Schreibkraft
Heiner Frost

Der Mann aus Beirut

Wörter erzeugen Bilder: Sommerfest – man denkt an deutsche Gartengemütlichkeit im mittelgroßen Kreis, Grillfackeln, Würstchen, Salate, Bierchen, Kurzärmeligkeit mit Musik bestrichen. Grilldunstfahnen erobern die Straße. Dazu wahlweise Kindertoben oder Happy-Hour-Beschallung.

Im Knast werden Sommerfeste aus anderen Bestandteilen zusammengerührt. Andere Voraussetzungen erfordern andere Zutaten. Alkohol zum Beispiel ist Tabu. Kein kühles Bierchen, keine Longdrinks. Manchmal kommt dem Fest auch noch der Vorname abhanden, weil es halt am Sommer fehlt. Valse triste? Nicht unbedingt.
JVA Geldern, Samstag, 2. Juni. Die Stimmung: Nicht das, was man ausgelassen nennen würde. Aber: Das Fest – ein Ausbruch aus der Alltäglichkeit. Es gibt Pommes und halbe Hähnchen, Softdrinks und ein Eis. Nachschlag? Fehlanzeige. Auch üppiger Schmuck ist nicht vorhanden. Keine Luftschlangen. Keine Girlanden. Das bisschen Grün beim Fest spendet der Kunstrasen des Sportplatzes.
Apropos Sport: Gab es nicht sonst im Sommer den Jailrun? „Das ist richtig“, antwortet der Chef. „Aber mit dem Jailrun erreichen wir nur 25 Prozent der Gefangenen. Ich wollte aber mal ein Sommerfest, bei dem alle mitmachen können.“
Die Musik kommt aus einer Kiste. Zwei mittelgroße Boxen besprühen das „Freiland“ mit Akustikpuls. Der Knast hat zwar auch eine Band, aber von der ist nichts zu hören. Stattdessen: Eldin 46. Eldin rappt. „Draußen habe ich einen eigenen Youtubekanal“, sagt er. Er sagt auch: „Du kannst ruhig Fotos machen.“ Er würde nur gern aussuchen, welches Bild in der Zeitung erscheint. Es soll ja vernünftig aussehen. Nicht, dass er am Ende ein Auge zu hat und doof aussieht.
Wenn Eldin ein Liebeslied rappt, bleibt offen, ob – das klingt jetzt schräg – man die Frau sein möchte, der Eldin zuschmachtet. Immerhin ist die Frau, die Eldins Herz besetzt, „besser als die anderen Schlampen“. Aha. So also wird Liebe buchstabiert. Man muss dafür nicht in den Knast gehen. Draußen schreiben sie ähnliche Texte.
Nach Eldins Auftritt: Siegerehrungen. Es hat allerhand Wettbewerbe gegeben. Sieger werden aufgerufen und erhalten Kaffee oder ein Shampoo. Zwei Stunden bleiben den Abteilungen für ihr Fest – dann wird gewechselt. Damit alle in den sommerfestlichen Genuss kommen, wird die Party am kommenden Wochenende in die Verlängerung gehen. Beim Einrücken bekommt jeder Gefangene eine Tafel Schokolade: Spende vom Förderverein – wie auch die Preise. Einige Gefangene haben sich ihr Essen in eine Tüte packen lassen. Es ist Ramadan. Fastenmonat. Gegessen wird dann erst nach Sonnenuntergang zum Fastenbrechen. Der Anstaltsleiter sagt: „Davor ziehe ich den Hut.“
Dem Mann am Hähnchenstand hat im jovialen Ton gesagt: „Ich bin der Chef hier. Ich hätte gern eine Pommes.“ Der hat geantwortet: „Kann ja jeder kommen“, und dann mit einem vielsagenden Lächeln Pommes auf einen Pappteller geschaufelt. Nachdem die „erste Schicht“ wieder eingerückt ist, gibt es Verpflegung für die Belegschaft. „Mach mal die Lalla aus“, sagt der Chef zum Discjockey.
Der Discjockey kommt aus Beirut. „Der ist aus Beiruth“, hat einer der Jungs, ein Kurde, gesagt und auf den Mann mit Kappe und feuerroten Haaren gezeigt.“ „Und wie unterhaltet ihr euch?“ „Der spricht ziemlich gut Deutsch. Klingt ein bisschen komisch, aber man kann es verstehen.“ „Und wie kommt man aus Beirut in den Knast in Geldern?“, frage ich. „Beiruth?“ Der Mann schaut verdutzt. „Ich bin aus Bayreuth“, sagt er. Wagner, denke ich. Das macht Sinn.