Schreibkraft
Heiner Frost

„Dafür kann ich einen totschlagen“

Vorurteile

Da sitzt man allein und wundert sich. Sollten nicht alle Kollegen da sein? Schließlich gilt es, sich auf die Spur der Vorurteile zu machen. Ein Tätowierer treibt Drogenhandel, ist bewaffnet, ehemaliger Höllenengel und im Zusammenhang mit ihm fällt des öfteren der Begriff „Reichsbürger“. Das müsste ausreichen, den ganz großen Bahnhof zu aktivieren. Stattdessen sitzt man allein auf der Pressebank … nun ja – vielleicht taucht noch jemand auf von den Kollegen. Im Publikum – man mag es kaum schreiben: Ein Mann mit Hitlerfrisur. Den müsste man fotografieren, aber man traut sich nicht. Vielleicht schlüge der einem das Werkzeug aus der Hand.

Dann taucht der Vorsitzende auf. Die Sitzung, erklärt er, beginne eine halbe Stunde später. Der Verteidiger ist noch nicht eingetroffen. Der Vorsitzende sagt auch: „Wenn die Sitzung anfängt, sind alle Handys auszuschalten und es gibt keinerlei Gespräche.“ Der Ton verrät, dass heute keine Gefangenen gemacht werden. Der Zuschauerraum füllt sich mehr und mehr und irgendwie wird man von einem eigenartigen Gefühl gestreift: Was, wenn du übel schreibst? Was, wenn du die Meinung nicht triffst? Werden sie dir die Reifen zerstechen oder einen Shitstorm anzetteln? Man weiß es nicht. Alles ist Vorurteil. Jede Verhandlung beginnt mit einem Vorurteil – es kann positiv oder negativ sein. Fest steht: Man hat es dabei. Gezüchtet im eigenen Kopf. Der Marschbefehl aus der Redaktion: Da läuft etwas mit einem Reichsbürger. Geh mal hin. Schon ist ein Bild im Kopf, obwohl die Information doch redundant ist. Dann trifft die Wirklichkeit ein. Ein zweiter Kollege ist auch eingetroffen und ärgert sich. Die hätten ja mitteilen können, dass es noch 30 Minuten dauert … Man kann nicht alles haben. Immerhin sind zur ursprünglich angedachten Startzeit vier Kollegen vor Ort. Die Yellow Press fehlt unentschuldigt. Das Fernsehen auch.

Die Pressestelle des Landgerichts hat das Verfahren wie folgt angekündigt:

Strafverhandlung gegen eine 45-jährigen Tätowierer aus Kleve wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Verstoßes gegen das Waffengesetz. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft konnte am 02.02.2017 bei einer durch Sondereinsatzkräfte der Polizei vorgenommenen Durchsuchung im Tresor des von dem Angeklagten in Kleve betriebenen Tattoo-Studios eine Feinwaage und 20 Minigriptüten aufgefunden werden. Der Angeklagte soll in seiner Weste 50 g hochkonzentriertes Kokain mitsichgeführt haben. Darüber hinaus soll er mit einer mit Patronen bestückten und im Hosenbund versteckten halbautomatischen Kurzwaffe sowie jeweils einem Spring- und Butterflymesser bewaffnet gewesen sein. Die Angeklagte hat im Ermittlungsverfahren den Tatvorwurf teilweise eingeräumt. Zur Hauptverhandlung sind 4 Zeugen geladen.

 

Jetzt geht‘s los

Eigentlich ist alles nur dumm gelaufen. Sagt der Angeklagte. Eigentlich sagt es sein Anwalt – ein Mann mit schlohweißem Lagerfeldzopf, blauem Anzug und Cowboystiefeln. Die Anklage: Handel mit Betäubungsmittel unter Mitführung gefährlicher Gegenstände. Waffenbesitz. Der Angeklagte kann alles erklären. Sagt sein Anwalt. Der Angeklagte, sagt sein Anwalt auch, räumt mit Bedauern Punkte der Anklage ein. Ja, er war im Besitz von Betäubungsmitteln. Ja, er hatte eine Waffe im Hosenbund, als man ihn festnahm. Übrigens hat der Angeklagte zwei Anwälte: Pflicht- und Wahlverteidiger. Es erscheint: Der Angeklagte. Er bietet die optische Bestätigung möglicher Vorurteile. Gesichtstatoos, bullig und – ganz wie sein Wahlverteidiger – mit einem Zopf geschmückt. Anzug und Cowboystiefel? Fehlanzeige.

Der Lagerfeld-Mann stellt sich erst mal vor. Er schnaubt auf einen der Presseleute zu, der gerade Anstalten macht, den Angeklagten abzulichten. „Das müssen wir erst mal klären“, sagt er in Richtung eines der Justizwachtmeister und dreht sich zu seinem Mandanten: „Möchten Sie fotografiert werden?“ Möchte er nicht. (Fast ist seine Stimme für den Körper einen Tick zu leise geraten.) Der Lagerfeldmann schnaubt weiter – schnaubt sich vor bis ins Richterzimmer. (…dass es ja nun so überhaupt nicht gehe … wo man denn hier sei …) Wird das hier eine Krawallverteidigung? Lagerfeld schlägt Pflöcke ein. Er gibt sich als Kämpfer zu erkennen. Im Zentrum seiner Bemühungen: Der Mandant. Es wird darum gehen, was der Mandant eigentlich ist: Sündenbock, Opferlamm, Rechtsverirrter. Immerhin: Dergleichen Kampfeslust hat man hier selten gesehen. Und auch an Publikum mangelt es nicht. Protestler? Fanclub? Fest steht: Bei Prozessen, in denen es um das Elend von Kindern ging, waren die Ränge schlechter besetzt. Nicht wenige im Publikum verursachen beim Schreiber das Zeitmaschinensyndrom. Wie muss es „damals“, als der Schnäuzer an die Macht strebte, gewesen sein, wenn man sich anschickte, gegen die herrschende Meinung zu schreiben? Noch ist nicht klar, was in diesem Gerichtssaal herrschende Meinung ist.

Im Knast sagt einer über den Anwalt: „Korrekter Typ. Verteidigt immer die Höllenengel. Ist selber keiner, aber hat in seinem Büro ein Bild: Er und die Angels.“

Beweisaufnahme

Es gibt für alles eine Erklärung. Der Lagerfeldmann hat sie mitgebracht. Wohl aufgemerkt nun also: Der Angeklagte ist selbstständiger Tätowierer. Wenn er Kunden tätowiert, kann das mitunter Stunden dauern. In den Pausen müssen sich die Kunden die Zeit vertreiben. Zigarettchen rauchen. Zeitung lesen. Was halt so anfällt. Eines Tages, es war Mittwoch, der 1. Februar 2017, findet der Angeklagte nach Ladenschluss unter einem Stapel Zeitungen einen Beutel mit etwas, das er für Amphetamin hält. Er glaubt, das am Geruch zu erkennen. Für das Vorhandensein hat er zwei Erklärungsmodelle. Das Erste: Ein Kunde hat da was vergessen und wird es zurückhaben wollen. Erklärung zwei: Könnte ja sein, dass da jemand ihm, dem Angeklagten, was anhängen möchte. Was ist zu tun? Für den Fall zwei wäre es wichtig, den Beutel nicht im Laden zu belassen. Die Bullen kommen, finden den Beutel (sie wissen ja Bescheid) und durchsuchen das Studio. Geht gar nicht. Also: Den Beutel erst einmal mitnehmen und am nächsten Tag wieder mitbringen – für den Fall, dass Hypothese 1 stimmt. [Die Möglichkeit eines Anrufes bei der Polizei („Bei mir hat da jemand was liegen lassen“) taucht, warum auch immer, im Vorstellungshorizont des Angeklagten nicht auf.]

Am nächsten Tag wird der Angeklagte von einem Sondereinsatzkommando festgenommen. Gerade will er das Haus verlassen, da überwältigen sie ihn. Er soll, sagen Polizeibeamte, als er die bewaffneten Beamten sah, nach hinten an seinen Hosenbund gegriffen haben – dorthin, wo sich, nachdem man ihn überwältigt hat, die Heckler & Koch (durchgeladen, aber nicht entsichert) anfindet. Niemand, sagt der Anwalt, wäre doch so bekloppt, angesichts einer solchen Situation die Waffe zu ziehen. Nein, es war anders: Der Angeklagte habe – im Angesichts des Sondereinsatzkommandos – die Waffe verstecken wollen. Deshalb der Griff an den rückwärtigen Hosenbund, dorthin, wo die Waffe steckte – im Magazin: Vollmantelgeschosse. Full Metal Jacket – Kugeln, die Durchschlagskraft genug haben, um die Ausrüstung des Sondereinsatztrupps zu durchdringen.

Wie ist es zu der Festnahme gekommen? Es hat da, erfährt man von den Zeugen (zwei Polizisten, eine Polizistin) einen Hinweis gegeben. Der Angeklagte soll einen Revolver besitzen. Der Zeuge fühlte sich bedroht. [Die Waffe, erklärt der Lagerfeldmann, habe sein Mandant angeschafft, weil er sich seinerseits seit Jahren von einem G. bedroht fühlte.] Nichtsdestoweniger: Aufgrund der „Information“ wird die Festnahme mit großem Besteck vollzogen. Dass es nicht um die Drogen im Beutelchen sondern um die Waffe geht, ist dem Angeklagten nicht klar. Fest steht: Die Wohnung des Angeklagten soll durchsucht werden. Und wird durchsucht. Gefunden werden zwei Macheten und etwas, das der Richter „Krempel“ nennt. Der Krempel: Braune Devotionalien. Rechte Symbole. Hakenkreuze, SS-Zeichen. „Geschenkt“, sagt der Angeklagte und meint: Alles Geschenke. Er verzichtet übrigens auf die Rückgabe von Schusswaffe, Messern, Macheten und „Krempel“. Das Wort Krempel benutzt er nicht. Aber er verzichtet. Im Tatoo-Studio (auch dort wird durchsucht) finden sich in einem Safe eine Feinwaage und Plastiktütchen. Dergleichen wird, erfährt man, beim Rauschgifthandel benutzt. Das mag sein, ABER: Der Angeklagte, der den Safe aufgrund Zahlencodeverlustes seit drei Jahren nicht öffnen konnte, brauchte die Waage beim Verkauf und Wiegen von Piercing-Schmuck. Müsste jetzt einer fragen, wie drei Jahre lang gewogen wurde? Gibt es eine Ersatzwaage? Müsste einer fragen, wie durchlässig die Codeverlustgeschichte daherkommt? Eines steht fest: Das sind nicht die Fragen, die den Lagerfeldmann interessieren. Der Zahlencodeverlust und der Safe-Inhalt sind ja Teil seiner Erklärung. Aber wenn, wie erklärt, die im Safe „abhanden gekommene“ Feinwaage beim Verkauf edler Piercings gebraucht wurde – wie hat der Angeklagte in der letzten drei Jahren das Gewicht bestimmt? Gleiches würde beim Verkauf von Betäubungsmitteln zu fragen sein. Für die Anklage aber reicht es nicht, mit Annahmen zu operieren.

Zurück zum Krempel. Der Angeklagte, ein Reichsbürger? Nein. Sagt sein Anwalt, der, man muss es konstatieren, dem Gericht mit allerlei spitzfindigen Fragen ein stimmiges Kontra bietet. Das Gericht begibt sich nicht auf die Spur von Krempel oder Gesinnung. Das hier ist nicht der Staatsschutz. Hier geht es um das Mitführen gefährlicher Gegenstände beim Drogenhandel .

Seinen Mandanten beschreibt der Lagerfeldmann (er heißt übrigens Rüdiger Böhm) im Zusammenhang mit einem Mahnbescheid – als von einer gewissen Bockigkeit besessen. („Aber die Sache ist erledigt. Das Geld bezahlt.“) Der Angeklagte ist durch gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr aufgefallen, fuhr ohne Führerschein. Er räumt auch Verstöße gegen das Waffengesetz ein. An einer Ampel hat er einem Cabriofahrer jenen Finger gezeigt, den man nicht himmelwärts gestreckt aus ansonsten eher fäustiger Hand einem Gegenüber anbieten sollte, und hat zuguterletzt noch eine brennende Zigarette in Richtung Cabrio geschnippt. Die Kippe traf und verletzte die Beifahrerin. Aber: Bezogen auf diese Anklage ist alles erklärbar und – man las es schon – „einfach dumm gelaufen“. All das wird, sagt der Lagerfeldmann, „mit Bedauern vorgetragen“. Was verdiente eigentlich der Angeklagte mit dem Tätowieren? 2.000 Euro netto. Er bringt das Geld nicht auf die Bank. Er hält nichts von Banken. Sein Verteidiger unterstützt mit einem „Ich auch nicht.“

Natürlich!

Ganz zu Beginn, als es um die Feststellung der Personalien geht, fragt der Vorsitzende: „Sie sind deutscher Staatsangehöriger?“ Dem Angeklagten entgleitet ein in seinem robusten gestrichenen Ton immerhin richtungsweisendes „Natürlich!“ Ist das rechts? Wäre nicht ein Reichsbürger ohnehin bei dieser Frage in Verlegenheit geraten? Nicht der Angeklagte. Er räumt alles ein – nur den Handel mit Betäubungsmitteln nicht. Eigenbedarf.

Was hat man gesehen? Eine fast schon entspannte Verhandlung vor großem Publikum. Das Geschehen ist von einem kleineren Saal des Landgerichts in A 105 verlegt worden. Größer geht nicht. Ein wacker kämpfender Verteidiger, ein fast schweigender Angeklagter (er hat ja einen wortmächtigen Sprecher). Ein Angeklagter, der auf Krempel und Waffen verzichtet. Wie gesagt: Alles nur Geschenke. Das Programm: Schnell und konzentriert abgespult. Hatte man anderes erwartet? Vielleicht. Es wohnt sich gut im Vorurteil. Aber: Es zählt nur, was in der Hauptverhandlung gesagt wird, nicht das, was – manchmal auch Berichterstatter – beim Eintreffen dabei haben. Tätowierer, Drogen, Waffen, Reichsbürgerschaft – das gäbe eine spannende Melange. Die Wirklichkeit? Siehe oben.

Pause

Auf dem Gang ein Herr, der den Angeklagten zu kennen scheint. Es ist nicht das freundlichen Sich-Kennen, es ist das Sich-Kennen eines irgendwie Benachbarten. Ein ganz Besonderer sei das, sagt der. Der Mann war Mitglied bei den Höllenengeln. Von wegen „war“ – das gehe doch gar nicht. Die Mitgliedschaft erlösche seines Wissens nach doch nur im Todesfall. Dass da keiner nachfragt, wundert ihn. Er ist gekommen, um mal zu sehen, wie die Justiz in solchen Fällen vorgeht. Der Angeklagte: Rechts – und keinen interessiert‘s. Niemand fragt nach. Der hat ein Hakenkreuz ins Gesicht tätowiert und sagt, dass er nichts mit Rechts am Hut hat. Der Herr ist von Erstaunen besetzt. Wird es denn heute ein Urteil geben? Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Was wird es geben? Wer kann das schon sagen? Wer hier auf dem Gerichtsflur zählt die Hellseherei zu seinen Kernkompetenzen? Immerhin sieht alles harmlos aus. Kein Handel. Die Schusswaffe zum Eigenschutz. Der Richter will nach der Pause „nur noch ein paar Urkunden verlesen“. Höchststrafe. Nichts langweiliger als das. Dann die Plädoyers. Dann – vermutlich – eine Beratungspause … dann ein Urteil. Der Mann auf dem Gang spricht über Autos. Er fährt einen Mercedes. Überschaubar. Auch der Angeklagte, sagt der Mann, fährt Mercedes: Ein Modell, wo man erst bei 100.000 zu schätzen anfängt. Woher stammt das Geld? Ist der Angeklagte gefährlich? Der Mann auf dem Gang ist sicher. Ja, ist er.

Plädoyers

Paragraph 30 a, 2 BtMG: Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie ein- oder ausführt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. (2) Ebenso wird bestraft, wer […] mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt oder sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt oder sich verschafft und dabei eine Schusswaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind.

Der Angeklagte hat den Besitz von Drogen und Waffen zugegeben. Handel hat er nicht getrieben. Dass er Drogen hatte: Dumm gelaufen. In seinem Tatoo-Studio hatte er nach Ladenschluss unter Zeitungen ein Beutelchen mit Drogen (er und die Polizei hielten es für Amphetamine) gefunden und zwei Erklärungen gefunden: Entweder da wollte ihn jemand „hinhängen“, oder ein Kunde hatte das Beutelchen einfach vergessen und würde es wieder haben wollen. Wäre das Zeug eine Falle, so die Schlussfolgerung, wäre es im Tatoo-Studio nicht gut aufgehoben. Er nimmt das Zeug, von dem sich später herausstellt, dass es Kokain ist, mit nachhause. Am Folgetag wird es wieder mit ins Studio nehmen – falls sich ein „Verlierer“ meldet. Was der Angeklagte nicht weiß: Er wird am Folgetag Besuch bekommen. Ein Sondereinsatzkommando wird anrücken. Nicht wegen der Drogen. Man hat den Angeklagten wegen Besitzes eines Revolvers denunziert. Als er sein Haus verlässt (er wohnt in einer Eigentumswohnung seiner Eltern), wartet der Einsatztrupp auf ihn – ringt ihn nieder, verhaftet ihn und durchsucht dann zunächst Wohnung und Studio. Drogen- und Sprengstoffspürhunde werden eingesetzt, Drogen werden nicht gefunden – ausgenommen das Beutelchen, das der Angeklagte bei seiner Festnahme bei sich trägt. Er trägt auch eine Waffe im Hosenbund, hat ein Messer dabei und in der Mittelkonsole seines Autos findet sich ein Butterflymesser. Bei den Durchsuchungen tauchen drei Macheten auf und etwas, das der Vorsitzende „Krempel“ nennt. Rechte Devotionalien. Hakenkreuze, SS-Zeichen. „Alles Geschenke“, sagt der Angeklagte. Er wird auf die Rückgabe von Messern, Schusswaffe und „Krempel“ verzichten.

Die Staatsanwaltschaft mag – nach Abschluss der Beweisaufnahme – nicht glauben, dass da etwas einfach dumm gelaufen ist („Da müssten dann drei Zufälle zusammentreffen“) und beantragt sieben Jahre im Strafrahmen von Paragraf 30 a des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), der sich bei fünf Jahren öffnet und bei 15 schließt. Die Zufälle: Da vergisst ein Kunde – der Angeklagte weiß nicht, um wen es sich dabei handeln könnte – sein Amphetamin, da ist ein Safe mit einer Feinwaage und Tütchen, die auch für den Drogenhandel nutzbar wären, und da ist ein Angeklagter am Tag der geplanten Durchsuchung mit einer Waffe unterwegs ist, deren Magazin mit Vollmantelgeschossen durchgeladen ist. Sieben Jahre. Aufrechterhaltung des Haftbefehls.

Dann: Der Lagerfeldmann. Die Verteidigung sieht es („Sie werden sich das schon gedacht haben“) anders. Ein Plädoyer für die Galerie – vorgetragen von einem, der‘s drauf hat? Die Akte hat er intus und weiß, wer und wo anzugreifen ist. Die Argumentation der Staatsanwältin, sagt er: „Falsch aufgehängt.“ Es geht nicht um Glauben. („Wir sind hier nicht in der Kirche.“) Der Angeklagte, sagt der Verteidiger, hat „bestimmte Vorstellungen, die man nicht teilen muss – vielleicht nicht teilen sollte“, aber das tut nichts zur Sache. Sein Mandant hat ein Talent, sich als totaler Eigenbrötler unbeliebt zu machen. Er ist „froh drum“, nicht mehr bei den Höllenengeln zu sein. Der Verteidiger hält nichts von Denunziantentum. Das sagt er deutlich. „Ich werde immer meine Meinung sagen“, sagt er. Alles andere: Feige, niederträchtig. Sein Mandant ist denunziert worden.

Es geht zurück zum aberwitzig Dummgelaufenen. Säht da einer genügend Zweifel? Er gibt sich Mühe. Er gibt eine gute Vorstellung. Er ist vorbereitet – zitiert sogar einen Rechtskommentar des Vorsitzenden Richters. Nein, er zitiert nicht – er weist auf das Vorhandensein hin. Alles ganz großes Kino der Verteidigungsleidenschaft. Was die Staatsanwaltschaft vorgebracht hat, reicht nicht, die Einlassung seines Mandanten zu widerlegen, sagt der Mann im blauen Anzug mit Lagerfeldzopf und Cowboystiefeln. Es geht nicht darum – das sagt später auch der Pflichtverteidiger –, dass einer seine Unschuld beweisen muss. Es geht darum, dass man ihm zweifelsfrei nachweisen muss … So sieht es auch der Lagerfeldmann. Er handelt jeden Punkt ab und während er aus dem Zerpflücken ein Kunstwerk macht, denkt man sich, dass die Füße, auf denen die Anklage ruht, nicht von Marmor sind. Der Lagerfeldmann, denkt man auch, verteidigt nicht explizit den Mandanten, er verteidigt das Recht auf die Unschuldsvermutung, und er tut das mit Haltung. Es geht um Grundsätzliches. Am Ende des Grundsätzlichen die Bitte um ein mildes Urteil und die Außervollzugsetzung des Haftbefehls. Das Strafmaß, sagt der Lagerfeldmann, ist Richterarbeit. Sein Mandant, sagt er auch, hat sich schuldig gemacht. Besitz einer nicht geringen Menge von Drogen. Waffenbesitz. Aber Drogenhandel unter Mitführung einer Waffe – wo, bitte sehr, sind die Beweise? Dass es sich beim Inhalt des Beutels um Kokain und nicht um Amphetamin gehandelt hat, haben nicht einmal die Beamten vermutet, die bei der Festnahme den Beutel fanden. Der Paragraf 30 a, 2 (BtMG) kann es nicht werden, sagt der Lagerfeldmann und zählt minus eins. Es greift der Paragraf 29 a (BtMG).

Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder 2. mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

„Sieben Jahre aus dem Stand“, sagt der Lagerfeldmann, „können es doch nicht sein. Dafür kann man einen totschlagen.“ Er spielt auf Verhältnismäßigkeiten an.

Was, fragt man sich, ist der Kern dieses Verfahrens? Was gilt wann als bewiesen oder widerlegt? Wer darf vor Gericht an den Zufall glauben? Vielleicht besser nicht die Staatsanwaltschaft. Von ihr wird Präzision erwartet. Präzision beim Beweisen, Präzision beim Widerlegen. Der Angeklagte – schuldig oder nicht? Der Lagerfeldmann lässt keinen Zweifel daran, dass es darum für die Verteidigung nicht geht. Es geht – und das ist aus seiner Sicht völlig richtig – darum, mit welchen Anschuldigungen die Staatsanwaltschaft am Ende durchdringt. Es geht darum, was sich beweisen lässt – jenseits aller Zweifel. Weitestgehend. Es geht nicht darum, was einer denkt und welche absurden Ideen er im Kopf spazierenführt. Es geht nicht einmal darum, was in seinem Keller an Krempel zu finden ist. Nicht in diesem Verfahren jedenfalls. Das könnte, wäre es dann staatsschutzrechtlich relevant, bestenfalls Gegenstand eines anderen Verfahrens sein. Hier geht es darum, ob einer – der Besitz wird nicht geleugnet – mit Betäubungsmitteln Handel getrieben und dabei eine Waffe mit sich geführt hat. Im Plädoyer das Verneinen des Paragrafen 30 a – stattdessen der 29-er. Der Angeklagte schließt sich der Verteidigung an und „kassiert“ nach 45-minütiger Beratung der Kammer (zwei Richter, zwei Schöffen) vierdrei: Vier Jahre, drei Monate.

Auf dem Nachhauseweg glüht das Bild des Mannes mit be(ein)drückend eindeutiger Frisur (Er ist wieder da) nach. Wo der Verurteilte anzusiedeln ist? Niemand hat gefragt. Man muss trennen können zwischen Tat und Gesinnung – so lange jedenfalls, wie es das Verfahren gebietet.