Schreibkraft
Heiner Frost

Einträge ins Klever Stammbuch

Foto: Rüdiger Dehnen

Ein bedeutender Tod

Der 25. März 1609 ist ein bedeutender Tag in der Geschichte der Klevischen Geschichte, denn damals starb in der Düsseldorfer Hauptresidenz der letzte Herzog von Kleve. Johann Wilhelm hieß er – war zweimal verheiratet und ohne Nachkommen. Der Herzog war nicht gesund. „… in seinem Gemüt geschwächt war er“, heißt es in einem Text aus dem Werk, das im Todesjahr des Herzogs erstmals erschien. Die Rede ist vom „Stammbuch der Grafen und Herzöge von Kleve“. Auf 41 Blättern (38 Holzschnitte und drei Kupferstiche) findet sich ein „Album der Herzöge“.

Betandsaufnahme

„Mein Rasierspiegel“ ist ein ziemlich dicker Ausstellungskatalog, der in Teilen als Bestandsprotokoll des Museums Kurhaus Kleve (mkk) gelesen werden kann. Auf Seite 524 findet sich unter der Nummer 6.32 folgender Eintrag: „Unbekannter Künstler: Stammbuch der Grafen und Herzöge von Kleve, 1661 abgebildet. Helias, der erste Graf von Kleve, 38 Holzschnitte, 3 Kupferstiche (koloriert) aus dem in Arnhem bei Jacob van Biesen erschienen Buch ‚Stammbuch der Edlen/Hochgeborenen Grafen/Und Durchleuchtigen Hertzogen von Cleve.“ Das Stammbuch (in der Version von 1661) gelangte als Konvolutankauf 2009 ins mkk. Gezeigt wurden die Blätter zunächst nicht, denn damals wurde umgebaut. Kein Platz für eine Stammbuchschau. Im Rahmen der Ausstellung „Basic Research“ wurde 2014 das Stammbuch erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die Bilder der „Hochgeborenen und Durchleuchtigen“ sind derzeit wieder zu sehen und jedes zeigt einen von ihnen – dazu gehört jeweils ein Text, verfasst in frühneuhochdeutscher Sprache. Auch Wappen sind reichlich abgebildet. Zum Stadtjubiläum plant das mkk nun eine circa 170 Seiten starke Veröffentlichung des Stammbuches, die sich allerdings nicht auf das Abbilden beschränken soll, sondern auch den Versuch einer Einordnung unternimmt.

Verschoben

Kurhauschef Harald Kunde: „Die Texte auf den einzelnen Blättern werden dazu in ein heutiges Deutsch ‚übersetzt‘ und erklärt.“ Ursprünglich war die Veröffentlichung für den 7. Juli geplant, „aber jetzt wird zwischen Ende Mai und Ende Juli die Außenfassade unseres Hauses – hauptsächlich die Gebäudeteile des ehemaligen Badhotels und der Wanderhalle – renoviert. Daher haben wir die Veröffentlichung des Stammbuches auf den 15. September verschoben.“ Zusammen mit der Publikation werden dann zwei Jubiläen gefeiert: Es geht um 20 Jahre Museum Kurhaus und 30 Jahres Freundeskreis.
Die Publikation zum „Stammbuch“, das Harald Kunde auch eine „Legitimationsgeschichte der Herrschaft“ nennt, wird im wesentlichen durch drei Institutionen gefördert. „Zu nennen sind die Ernst von Siemens Stiftung, der Klevische Verein für Kultur und Geschichte, sowie der Freundeskreis. Im Museumsreporter schreibt Kunde: „… darf ich Sie auf eine Publikation zum ‚Stammbuch der Grafen und Herzöge‘ von Kleve‘ hinweisen, die einen bedeutsamen Schatz unserer Sammlung der Barockzeit wissenschaftlich erforscht, kommentiert, mit anderen Ausgaben vergleicht und damit erstmals einem größeren Publikum zugänglich macht.“

Erbfolgestreit

Zuständig für die wissenschaftliche Erforschung und Dokumentation des Stammbuches ist die Historikerin Dr. Anne-Katrin Kunde, die derzeit an der Ruhr-Universität Bochum mittelalterliche Geschichte lehrt. Wer sich mit ihr über das „Stammbuch“ unterhält, bekommt schnell einen Eindruck davon, wie spannend Geschichte ist, wenn man die Quellen zu lesen weiß. Johann Wilhelm starb (siehe oben) in Düsseldorf, der Hauptresidenz der klevischen Herzöge. Als abzusehen war, dass die Familienlinie mit ihm enden würde (Kinder gab es nicht), entbrannte ein Erbfolgestreit. so brachten sich „die Brandenburger“ als „rechte Erben“ des Klever Herzogtums ins Spiel. Gleichzeitig entstand offensichtlich die Idee einer Genealogie. Wer sie geschrieben hat, lässt sich nicht sagen. War das Stammbuch ein Auftragswerk? Auch das liegt im Dunkel der Geschichte. „Als Johann Wilhelm starb, ging es für mögliche Erben darum, sich in Stellung zu bringen“, erklärt Kunde. „Dabei kam es schon damals darauf an, einen Stammbaum möglichst bedeutungsvoll zu gestalten. Entweder ließ sich eine familiäre Linie bis zu Karl dem Großen zurückverfolgen oder aber nach Rom.“
Spekulationen

Über einen möglichen Autor des Stammbuches ist spekuliert worden. „Einer der Namen, die man im findet, ist der von Hermann Ewich“, erklärt Kunde, aber zumindest bezogen auf die Urfassung des Stammbuches von 1609 kann das nicht stimmen, „denn damals war Ewich gerade einmal acht Jahre alt.“ Der Verfasser des Stammbuches hat sein Wissen aus verschiedenen Quellen bezogen. Geschichte ist niemals nur eine Diretissima – sie ist immer auch Bezugnahme. Ebenso verhält es sich mit der Interpretation der Quellen.
Dass es sich bei den 41 Blättern um Arbeiten des Druckers Jacon van Biesen handelt, ist – bezogen auf die Urfassung des Stammbuches aus dem Jahr 1609 eher unwahrscheinlich. Van Biesens Geburtsjahr: 1600.

Fassungen

Zurück zum Letzten der Klever Herzöge und der Formulierung „an seinem Gemüt geschwächt war er“. Anne-Katrin Kunde: „Was sich genau hinter diesem Satz verbirgt, lässt sich nicht sagen.“ Wie „übersetzt“ man den Text? „Ich denke, dass ich in diesem Fall den Originaltext so lassen werde.“ Das Wort „geisteskrank“ sei, so Kunde, irgendwie unpassend. Das Stammbuch erschien nach der Erstfassung aus dem Jahr 1609 noch 1661, 1677, 1679 und 1689. „Es ist spannend, wenn man sieht, wie sich die Dinge im Lauf der Zeit ändern.“ Das Klever Konvolut des Satmmbuches datiert aus dem Jahr 1661. „Damals war der Erbfolgestreit beigelegt“, erklärt Anne-Katrin Kunde. Wer auch immer der Autor der Erstfassung gewesen sein mag – es scheint so zu sein, dass die Änderungen nicht ausnahmslos von ihm stammen. Man darf gespannt sein auf die Dokumentation, die im September erscheinen wird und sich nicht an ein Fachpublikum wendet, sondern vor allem an alle die wendet, die sich für die Geschichte der Klever Herzöge interessieren. Wer sich die 41 Blätter schon jetzt ansehen möchte, kann das während der Öffnungszeiten des mkk tun.

Anne-Katrin Kunde Foto: Rüdiger Dehnen