Schreibkraft
Heiner Frost

Die Endlichkeitsmaschine

Wer sagt denn, dass Beuys nicht mehr ist als Filz und Fett? Wie klein wäre dann der Kosmos des Herren mit Hut und Weste? Falsche Folgerung? Einer wie Beuys war mit Schaffenskraft aufgeladen und hätte doch auch in der Beschränkung ein Werk hinterlassen.


Dass Beuys mehr ist als Filz und Fett – davon kann man sich in der neuen Ausstellung überzeugen, die das Museum Schloss Moyland bis zum 12. Februar zeigt.
14 Materialien hat Kuratorin Dr. Barbara Strieder ausgewählt. Das heißt also, dass es noch mehr gibt? Ja. Aber erst einmal die Eckdaten für diese Schau: 14 Materialien, sechs Räume, 122 Exponate und zwei Jahreszahlen mit was dazwischen: 1947 bis 1985. Das Terrain ist abgesteckt.
„Mehr als Filz und Fett“ ist eine Ausstellung, die unterhält, informiert und bereichert. Ein Museums-Optimum, denn natürlich werden nicht nur Materialien gezeigt – es geht um die Endprodukte. Es geht um das, was einer wie Beuys mit ihnen anstellt und darum, wie das Material zum Teil der Botschaft wird.
So viel dürfte klar sein: Wenn einer mit Blut malt, dann wahrscheinlich nicht, weil ihm gerade die Farben ausgegangen sind. Materialien hinterlassen eine Spur beim Denken und im Denken – sie können/sollten nicht einfach ausgeblendet werden. Die Ausstellung ist eine Lunte: Zündet man sie an und lässt sie brennen, explodiert es irgendwann im eigenen Kopf. Erkenntnisse treffen ein wie Züge im Bahnhof – manchmal punktgenau und manchmal mit ein bisschen Verspätung.
Die einzelnen Räume der Ausstellung sind bestimmten Materialien gewidmet. Wo sollte man beginnen, wenn nicht beim Papier, das am Ende in seiner Flüchtigkeit auch Beschränkungen unterliegt. Konservatoren wissen das – Besucher können mit dem Nachdenken beginnen. Was gehört schon der Ewigkeit? Papier jedenfalls nicht. Erde, Stein, Gips? Man ahnt Festigkeit, aber selbst Steine sind nicht ewig.
Und dann die Knochen: Sie erzählen nicht nur von der Endlichkeit der Dinge – sie lösen die Sperre von der Selbsthypnose, die da sagt, dass nur die Dinge endlich sind. Die Knochen, die man sieht, sind – man weiß es – nicht die eigenen, aber sie sind der Wegweiser in ein Grenzland, um das die Gedanken oft genug einen Bogen machen. Sie setzen die Endlichkeitsmaschine in Marsch. Fett, Filz, Kupfer – Energieträger, -spender und -speicher. Und schließlich: Wachs, Honig, Schokolade: Tankfüllungen fürs Alltägliche. Und wie man so durch die Räume läuft und sich nicht sattsehen kann, brennt die Lunte herunter und explodiert im Kopf. Das hier ist mehr als Kunst. Das hier rührt all die Ingredienzien zusammen, die es braucht, wenn es ans Eingemachte der Kunst geht. Und selbst für alle, die‘s schon gewusst haben, bleiben zauberhafte Werke, die – losgelöst vom Philosophieren – Schönheit im Gepäck haben.
Im „Ausstellungsklappentext“ klingt es so: „Die Werke und mit ihnen die Materialien sind für Beuys Transportmittel seiner Ideen von Veränderungsprozessen für Mensch und Gesellschaft. Eine seiner Kernthesen ist die Plastische Theorie: Plastik besteht für Beuys aus zwei Polen, einem warmen, chaotischen Pol und einem kalten, geformten Pol. Zwischen beiden vermittelt ein bewegter Formprozess. Beuys veranschaulicht das durch Materialien wie etwa Fett und Wachs, die unter dem Einfluss von Wärme beziehungsweise Kälte ihre Form verändern.“ Natürlich endet Beuys nicht am Blattrand. Er pflanzt sich ins Leben fort und gibt sich nicht mit Erbauung und dem Genuss des Vordergrundes zufrieden. Da wiegelt einer die Gedanken auf und zeigt, dass am Ende nur sie überleben, obwohl sie doch so flüchtig sind – sich nicht anklammern und kein Material brauchen.

Honigschleuder – 1962. Bleistift, Ölfarbe (Braunkreuz).