Schreibkraft
Heiner Frost

Die Päpstlichen

Foto: Rüdiger Dehnen

Eigentlich wäre es mindestens eine 100.000-Euro-Frage: Wo befindet sich die päpstliche Hofglasmalerei Derix? A) Bologna B) Rom C) Kevelaer D) Madrid. Nichtniederrheiner würden sich mit der Antwort schwer tun – es sei denn, sie kämen aus Hiroshima, wären schon in Versailles gewesen, in Boston oder Island, denn überall dort hat die „Päpstliche Hofglasmalerei“Derix aus Kevelaer schon für Fenster gesorgt. Aber der Reihe nach …


Im Jahr 1908 wurden die Glasmalerei-Werkstätten Derix zur „Päpstlichen Hofglasmalerei“ ernannt. Gegründet wurde die Firma bereits 1866 in Goch. Später folgten Filialgründungen in Kevelaer (1896) und Nimwegen (1919). Im Zusammenhang mit dem Auftrag für sechs Fenster der Sixtinischen Kapelle in Rom folgte (siehe oben) die Ernennung zur „Päpstlichen Hofglasmalerei“.
Im „Niederrheinischen Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte“ in Kevelaer ist noch bis zum 29. Januar eine Sonderausstellung mit dem Thema „150 Jahre Glasmalerei Hein Derix Kevelaer/Goch“ zu sehen.
Wer sich für das Thema Glasmalerei interessiert, sollte sich die Ausstellung keinesfalls entgehen lassen, denn in Kevelaer ist eine Zusammenfassung dessen zu sehen, was das Handwerk zu bieten hat. Am besten ist es freilich, sich von einem der drei Chefs des Unternehmens durch die Ausstellung führen zu lassen, denn gerade beim Thema Glasmalerei gilt: Man sieht nur, was man weiß – und so viel steht fest: Es gibt eine Menge zu wissen. Der Beruf, der heute sachlich „Glasveredler“ heißt, nannte sich früher „Glas- und Prozellanmaler“. Die Glasmalerei ist eine Schnittstelle von Kunst auf der einen und Erfahrung (sprich: Handwerk und Know How) auf der anderen Seite. Wer den Weg vom Auftrag bis zum fertigen Fenster nicht kennt, steht zwar vor teils atemberaubend schönen Ergebnissen, ist aber letztlich ahnungs- und somit auch irgendwie ehrfurchtslos.

Im "Probenraum" findet die Endabnahme statt. Foto: Rüdiger Dehnen

Im „Probenraum“ findet die Endabnahme statt. Foto: Rüdiger Dehnen

Wie ist beispielsweise der Weg vom Kopf des Künstlers bis zum fertigen Glasfenster? Peter Derix ist, neben seinem Sohn Jörg sowie Michael Heymann, einer von drei Gesellschaftern. „Wenn ein Künstler mit uns zusammenarbeitet, brauchen wir einen fertig ausgearbeiteten Entwurf im Maßstab 1:1.“ Wenn es also um ein zehn Meter hohes Fenster geht, dann erstellt der Künstler einen Entwurf von eben dieser Größe, auf dem dann jedes Detail eingezeichnet ist. Der Künstler sollte also ganz genau wissen, was er sich vorstellt. Die Aufgabe der Kevelaerer Werkstatt ist, den Entwurf so umzusetzen, dass der Künstler am Ende zufrieden ist. Fest steht: Das Ganze ist wesentlich komplizierter als es sich anhört.
Arbeitet eine Glasmalerei eigentlich hauptsächlich für kirchliche Auftraggeber? Derix: „Bis vor circa 20 Jahren war das Verhältnis 80 zu 20. 80 Prozent der Aufträge kamen von den Kirchen, 20 Prozent kamen von anderen Auftraggebern.“ Schließlich werden künstlerische Fenster nicht nur in Kirchen gebraucht. Seit 20 Jahren haben sich die Zahlen verschoben. Kirchliche Aufträge machen jetzt vielleicht 60 Prozent des Gesamtauftragsvolumens aus. Nicht immer geht es dabei um Neuanfertigungen. Oft genug lautet der Auftrag: Restauration. In den frühen Jahren  arbeitete die Firma übrigens mit dem „Sakralkünstler“ Friedrich Stummel zusammen. Stummel wurde 1850 in Münster geboren und starb 1919 in Kevelaer. In der Kevelaerer Ausstellung ist einiges von Stummel zu sehen.

Regine Jahn bei Restaurierungsarbeiten Foto: Rüdiger Dehnen

Regine Jahn bei Restaurierungsarbeiten. Foto: Rüdiger Dehnen

Zurück zum Werdegang eines Fensters. Ist der Entwurf gemacht, geht es um das Material. Wer sich den Firmensitz an der Geldener Straße ansieht, dem fällt ein Teil des „ruhenden Kapitals“ auf. Überall finden sich in nummerierten Fächern Gläser der verschiedensten Farben. Peter Derix: „Ich würde schätzen, dass wir hier zwischen 4.000 und 5.000 Gläser haben.“ Hergestellt werden die Gläser allerdings nicht in Kevelaer sondern bei der „Glashütte Lamberts“ in Waldsassen. Das Material: Mundgeblasenes Echtantikglas. Was die Farben angeht, ist so gut wie alles möglich – bei der Größe der einzelnen Glasstücke sieht es anders aus. Peter Derix: „Da das Material mundgeblasen ist, liegt die maximale Größe für ein einzelnes Glaselement bei 60 mal 90 Zentimeter.“ Sieht man die „Glasscheiben“ im Lager, fragt man sich natütrlich, wie eine flache Scheibe, deren Dicke circa drei Millimeter beträgt, mundgeblasen sein kann. Die Antwort lautet wie folgt: Mungeblasene Zylinder werden „aufgesprengt“ und dann im sogenannten Streckofen flach ausgebreitet.

Mitarbeiter Herbert Janßen beim Zuschneiden. Foto: Rüdiger Dehnen

Mitarbeiter Herbert Janßen beim Zuschneiden. Foto: Rüdiger Dehnen

Wichtig in der Vorbereitungsphase ist der Abgleich von Wunsch und Wirklichkeit. „Ab und zu sehen wir Entwürfe, die schon vom Hingucken kaputtgehen“, sagt Derix. Mit anderen Worten: Die Rücksprache zwischen Künstler und Werkstatt ist von immenser Bedeutung. In einem der Räume des Firmensitzes: Eine Art „Probewand“. „Hier werden alle Fenster, bevor sie an Ort und Stelle eingesetzt werden, noch einmal aufgebaut und vom Künstler begutachtet“, erklärt Derix.
Wenn der Chef über die Orte auf der Welt spricht, an denen es Fenster aus dem Hause Derix gibt, wird schnell klar: „Die Kevelaerer spielen eine zentrale Rolle.“ Die Zahl der Firmen, die weltweit zu tun haben, ist – wie soll man sagen – überschaubar.
Derzeit wird in Kevelaer unter anderem an einem Auftrag für Island gearbeitet. „Dahin haben wir schon zwei Fenster geliefert, von denen jedes über 100 Quadratmeter groß war“, erzählt Derix und sofort fragt man sich, wie Fenster dieser Größe überhaupt verschickt werden können. „Natürlich werden solche Fenster nicht am Stück verschickt. Sie bestehen ja aus Einzelteilen und diese Einzelteile werden – genau beschriftet – verpackt, verschickt und am Ende vor Ort eingebaut.“ So war es auch in Island. Wie kommt eine Firma aus Kevelaer an einen Auftrag aus Island? „Das kann natürlich mit dem Künstler zu tun haben. Wir arbeiten ja regelmäßig mit vielen Künstlern zusammen und wenn die mit unserer Arbeit zufrieden sind, dann erinnern sie sich gern an uns, wenn es um einen neuen Auftrag geht.“ Welche Möglichkeiten der Gestaltung gibt es eigentlich für den Künstler? Beispielsweise kann das Glas bemalt werden. Die Malerei wird dann in Kevelaver im hauseigenen Brennofen bei einer Durchschnittstemperatur von circa 600 Grad eingebrannt. Fest steht: Zu jedem Zeitpunkt der Arbeit ist Kommunikation  äußerst wichtig. Ab und an kommen die Künstler auch zum Arbeiten nach Kevelaer.
Drei bis vier der 35 Angestellten sind permanent unterwegs – auf Montage. Das kann in der näheren Umgebung oder aber (siehe Island) weit entfernt sein. Apropos nähere Umgebung: Es gibt wenig Orte, in denen Derix noch nicht vertreten sind. „Wir haben Fenster für die Stiftskirche in Kleve geliefert, aber auch für Kirchen in Emmerich, Rees, Kranenburg, Goch oder Bedburg-Hau. Und wie wär‘s mit weiter weg? Zu nennen wäre die Friedenskirche in Hiroshima – einer der eher seltenen Fälle, in denen die Firma keinen Monteur zum Einbau schicken musste. „Die haben das da hinten selbst gemacht“, erinnert sich Derix. Die Endmontage kann – natürlich abhängig von der Größe des Objekts – auch schon mal zehn bis zwölf Tage dauern.
Wer sich Beispiele der Derix‘schen Arbeiten in aller Welt ansieht, spürt schnell den Grad an Perfektion und es ist unglaublich, was an Vielfalt mit dem Material Glas zu erreichen ist. Natürlich: Was nützt das tollste Handwerk, wenn es keine guten Entwürfe gibt? Umgekehrt allerdings ist auch wichtig: Ein Künstler muss sicher sein, dass am Ende seines Schaffensprozesses ein kongenialer handwerklicher Abschluss steht.
Wer sich einen Eindruck vom Handwerk der Glasmalerei verschaffen möchte, der hat noch bis zum 29. Januar die Gelegenheit, sich Arbeiten aus dem Hause Derix im „Niederrheinischen Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte“ in Kevelaer anzuschauen. In zwei Etagen ist ein Überblick über das zu sehen, was sich mit Glas machen lässt. In der ersten Etage des Museums sind „freie Arbeiten“ zu sehen, die von Künstlern eigens für das Firmenjubiläum und die Ausstellung gemacht wurden. Eines ist sicher: Es könnte passieren, das man sich nach dem Besuch der Ausstellung die Arbeiten aus dem Hause Derix auch „in der eingebauten Wirklichkeit“ anschauen möchte – die Ausstellung wird auf diese Weise zum Aperitif des Anschauens und zur unausgesprochenen Aufforderung, sich mit dem Thema Glasmalerei auch über den Besuch in Kevelaer hinaus zu beschäftigen.

Peter Derix. Foto: Rüdiger Dehnen

Peter Derix. Foto: Rüdiger Dehnen