Schreibkraft
Heiner Frost

Ein Mann namens Bont

Die Fahne träumt schlaff am Mast. Würde Wind wehen, zeigte sie ein weißes Kreuz auf rotem Grund.  La Suisse.
Roman Bont, Nationalität: Schweizer. Derzeitige Adresse: Niederrhein Camping, Xanten-Obermörmter, Husenweg 151 A. Vor einer Woche feierte er Geburtstag – einen der schönsten seines Lebens, sagt er und lächelt. Wie gerät ein Eidgenosse auf niederrheinisches Territorium? Bont beginnt seine Erzählung – es ist eine von den Geschichten, an deren Ende man mit einer Maulsperre dasitzt: Die Kiefer wollen nicht mehr aufeinanderfinden – so weit steht der Mund vor Staunen  offen.
Dass Bont nebst Zugmaschine und Wohnwagen vorübergehend in Niedermörmter anzutreffen ist, hat mit Gitta zu tun und mit dem Zahnarzt in Valencia. (Man möchte Comiczeichner sein. In die Denkblase würde man jetzt ???!!! schreiben.)

„Erklären Sie mal.“ Bont erzählt und schnell wird klar, dass seine Geschichte eigentlich in sechs andere Leben passen würde. Aufgewachsen ist er in einem Kinderheim. Die Eltern „haben mich abgeschoben, da war ich drei.“ Bont hatte Hirnhautentzündung. Sie steckten ihn in ein Heim für  Menschen mit körperlichen und  geistigen Behinderungen. Der Junge stotterte. Er blieb, bis er 18 war. „Wenn die Ferien kamen, wurden die meisten von ihren Eltern abgeholt. Nur etwa zehn Kinder blieben im Heim zurück.“ Roman gehört zu den unhappy few – zu den wenigen Unglücklichen. „Vor Weihnachten bekam ich meist zwei Seiten aus einem Spielzeugkalender. Da durfte ich mir was aussuchen.“
Was macht ein Schweizer, der 15 Jahre im Heim verbracht hat, wenn sie die Türen öffnen? Er heuert an und fährt zur See. (???!!!) Vom Kleinstmöglichen ins Größtdenkbare. MS Regina. Bont heuerte an. Als Schiffsjunge. Er bediente in der Messe.  Aber: Sie hänselten den Stotterer. Er musterte ab, nachdem er Amerika und Canada gesehen hatte.
Es begann das Leben des Hippie Bont. Die 60-er waren in der Mitte angekommen. Ein 19-Jähriger ohne Führerschein, aber mit Fernweh. Daumen raus. Trampen. Bont landet in Südspanien und unter anderem als Statist beim Film. Jetzt fällt der Groschen. Plötzlich liest man Bont als Bond. Roman allerdings war nicht im Agentengenre unterwegs. „In Spanien wurden Spaghettiwestern gedreht“, sagt er, „aber auch große Sachen wie ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ von Sergio Leone. Bont war in einem Film mit Sean Connery und der Bardot als Statist engagiert. Der Titel? Bont ist nicht ganz sicher. „Ich glaube, der hieß ‚Shalako‘ oder so ähnlich.“ Wer ein Buch schreibt, kann jetzt die Bont‘sche Erzählung zum Blühen bringen. Wenn‘s die Zeitung sein soll, muss es kürzer gehen. Bont wurde (unter anderem) Lastwagenkapitän. Er fuhr im Odenwald. Im Iran. In Pakistan. Einmal saß er in seinem Auto vier Monate an der türkisch-iranischen Grenze fest. „Im Winter.“ Es war die Zeit des Umsturzes im Iran. „Das muss Ende der 70-er gewesen sein.“ Eigentlich sind längst schon zwei Leben erzählt. Bont, würde man schätzen, müsste nach allem bisher Erlebten auf die 130 zusteuern. Pustekuchen. Roman Bont ist unverbrauchte 70.

Bont machte sich selbständig. Kaufte einen VW LT 31 und baute ihn – er war Truckerfan – zu einem Fahrzeug um, dass er Mini-Mack nannte und mit der er bekannt und berühmt wurde. Aus Roman Bont wurde Mr. Mini Mack. Tom Astor, ein deutscher Country-Musiker, widmete dem Mini-Mack einen Song. Bont und sein Mini-Mack gingen auf Welttour. Unter anderem bereiste er Australien. Mini Mack im Outback – wieder ein Song. Diesmal mit Widmung der australischen Country Szene.
Der Mini Mack landete übrgens in einem Museum, das Herrchen auf Trotinett. Trotinett? „So nennen sie in der Schweiz die Tretroller.“ Tretroller. (!!!???) Bonts Idee: Er wollte auf das Leid krebskranker Kinder aufmerksam machen und trat mit Trotinett zur Weltumrundung an. 22.500 Kilometer in 18 Monaten.  Japan, Neuseeland – was man halt so macht, wenn man mit dem Tretroller eine kleine Ausfahrt unternimmt.
Er trat in Talkshows auf. War unterwegs. Sponsoren fand er nicht. „Ich saß mal in einer Fernsehshow. Ich trug Turnschuhe. Die hatte ich abgeklebt. Ich wollte nicht Werbung für eine Firma machen, die das nicht sponsern wollte. Unabgeklebt: Der Tretrollerhersteller Puky. Und wo ist der Roller heute? „Den habe ich einer Familie geschenkt, die sich so ein Ding nicht hätten leisten können.“ Nach seiner Tour durch Japan wurden dort eine Million Euro für krebskranke Kinder gespendet.
Und dann: Der 29. Mai 1998. Bont ist wieder als Trucker unterwegs und sitzt in einer Tankstelle. Es ist 2 Uhr morgens. Da kommt ein Typ mit einer Maschinenpistole zum Überfall. 33 Schüsse gibt der junge Mann ab. „Da war was defekt an der Waffe. Die feuerte keine Einzelschüsse. Der drückte den Abzug und es kamen gleich 33 Schuss aus dem abgesägten Lauf.“ 29 der Schüsse treffen Bont. Wenn er diese Geschichte erzählt, schüttelt es ihn. „Entschuldigen Sie“, sagt er. Mit Arbeiten ist danach nicht mehr viel, „aber ich wollte nicht einfach mit dem Arbeiten aufhören. Ich wollte weitermachen, bis ich 65 bin.“ Das hat er gemacht. Irgendwann passierte dann noch die Sache mit der Kamera. Jemand drückte ihm so ein Ding in die Hand. Das Ergebnis: Gut genug, um es als freier Kameramann zum Fernsehen zu schaffen. Unter anderem hat Bont in Tschernobyl gedreht.
Und wie kam er an den Niederrhein? Das hat mit der Gitta zu tun. Die hat er in Valencia getroffen. Im letzten Jahr. Sie war mit ihrem Wohnmobil unterwegs, er ließ sich in die Spanien die Zähne machen. „Und dann hat mir die Gitta vom Niederrhein erzählt und gesagt, dass ich mal kommen sollte.“ Anreise: Anfang Juni. Bis November wird er bleiben. Er will einen Film drehen über den Niederrhein. „Die Leute sind unglaublich nett hier. Es ist wunderschön. Das ist wie ein anderer Planet.“ Auf dem Rasen vor dem Wohnwagen: Amj – die Terrierhündin. „Die habe ich auch aus psychologischen Gründen“, sagt Bont. Wenn er nachts allein ist in seinem Wohnwagen, hilft der Hund gegen die Angst. Manchmal kriecht sie in ihm hoch. Das liegt an dem Mann mit der Uzzi.
Geheiratet hat Bont nie. Kinder? „Leider auch nicht, obwohl ich so gern welche gehabt hätte.“
Man schiebt die Kiefer wieder aufeinander. Über so einen müsste doch ein Buch geschrieben werden. Schon passiert. „Mein Name ist Bont“, heißt es und geschrieben hat es Esther Keller.  Bonts Leben auf 184 Seiten, erschienen im Friedrich Reinhardt Verlag, ISBN 978-3-7245-1782-5. Die ersten Sätze im Vorwort: „Mögen Sie Forrest Gump? Dann werden Sie Roman lieben.“