Schreibkraft
Heiner Frost

Besuch aus Tunesien

Man hätte besser aufpassen sollen – damals, im Französischunterricht. „Bienvenue dans la prison de Geldern. Mon nom est Karl Schwers.“
Besuch aus Tunesien. Es geht um Wissenstransfer in Sachen Vollzug. Die Delegation: Drei Damen, drei Herren, ein Dolmetscher. Man spricht Französisch, oder besser: Die anderen tun es.

Karl Schwers, Chef der Gelderner Justizvollzugsanstalt parliert perfekt. „Aber vielleicht machen wir das Ganze doch besser in Deutsch“, sagt er nach dem ersten Smalltalk und stellt sich und die Anstalt vor. Er hat fast drei Mal Lebenslänglich im Vollzug verbracht und ist seit fünf Jahren Chef in Geldern. Ihm zur Seite: Sigmund Hein vom TÜV Nord. Er ist in Geldern für alles zuständig, was mit der Ausbildung der Häftlinge zu tun hat. Aber erst einmal die Fakten über die Anstalt. Schwers arbeitet sich satzweise vor – satzweise erfolgt das arabische Echo des Übersetzers.
Justizvollzusganstalt Geldern Pont: Eröffnet 1979, erweitert 2004. Bis zu 681 Gefangene. Zuständigkeit: In der Hauptsache Vollzug von langjährigen Haftstrafen. Geldern ist ein Männerknast. Spezialität der Anstalt: Das Berufsbildungszentrum. Fünf Hafthäuser: A, B, C, D, E, F. Maximal 55 Gefangene auf einer Abteilung. In den kleineren Hafthäusern sind es 30 Gefangene pro Ebene. Der allergrößte Teil der Gefangenen ist in Einzelzellen untergebracht. Pro Abteilung gibt es eine Viererzelle. „Bei uns sind die Gefangenen am liebsten allein untergebracht“, sagt Schwers. Die Zelle: Der Rückzugs- und Wohnraum. „Bei Ihnen ist das wahrscheinlich anders.“ Die Gäste nicken. Alles eine Frage der jeweiligen Kultur. Apropos andere Kulturen: Der Ausländeranteil in Geldern Pont liegt bei 40 Prozent. „Unter anderem haben wir auch vier Tunesier hier“, sagt Schwers.
40 LLer sitzen ein. LL steht für Lebenslänglich. „Das bedeutet bei uns mindestens 15 Jahre, aber für manche Häftlinge bedeutet das LL auch Inhaftierung bis zum Lebensende.“ 320 Mitarbeiter hat Schwers, etwas mehr als 200 sind im uniformierten Dienst und arbeiten vornehmlich in den Hafthäusern. Einsatz im Schichtdienst. Frühschicht von 6 bis 14 Uhr, Spätschicht von 14 bis 22 Uhr, Nachtschicht von 22 bis 6 Uhr. 50 Mitarbeiter sind im Werkdienst tätig – Handwerksmeister, die sich um die Ausbildung und die Betriebe kümmern. 11 Sozialarbeiter arbeiten in Pont, dazu kommen fünf Psychologen, vier Pädagogen, zwei Seelsorger (katholisch, evangelisch). Der Rest der Belegschaft arbeitet in der Verwaltung. Das Jahresbudget der Anstalt: 24 Millionen Euro. „Gehört dazu auch ihr Gehalt?“, fragt einer der Chefs aus Tunis.
„Welches Durchschnittsalter haben Ihre Gefangenen?“ Das hat noch niemand ausgerechnet. Allerdings fällt die Antwort nach den Kosten pro Häftling und Tag leicht: 110 Euro. Später werden die Tunesier sagen, dass es bei ihnen 13 Euro sind. Allerdings sind in den Haftkosten in Tunesien die Gehälter der Bediensteten nicht eingerechnet. „Und wie sieht es mit der ärztlichen Versorgung aus?“ Pont hat einen Arzt. Er hat acht Mitarbeiter – Krankenpfleger allesamt. [Kürzlich las man in den Medien, dass Nordrhein-Westfalen über die Einführung von Telemedizin in den Anstalten nachdenkt. Es gibt zu wenig Ärtze, die in den Knast wollen. Der Grund: Die Bezahlung.] Eine Krankenstation gibt es nicht. „Und was passiert, wenn jemand ernsthaft krank ist?“ „Dann wird er entweder ins Justizvollzugskrankenhaus nach Fröndenberg gebracht oder aber ins Krankenhaus nach Geldern – letzteres dann unter Bewachung“, erklärt Karl Schwers.
Und dann die Sicherheit: 5,50 Meter ist die Mauer hoch. Von innen ist vor der Mauer ein Sicherheitszaun, der Berührungen meldet. Zwischen Zaun und Mauer: Eine Schneise. Dort wird ständig patroulliert. „Mir fällt auf, dass es hier keine Wachtürme gibt“, sagt einer aus der Delegation. Stimmt. „Hier ist alles kameraüberwacht“, erklärt Schwers. „Gibt es bei Ihnen auch Terroristen?“ Ein paar ehemalige IS- Soldaten der niederen Ebene sitzen ein.
Zweimal am Tag wird durchgezählt: Lebendkontrolle. Wenn eine Zahl nicht stimmt, wird alles heruntergefahren. Neu zählen. „Danach stimmt es entweder, oder wir müssen suchen.“ [Das klingt lapidarer als die Wirklichkeit. Ausbrüche quittiert das Ministerium gerne mal mit dem Austausch des Anstaltsführungspersonals.]
Der Vollzug braucht keine schlechte Presse. Über Ausbrüche wird geschrieben, aber wen interessiert es schon, wie viele Gefangene wöchentlich aus dem „Urlaub“ zurück in den Knast gehen?
„Wir sieht es mit Waffen aus?“ „Waffen sind bei uns die ultima ratio“, erklärt Schwers. Die Einzelheiten: Nicht öffentlich. „Wie sieht es mit Arbeit für Gefangene aus?“ „Bei uns ist jeder Gefangene zur Arbeit verpflichtet“, sagt Schwers und fügt hinzu: „Aber wir haben nicht für alle Gefangenen einen Job oder einen Ausbildungsplatz.“ So arbeiten sich Gastgeber und Delegation durch den deutschen Vollzug. Es geht um Disziplinarmaßnahmen gegenüber den Gefangenen, aber auch um deren Rechte in Bezug auf die Anstalt. Es geht auch um die Ausbildung des Personals und vor allem geht es Schwers darum, den Gästen zu erklären, was den Kern des Vollzuges ausmacht, wie er ihn versteht: „Es geht – auch bei der Ausbildung unserer Mitarbeiter – um die Wertevermittlung gemäß unserer Verfassung. Es geht um einen menschlichen Umgang, um Würde und Respekt. Wir haben hier auch ein Ethik-Komitee ins Leben gerufen, in dem sowohl Mitarbeiter als auch Menschen von draußen Fragen von Ethik und Vollzug diskutieren.“
Das größte Problem im Knast: Die Drogen. „60 bis 70 Prozent der Gefangenen haben ein Drogenproblem“, sagt Schwers. Und wie kommt das Zeug „über die Mauer“? „Wir haben im Jahr circa 16.000 Besuche“, sagt der Chef. Was er nicht sagt: Ein Knast ohne Drogen wäre wahrscheinlich schlimmer als einer mit Drogen.
Dann der Rundgang durch die Anstalt. In Tunesien sind Einzelzellen die Ausnahme. In den großen Zellen sind durchschnittlich 25 bis 30 Gefangene untergebracht. (Eine andere Kultur.) Die Sache mit dem Jahresbudget finden die Gäste ebenfalls erstaunlich. Wie hoch allerdings das Budget einer vergleichbaren Anstalt in Tunesien ist, können sie nicht sagen. „Bei uns ist nicht alles in einem Topf. Gehälter sind ein Budget, Gefangenenverpflegung dann ein ganz anderes. Die Gehälter kommen vom Ministerium.“
Wie kommt es eigentlich, dass Tunesier sich eine deutsche Vollzugsanstalt anschauen? Das hat etwas mit der IRZ zu tun. Schlag nach bei Google: Die Deutsche Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit. Die IRZ wurde 1992 auf Initiatives des Bundesministers der Justiz, Klaus Kinkel. als gemeinnütziger Verein gegründet. Sitz ist Bonn.
Im April war Karl Schwers im Auftrag der IRZ für zwei Wochen in Tunis. Karl Schwers: „Das Land hat einen Vertrag mit der Europäischen Union, bei dem es um die Heranführung an die europäischen Standards geht. Pate des Projekts ist Frankreich, aber es ging dann darum, den Vollzug auch aus deutscher Perspektive darzustellen, um Unterschiede aufzuzeigen.“ Abgeordnet vom Ministerium der Justiz des Landes war Schwers in Tunis. Jetzt: Der Gegenbesuch der Delegation. „Die besuchen allerdings nicht nur unsere Anstalt. Gestern waren sie im Ministerium. Im weiteren werden sich die Gäste eine Frauenvollzugsanstalt anschauen und darüber hinaus den Jugendvollzug und den offenen Vollzug kennenlernen.“ Au revoir.