Schreibkraft
Heiner Frost

Die Luft anhalten

Chad Lawson ist zufrieden. Sehr zufrieden. Er hat soeben sein „Kirchenkonzert“ beim Haldern Pop 2018 beendet. „Das Publikum hier ist etwas Besonderes“, sagt er. Ein bisschen nervös ist er vor jedem Auftritt. „Du weißt vorher nie, wie es werden wird. Du weißt nicht, wie die Leute reagieren werden.“ Aber schnell stand fest: In Haldern haben sie Zuhören gelernt. Die Leute lassen sich ein. Besser kann es nicht sein.


Lawson beginnt seinen Auftritt mit einer großen Septime. Er schickt sie in den prall gefüllten Kirchenraum. Klavierklang vermischt sich mit heiliger Stille. „So ein Kirchenraum ist etwas Spezielles“, sagt Lawson. „Du musst ihn in die Musik einbauen.“ Lawsons Konzert: Ein Trialog: Pianist – Flügel – Publikum. „Wenn du merkst, dass sie dir folgen, kannst du die Grenzen ausloten“, sagt Lawson. Er ist ein Pianist mit eher klassischem Ton.
Georg Neinhuis ist Klavierbaumeister. Er stimmt beim Haldern Pop. „Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich ein einziger Flügel klingen kann“, sagt er. Chad Lawson? „Die richtige Musik zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ So kann man es auch sagen.

Lawson ist einer, der nach der Poesie der Klänge sucht. „Wenn du den ersten Kontakt mit einem Instrument aufnimmst, musst du sehr genau zuhören.“ Wenn Lawson alle Lautstärke aus dem Spiel nimmt, bleibt da noch immer dieser seidenweichglasklare Ton. Man denkt an Mahler: Ich bin der Welt abhanden gekommen. Aber: Lawson kommt der Welt nicht abhanden – er nimmt sie auf in sein Denken, in sein Spielen. Lawson ist kein Improvisator nach dem Motto „Ich bin dann mal weg“ – er ist ein Kommunikator: „Ich bin hier“, klingt es aus seinen Tönen. Wenn er die Luft anhält, denkt man, stellt die Welt das Atmen ein. Chopin weht herüber. Mahler grüßt von Weitem. All das ist hier möglich. „Es ist unglaublich, was du hier spielen kannst“, sagt Lawson. Es ist auch unglaublich, dass Menschen irgendwann im Herbst Karten für das Haldern Pop 2019 kaufen werden – zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht feststeht, wie das Line-Up aussieht. „That‘s Stefan“, sagt Lawson und meint Stefan Reichmann, den Kopf des Haldern Pop. „Ich würde verrückt, wenn ich so was auf die Beine stellen müsste“, sagt Lawson.
Zwei Tage kann er bleiben. Er muss zurück in die Staaten. Auftritte. Verpflichtungen. In Deutschland ist er erst im nächsten Jahr wieder. Im Rückreisegepäck: Die Erinnerung an ein besonderes Festival.
Während Lawson in der Kirche Klänge beschwört, bricht draußen nach Wochen der Dürre der Regen aus den Wolken. Es blitzt. Es kracht. Der Regen trommelt aufs Kirchendach.