Schreibkraft
Heiner Frost

Durch die Kehle in die Seele

Haste Töne?

Aber ja! Zum Beispiel im Funkerchor. Die 17 Sänger im besten Alter sind längst ein Aushängeschild des Klever Karnevals geworden und besingen alljährlich an die 3.000 Zuhörer. Wie das? Der Reihe nach. Und: Der Reihe nach heißt für Funkersänger: Den Tönen nach. Hat Mann Töne? Aber ja. Wären sie verheiratet, dann wäre 2006 Silberhochzeit für die Herren Sänger rund um Kurt van Offern. Kurt ist — Mann verzeihe den laschen Ton, denn Karneval ist eine ernste Sache — Kurt van Offern ist gewissermaßen der Spaßmeister und Spielertrainer. Einer muss schließlich das Sagen haben beim Singen. Was da seit 25 Jahren viermal pro Session über den Bühnenrand sprudelt und das Publikum zur Raserei bringt, beruht auf Disziplin und harter Arbeit, die allerdings — darauf legen die Herren Wert — ruhig auch Spaß machen darf.

Am Anfang war das Thema

Die Halbwertzeit fürs karnevalistische Repertoire liegt bei sechs Monaten. Alles andere unterliegt dem Zerfallsdatum. Erklärung? Aber sicher. Der alljährliche Funkerchorauftritt beginnt mit der Stoffsammlung, denn: Am Anfang war das Thema und „die Leute erinnern sich eigentlich nur an Sachen, die nicht länger als ein halbes Jahr zurück liegen“, beschreibt Spielertrainer Kurt die Gesetze der Themenwahl. Spielertrainer? Jawoll. Beim Funkerchor steht keiner vorne dran und wedelt. Der Chef kocht, pardon: singt selbst. Aber zurück zur Planung. Ein Spaßkommitee beginnt also die Auftrittsplanung mit der Themenauswahl. Dann folgt des Pudels Kern — und das ist, so van Offern, die Musikauswahl. Beim Funkerchor wird — neudeutsch würde Mann sagen und singen — gecovert. Covern bedeutet: Neuinterpretieren bekannter Werke. Sind also die Themen festgelegt, wird die Musik ausgesucht. Und die muss passen! Nicht wie die Faust aufs Auge, sondern wie der Ton in die Leiter. Kurt van Offern: „Wenn beispielsweise Geld eines der Themen wäre, dann würden wir ‚Wer soll das bezahlen‘ auswählen.“ Bei der Zusammenstellung der Songs ist allerdings nicht nur die Passgenauigkeit gefragt. Ein Auftritt braucht auch eine Dramaturgie. Knaller gehören an den Schluss. Da muss es krachen. Und noch eins ist wichtig. Der Kollege Sting sagte dermaleinst: „On stage you’ve got to burn from the first second.“ (Auf der Bühne musst du von der ersten Sekunde an brennen.) Kein Problem für die Jungs im Funkerchor. Wenn sie in Bühnennähe kommen, entsteht Hochspannung. Und wo Spannung ist, springt der Funke über. Funkerchor eben. Zurück zur Vorbereitung: Nach Themen und Musikauswahl wird getextet, und wie allerorten im Karneval gilt auch für die Funker: Nichts und niemand ist vor ihnen sicher. Die Zusatzzahl: Wer von den Funkern besungen wird, ist danach und auch schon währenddessen im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde.

 

Qualität braucht Disziplin

Wenn die Texte fertig sind, beginnt — meist irgendwann im Oktober — die Probenphase. Proben ist Arbeit, aber Arbeit darfsollmuss Spaß machen. Also probt der Funkerchor bis zu dreimal die Woche. „Dreimal die Woche?“ „Dreimal die Woche!“ Gearbeitet wird 90 Minuten pro Sitzung, und der Trainer hält auf Disziplin. Das beginnt mit Pünktlichkeit und hört auf beim regelmäßigen Probenbesuch, denn: Wer zu oft fehlt, muss am Ende ‚leider draußen bleiben‘.  Noch ein Gesetz gilt beim Funkerchor: Der Text gehört in den Kopf. Gesungen wird ohne Netz und doppelten Boden, sprich: Noten oder Spickzettel sind tabu — Combo ausgenommen. Vor jedem Auftritt ist erst mal Ansingen. Singen ist irgendwo auch immer ein bisschen Leistungssport. Wer wüsste nicht, dass ohne Aufwärmen keine guten Leistungen zu erzielen sind. Ein Auftritt — das bedeutet für den Funkerchor 25 Minuten Spiel-, pardon: Singzeit.

Das Auge hört mit

Eins steht fest: Star ist die Mannschaft, wenngleich auch hier und da für den einen oder anderen auch mal ein Solo abfällt — zum Beispiel für den stimmgewaltigen EP (Ex-Prinz) André. „Das wird erwartet“, verrät der Trainer. Ach ja — die Funkerchortruppe singt nicht a cappella — da ist immer auch die Combo. 24 Jahre lang war Wolfgang Schittko der Mann am Klavier, der Primus inter Tastes. Aus gesundheitlichen Gründen musste der Haus- und Hoftastateur der Schwanenfunker leider aussteigen und verabschiedet sich heuer von der Bühne.  Jetzt greift Berthold De Bortoli (genannt Mr. Volvo) ins Schwarzweiße. Unterstützt wird er von Michael Dykhoff am Schlagzeug, Erich Billion an der Gitarre, Bernd Zacharias am aufblasbaren Trageklavier, auch Akkordeon genannt, sowie den Bassisten Steffen Roth und Stefan Quinkertz. Für das Outfit ist seit Jahr und Tag der Haus- und Hofschneider sowie Mitsinger Hans Killewald verantwortlich. Killewalds Motto: Das Auge hört mit.

Stoffsammlung ist wichtig.

Kommen wir zur Konzertkritik: Wer die Funkerchorherren in flagranti erlebt, hat keine Wahl: Begeisterung macht sich breit, denn was da vorgebracht wird, kommt nicht nur aus den Kehlen sondern aus den Seelen — Männerstimmenseligkeit vom Feinsten.

Was steht beim Funkerchor anno 2006 auf dem Spaßmenu? Natürlich soll nicht alles verraten werden, aber die Herren machen sich Sorgen um den Fußball und die Neue Mitte. Und dann wäre da noch eine neue Untergattung aus dem Reich der Enten — die Stockenten. Die haben laut Funkerchor allerdings keine Flügel sondern zwei Stöcke und sind in Wirklichkeit ‚Nordick Woking-Fans‘.