich „erschüttert“. Nein – er zeigt sich nicht erschüttert. Er ist es. Er fragt die Kollegin, was sie denn beantragt hätte, wenn hier drei angeklagte Wiederholungstäter säßen, die alles geleugnet und mehr als reichlich Beute gemacht hätten? Es geht, das wird schnell klar, um das Maß der Dinge. Es geht um „die Luft nach oben“. Natürlich haben Huba, Buba und Tuba das Gesetz gebrochen – natürlich haben sie für die Opfer Schrecken angezettelt. Natürlich ist das nicht mit einem Händeschütteln und einem Dududu erledigt – aber was die Staatsanwältin beantragt hat, kann und darf – denkt man – nicht wahr werden. Drei Verteidigerinnen und ein Verteidiger plädieren. Niemand von ihnen nennt eine Zahl. Gregorius rät, die Kirche im Dorf zu lassen. Man ahnt, dass das Gericht ihm nicht dahin folgen wird, eine Bewährungsstrafe zu verhängen und Haftbefehle aufzuheben. Man spürt aber, dass da einer den richtigen Ton trifft. Dass Buba und Tuba in sechs Fällen freigesprochen werden, dürfte nicht zur Überraschung ausarten. Was aber wird es geben für Huba, der zehn Taten eingeräumt hat? Was für Buba und Tuba, denen, wenn überhaupt, drei Taten zur Last gelegt werden können?

Große Runde

Nach den Plädoyers noch einmal Argumente der Staatsanwaltschaft. Nochmals geht es um „Bande oder nicht“, nochmals fällt der Begriff Generalprävention. Dann die Angeklagten: Sie bitten um Entschuldigung. Aus Not haben sie gehandelt, sagen sie. Sie wollten zurück in die Heimat, sagen sie. Huba sagt, dass alles sein Plan war – dass die anderen beiden ohne ihn nicht hier säßen. Er hat‘s verbockt. Er stellt sich der Verantwortung. Die beiden anderen haben doch nichts gemacht. Huba entschuldigt sich bei den Opfern. Die Opfer sind nicht anwesend. Huba und Buba sprechen von der Not. Was du nicht willst – da ist es wieder. Die Welt, das hat sich wieder einmal gezeigt, kann mit dem Einfachen nicht hantieren. Und wo die einen übers Ziel hinausschießen, tun es im Gegenzug die anderen auch. Die einen – das sind die Täter, und die anderen rücken ihnen mit den Werkzeugen der Gesetzgebung zu Leibe.
Das Gericht wird zur Waage zwischen staatsanwaltschaftlichen Überlegungen und dem, was die Verteidigung in Reichweite der Vorstellung transportiert. Das Gericht hat keine Bandenstrukturen erkannt. Drei Taten, ein Abend – das reicht nicht. Das Gericht verhängt gegen Huba 3,9, Buba und Tuba werden 2,6 Jahre sitzen. Ein Maß ist gefunden. Es ist weise. Man hofft, das Urteil möge heilende Wirkung ausüben – einen Rest von Hoffnung lassen. Rund zehn Monate bereits erlittener Untersuchungshaft werden abgezogen. Die Angeklagten, wünscht man sich, sollen lernen, dass es andere Wege aus der Not zu suchen und zu finden gilt. Man denkt, das Gericht hat ein Urteil gefällt, dass man den Opfern erklären kann. Und wenn die Kammer am Ende den drei Tätern alles Gute wünscht, spürt man: Das ist kein dummer Spruch. Letztlich hofft man, dass die Täter zu begreifen in der Lage sind, was sie den Opfern angetan haben. Man wünscht sich, dass alle irgendwann in einer großen Runde säßen und sich von ihrem Leid erzählten. Man wünscht sich eine Art glückliches Ende. Ein Gespräch. Eine Möglichkeit.