Schreibkraft
Heiner Frost

Dicker Fisch für Klette 1127

Der Streifenwagen hat „Klima“

„Es gibt Tage, da verlier’ ße!“ bilanziert Polizeihauptmeister Marco Schacht am Ende der Schicht — Ironie inbegriffen. Die Schicht war eine ganz normale und gehört zu den journalistischen Klassikern: „Ein Nachmittag auf dem Streifenwagen“.  Der Sommer hat angefangen — 34 Grad Außentemperatur. Der Streifenwagen „hat Klima“. Na, dann is ja gut. Um 13 Uhr treten Polizeioberkommissar Tom Krone und Kollege Marco ihren Dienst an. Spätdienst. Wenn alles planmäßig verläuft, dann wird irgendwann gegen 21 Uhr Schichtende sein. Vorauszuberechnen ist das nicht. Wenn es im Polizeidienst eine verlässliche Größe gibt, dann die: Jeder Tag ist anders. Na denn.

Klette

Schacht und Krone sind bis zum Schichtende für ein Gebiet zuständig, das im Kranenburger Grenzgebiet beginnt und bis Kalkar reicht — Kleve inbegriffen versteht sich. PI-Nord. Kein Beruf ohne Kürzel. PI steht für Polizeiinspektion Nord. Und für heute werden die beiden im Funkverkehr auf den Namen „Klette Elfsiebenundzwanzig“ hören. Kurz vor 14 Uhr: Klette 1127  versetzt sich in den Status drei: Unterwegs zum Einsatzort Bahnhof Kleve. Rund 20 Minuten später sind sie zurück. Jetzt steigt der Pressemensch zu. Status eins: Einsatzbereit. Klette 1127 macht eine erste „Stadtrundfahrt“. Vier Augen sehen mehr als zwei. Die beiden Presseaugen sehen die Welt anders. Man achtet nicht auf „angeschnallt oder nicht angeschnallt“. Eigentlich achten auch Schacht und Krone nicht darauf. Dergleichen ist längst zum Reflex geworden.

Es ist nix los in der Stadt

Ein ruhiger Freitag. „Ohnehin“, erklärt man mir, „ist es meist bis zum Arbeitsschluss recht ruhig. Ab 16 Uhr ist mehr los.“ Aber Nordrhein-Westfalen urlaubt. Es ist nicht viel los in der Stadt und auf den Straßen. Aber: Prognosen sind was für Hellseher. Für die Polizei gilt: Jeder Tag ist anders. Und so viel ist sicher: Präsenz ist bereits der erste Teil der Verbrechensbekämpfung. Wenn in Ferienzeiten ein Streifenwagen durch Wohngebiete fährt, vermittelt das den einen Sicherheit und den anderen Grund zur Vorsicht. Auch ein Teil der Polizeiarbeit: Sehen und gesehen werden.

Bar zahlen dürfen nur noch Ausländer

Um 15.15 sichten die beiden  im wahrsten Sinne des Wortes im Vorüberfahren ein Auto mit zwei nicht Angeschnallten.  Das „Stopp-Zeichen“ wird eingeschaltet,  Der Wagen hält. „Sie können sich denken, warum wir Sie angehalten haben?“ Der Ton ist freundlich — die „Sünder“ sind einsichtig. Das Verwarnungsgeld wird per Scheckkarte eingezogen. Bar zahlen dürfen nur noch Ausländer.

„Das glaubt uns doch keiner!“

Dann der Anruf aus der Wache. Am Vorabend hat ein Angler am Kermisdahl Verdächtiges bemerkt. Zwei Personen sind mit einem motorisierten Zweirad am Ufer entlang gefahren. Dann gab es irgendwann ein lautes Planschgeräusch. Danach Stille. Wahrscheinlich wurde ein Zweirad versenkt. „Das wird ein echter Krimi“, scherzen die beiden. Erst kürzlich haben sie unter reger Anteilnahme von reichlich Publikum einen Hund vor dem Ertrinken gerettet. Polizeiarbeit hat viele Facetten. Heute heißt es: Dicker Fisch für Klette 1127. Status drei: Unterwegs zum Einsatzort. Das Ufer muss abgesucht werden. Fußstreife. Status vier: Am Einsatzort. Nach einem zehnminütigen Fußmarsch finden Krone und Schacht das Zweirad. Schon vorher haben sie sich bei der Feuerwehr ein Seil geborgt. Man weiß ja nie, wofürs gut ist. Nach der ersten Inaugenscheinnahme stellt sich die Lage als hoffnungslos dar. Aber: Indianer kennen keinen Schmerz, und wer Mitarbeiter des Monats werden möchte, muss sich in diesem Fall nicht aus dem Fenster, wohl aber weit übers Wasser lehnen. Die Bergung des Zweirads beginnt und gelingt nach schweißtreibenden 40 Minuten. Fazit: „Das glaubt uns doch keiner!“ Doch. Denn es ist ja alles protokolliert. Wie war doch gleich das Mantra: Jeder Tag ist anders. Das geborgene Mofa war bereits als gestohlen gemeldet. Vor einem Monat wurde es geklaut. Mittlerweile steht es triefend an der Uferböschung und wird in Kürze einem Sichersteller übergeben.

Nicht ohne Kleckern

Jetzt heißt es: „Reinfahren zur Körperpflege“. Status zwei: Einsatzbereit auf der Wache. Krones Hemd braucht einen neuen Anstrich. Übersetzung: Klamottenwechsel. Die Bergungsaktion des „Unterwasserfahrzeugs“ ist nicht ohne „Kleckern“ abgegangen. Jetzt  — sofern nicht der nächste Einsatz kommt — ist die datenmäßige Erfassung der Bergungsaktion nebst Hemdwechsel angesagt. Danach wird das wahrhaft wörtliche Wiederauftauchen des Zweirades an die Datenstelle gemeldet, denn: Noch ist das Gefährt bundesweit „als vermisst gemeldet“. In zehn Minuten wird das Mofa in der bundesweiten Fahndung nicht mehr auftauchen. Krone und Schacht ziehen eine erste Zwischenbilanz: Ein wahrhaft ruhiger Freitag. Der Rollereinsatz ist nun komplett abgearbeitet. Um 15.45 kam die Meldung — mittlerweile ist es kurz nach 18 Uhr. Ein Einsatz in Materborn: In einem Park randalieren angetrunkene Jugendliche. Krone und Schacht machen sich auf den Weg und sind rund sieben Minuten später wieder auf Status vier: Am Einsatzort. Die Randale ist längst beendet. Zwar hocken noch ein paar Jugendliche auf einer Bank, aber weder finden sich Spuren von Alkohol, noch gibt es Krawall. Aber da gibt es noch einen verdächtigen Anhänger in Hönnepel. Die zwei machen sich auf den Weg. Status drei. Bei der angegebenen Adresse stellt sich heraus: Der Anhänger ist wohl doch schon weg. Kann passieren. Jeder Tag ist anders.

Dritte Halbzeit

Status eins: Einsatzbereit. Die beiden sind auf dem Weg nach Kleve, als sie über Funk wieder nach Hönnepel beordert werden. Selbes Viertel — anderer Grund: An eine Haustür hat jemand Hakenkreuze gemalt, Krone und Schacht nehmen eine Anzeige auf und fahren zurück nach Kleve. Gegen 20.04 Uhr treffen sie ein. Status zwei: Einsatzbereit in der Wache. Das Einsatzprotokoll wird geschrieben — der „Papierkram“ erledigt. Es wird nichts mehr passieren. Die beiden müssen nicht mehr raus. Am Ende der Schicht wird die gesamte Einsatzgruppe in die „dritte Halbzeit“ gehen: Nachbesprechung. Krone und Schacht werden mit ihrer Rettungsaktion wohl ein Schmunzeln ernten. Polizeialltag war es trotzdem. Nicht alles muss ja immer gleich fernsehtauglich sein. Deswegen ist es schließlich nicht weniger wahr. Morgen werden die beiden wieder im Einsatz sein. Merke: Jeder Tag ist anders. Und von wegen: Es gibt Tage, da verlier’ ße. ´Niemand hat verloren. Es hätte — vielleicht nur ein bisschen spannender …

Spiegel